Einige Anmerkungen zu den deduktiven Grundlagen einer Typologie grammatischer Systeme

WOLFGANG SCHULZE (MÜNCHEN)

1. Vorbemerkungen

Ihrem Selbstverständnis zufolge stellen die unterschiedlichen Faszetten der Sprachtypologie – also etwa der formalen oder funktionalen Typologie, der diachronen Typologie oder der Grammatikalisierungsforschung – stark induktiv ausgerichtete Versuche dar, dem Phänomen sprachlicher Diversifikation gerecht zu werden. Das Ziel eines REIN induktiven Verfahrens kann sicherlich nur idealisiert verstanden werden, auch wenn es zum Beispiel in der Tradition des Klassischen Amerikanischen Strukturalismus immer wieder als MACHBAR kolportiert wird. Allein schon der forschungsgeschichtliche Rahmen, also die Tradierung von Termini mitsamt ihres konzeptuellen Hintergrunds, aber auch von Analysetechniken und – nicht zu vergessen – die einzelnen Forscherbiographien bedingen eine erhebliche Schwächung dieses idealistischen Ansatzes, was allerdings in den seltensten Fällen von der jeweiligen Forschung explizit eingestanden wird. Einschränkend muß angemerkt werden, daß EINE Disziplin innerhalb der Sprachwissenschaft, nämlich die historisch-vergleichende Orientierung INDOGERMANISTISCHER Ausprägung gerade auf diesen Tradierungshintergrund baut: Hier stellt sich weniger die Frage, inwieweit eine induktive Methodik auf umfassenderen Deduktionen beruht, sondern eher das Problem, inwieweit eine Argumentation durch die bisherige Forschung sanktioniert ist. Insofern ist diese Disziplin als INDIREKT deduktiv zu beschreiben. Jedoch werden hier induktiv gewonnene Ergebnisse in keinen weitergehenden UNIVERSALISTISCHEN Zusammenhang gestellt werden, der ansonsten die bekannte Schnittstelle zu deduktiven Methodiken darstellt. Dem Moment einer indirekten Deduktion stehen in der Sprachwissenschaft explizit deduktive Verfahren gegenüber, so, wie sie sich heutzutage vielleicht am deutlichsten in der Tradition der MIT-Orthodoxie – also des Chomskianismus in seinen unterschiedlichsten Ausprägungen – manifestiert. Es ist zu betonen, daß beide Traditionen – also die induktiv-typologische und die deduktiv-universalistische Tradition – grundsätzlich EMPIRISCHE Verfahren darstellen: Für erstere stellt die Empirie die Voraussetzung dar, für letztere den Nachweis. Hinzu tritt in Bezug auf beide genannten Verfahren der Aspekt einer LOGISCHEN EMPIRIE: Im MIT-Paradigma werden Axiome anhand von logischen Deduktionen in Abgleichung mit der beobachtbaren Empirie auf ihre Widerspruchsfreiheit hin überprüft, während die Sprachtypologie logische Deduktionen vor allem im Zusammenhang mit den bekannten IMPLIKATIVEN UNIVERSALIEN verwendet. In den letzten zwei Jahrzehnten sind – vermutlich auch unter dem Eindruck der großen Popularität, die das MIT-Paradigma gefunden hat – innerhalb der klassischen Sprachtypologie Stimmen immer lauter geworden, die für die Subsumption empirischer Universalien unter ein mehr oder minder einheitliches, deduktiv gewonnenes Paradigma eintreten. Hierdurch deutet sich der Schritt von DESKRIPTIVEN UNIVERSALIEN hin zu EXPLANATIVEN UNIVERSALIEN an, wobei die terminologische Nähe zum Begriff der UNIVERSAL GRAMMAR kein Zufall ist: Analog zum MIT-Paradigma zielt die Explanation sprachlicher Erscheinungen – in Gestalt von Universalien oder als Partikularisierung universeller Erscheinungen – auf systemtranszendierende Bedingungen. Auf derartige Bedingungen weisen vor allem solche typologisch orientierten Grammatikmodelle, die zwischen radikal diskurs-pragmatischen und ausschließlich kognitiven Hypothesen angesiedelt sind, vgl. die Auswahl in:

(1) Diskurs - pragmatisch  <------------------------------------------------------------------->  Kognitiv

                       SFG / EG             FG                    RRG                          LFG                            CG / OT

[SFG = Systemic Functional Grammar (M.A.K. Halliday); EG = Emergent Grammar (P. Hopper); FG = Functional Grammar (S. Dik); RRG = Role and Reference Grammar (W. Foley / R. Van Valin); LFG = Lexcal Function(al) Grammar (J. Bresnan); CG = Cognitive Grammar (R. Langacker), OT = Optimality Theory (J. McCarthy / A. Prince et al.)].

Vermittelnde Positionen nehmen dabei die FUNCTIONAL GRAMMAR, die ROLE AND REFERENCE GRAMMAR und die LEXICAL FUNCTIONAL GRAMMAR ein. Die SYSTEMIC FUNCTIONAL GRAMMAR und Hopper’s EMERGENT GRAMMAR beruhen auf stark diskurs-pragmatischen Hypothesen, während am anderen Ende der Skala die Tradition der COGNITIVE GRAMMAR zu finden ist. Ein gewisses Eigenleben schließlich führt die OPTIMILITY THEORY (OT), die sich als prozeduraler, dem kognitiven Konnektionismus verpflichteter Ansatz versteht und Grammatik über ein komplexes System der Interaktion teilweise universeller CONSTRAINTS oder konnektiver „Zustände" definiert. Im Unterschied zum Verfahren der MIT-Orthodoxie basieren typologische Deduktionen wie gesagt auf dem Axiom einer dependentiellen Natur sprachlicher Systeme: Diese Systeme stehen in einem funktionalen Abbildungsverhältnis zu einer oder mehreren übergeordneten Größen, vgl. beispielhaft:

(2) Kommunikation                                Kognition

         (Ikon > ) Funktion         Symbol ( < Ikon)

                          Sprachliches System

Hier definiert sich ein sprachliches System einerseits über eine funktionale Relation zum diskurs-pragmatischen Bereich der Kommunikation; hinzu tritt andererseits ein symbolisches Verhältnis zur Kognition. Beide Relationen werden darüber hinaus oftmals als Metaphorisierungen eines eigentlich ikonischen Verhältnisses angesehen: In diesem Sinne bilden sprachliche Systeme sowohl kommunikative Größen als auch Prinzipien der kognitiven Architektur analog ab. Das dependentielle Verhältnis kann natürlich auch umgekehrt betrachtet werden, etwa, wie es in den diversen Ausprägungen der WHORFSCHEN Relativitätshypothese zum Ausdruck kommt: In derartigen, hochgradig idealistischen Auffassungen GESTALTEN sprachliche Systeme, die ihre eigene ontologische Begründung haben, kommunikatives Verhalten und kognitive Ereignisse von Individuen bzw. von Sprechergemeinschaften. Keines der hier lediglich angedeuteten explanativen Verfahren kann unwidersprochen bleiben. Doch verdeutlicht allein ihre Existenz, daß die EXPLANATIVE NOT der Sprachtypologie – im Grunde DER Standardvorwurf von Seiten der MIT-Orthodoxie – dazu führt, daß immer neue, systemtranszendierende Bezugsgrößen eingeführt werden, womit sich die DESKRIPTION sprachlicher Systeme auch davon abhängig macht, WIE diese Bezugsgrößen beschrieben werden. Im Gegensatz hierzu kann die MIT-Orthodoxie, die sich ja EBENFALLS als kognitive Wissenschaft versteht, die Kognition als LOCUS von Sprache ansetzen, OHNE damit ein entsprechendes, dependentielles Verhältnis zu formulieren. Hier begründen sich sprachliche Strukturen über die Parametrisierung der UNIVERSAL GRAMMAR bzw. des LANGUAGE ACQUISTION DEVICE, beides objektspezifische Module der Kognition. Dem Vorwurf der EXPLANATIVEN BELIEBIGKEIT, der der Sprachtypologie immer wieder gemacht wird, kann meines Erachtens nur begegnet werden, wenn versucht wird, wesentliche Erkenntnisse in Bezug auf die Größen KOMMUNIKATION und KOGNITION in einem deduktiven System zusammenzufassen, ohne daß die grundsätzlich dependentiellen Hypothesen über Sprache aufgegeben werden. (3) versucht diesen Aspekt nachzuzeichnen:

(3) Kommunikation                                        Kognition

           KoKo-Empirie > Linguistische Deduktion     <---------  Typologische Empirie

                       Sprachliche Systeme

Demnach wird der empirische Befund des KoKo-Bereichs überführt in eine linguistische Deduktion, die das explanative Grundgerüst in Bezug auf sprachliche Systeme liefern soll. Natürlich ist damit in sprachtypologischer Hinsicht noch kein umfassendes Erklärungsparadigma erreicht. Hierzu muß zunächst die Art der Dependenz sprachlicher Systeme vom KoKo-Bereich genauer definiert werden. (4) stellt diesbezüglich einige Axiome zusammen:

(4) a) Sprachliche Architekturen basieren grundsätzlich auf der Architektur der human Kognition; sie können diese nicht transzendieren, da sie Teil von ihr sind.

b) Sprachliche Architekturen sind emergentes Produkt der Interaktion von wissensbasierter und wissensverarbeitender Kognition und kommunikativer Kognition, wobei letztere autonom routiniert erscheinen kann.

c) Die emergente Interaktion des KoKo-Bereichs und ihre sensomotorische Realisierung wird über Parameter der kognitiven Architektur als „Sprachsystem" (kollektiv) konstruiert und erfährt somit eine Autonomisierung und Systematisierung.

d) Sprachliche Ereignisse etablieren über ihre Konstruktion als autonom eine systeminterne, funktionale und formale Paradigmatisierung, die sich als Sprachsystem auch in der Kognition verankert (in Form von tacitem bzw. artikuliertem sprachlichen Wissen) e) Sprachliche Systeme etablieren sich in humanen Kollektiven; sie garantieren als Tradierungssysteme die Vermittlung von Wissens- und Erfahrungskomplexen zwischen den Generationen und stellen selbst einen Teil dieses tradierten Wissenskomplexes dar.

f) Das als autonom konstruierte sprachliche Wissenssystem entfaltet als Teil des humanen Tradierungssystems eine systemimmanente Diachronie, die in indirekter Relation steht zur Dynamik des soziokulturellen habitus, des Weltenwissens und der ökologischen Reaktion eines „Nutzer-kollektivs".

g) Typologische Diversifikation ist als Ausdruck der Interaktion der Dynamik innerhalb von Wissens-, Kommunikations- und Verhaltenssystemen innerhalb eines Nutzerkollektivs und der sprachsystematischen, diachronen Prozesse zu verstehen; diese Interaktion ist in dem für uns rekonstuierbaren Ausschnitt nicht als anagenetisch zu beschreiben: Vielmehr ist von einem typologischen pool auszugehen, der in seiner Ausprägung nur durch die Architektur der KoKo-Schnittstelle, mithin der Architektur der wissensbasierten und kommunikationsbasierten Kognition und (in der Regel) durch die motorische Spezialisierung des Bereichs Lunge>Larynx>Mund begrenzt wird.

Diese axiomatischen Formulierungen sind in vielerlei Hinsicht weiter zu spezifizieren und vor allem in Hinblick auf die Einbettung sprachlicher Systeme in den Kanon von Konventionalisierungsprozessen sowohl in allgemein-anthropologischen als auch in partikularisiert-soziologischen Dimensionen zu erweitern. Für den Gegenstand des Vortrags sollen die in (4) vorgestellten Deduktionen allerdings zunächst genügen. Im Gegensatz zur MIT-Orthodoxie handelt es bei diesen Deduktionen nicht um EVIDENTE WAHRHEITEN d.h. um durch logische Schlüsse erzielte Aussagen, die für jedermann aprioristisch einsichtig sein sollten und die lediglich INTERN auf ihre Widerspruchsfreiheit hin überprüft werden. Vielmehr stellen sie – wie bereits gesagt – für sich genommen die Zusammenfassung des empirischen Befunds dar, der sich aus dem KoKo-Bereich in Hinblick auf seine sprachliche Instantiierung ergibt. Hierdurch wird ein gegenüber der MIT-Orthodoxie meines Erachtens weitaus dynamischeres Format der Explanation erreicht, das auch dann Bestand haben kann, wenn einzelne Komponenten innerhalb des deduktiven Paradigmas falsifiziert werden – womit gleichzeitig gesagt ist, daß es sich eben nicht um REINE Deduktionen handelt, die bekanntlich ja nicht falsifiziert, sondern nur durch andere Axiome ERSETZT werden können.

2. Folgerungen

Im Folgenden möchte ich – ausgehend von den unter (4) vorgestellten Deduktionen – einen Aspekt sprachlicher Systeme herausgreifen, der deren MORPHO-SYNTAX zum Gegenstand hat, also DIE Standarddomäne der Sprachtypologie. Ziel ist es, dem deskriptiven Befund der Sprachtypologie innerhalb dieser Domäne ein deduktiv gewonnenes und empirisch abgesichertes Modell zur Seite zu stellen, das in seiner explanativen Mächtigkeit IDEALITER mit den Deduktionen der MIT-Orthodoxie konkurrieren kann, ohne den Standpunkt eines grundsätzlich EPIPHÄNOMENALEN Charakters sprachlicher Systeme aufzugeben. Selbstverständlich zielt dieses Modell letztendlich auf einen UNIVERSALISTISCHEN Erklärungshintergrund ab – dies sollte aus den Deduktionen in (4) hinreichend deutlich geworden sein. Allerdings handelt es sich bei diesen UNIVERSALIEN weniger um sprachliche Erscheinungen, als vielmehr um Universalien der Interaktion des KoKo-Bereichs, die von sprachlichen Systemen hochgradig partikularisiert reflektiert werden. Diese Universalien sollen als KOGNITIVE KATEGORIEN bezeichnet werden, wobei zu beachten ist, daß HIER unter Kognition der GESAMTBEREICH sprachrelevanter kognitiver Aktivitäten verstanden wird, vgl.:

(5)                                        Kognition

      Wissensbasierte Kognition               Kommunikative Kognition

Aus Platzgründen muß ich darauf verzichten, den Bereich der KOGNITIVEN Kategorien im Einzelnen zu erläutern und zu begründen (vgl. ausführlicher Schulze 1998, Kapitel III). (6) listet einige dieser Kategorien auf; es sind aber nur solche erwähnt, die für das vorliegende Problem von Relevanz sind:

(6)      PK:     Präkonzeptuelle Kategorien
          KO:     Kategorien der kommunikativen Organisation:
          SV:      Kategorien der Verarbeitung basaler Sachverhaltsvorstellungen
          RZ:      Kategorien der Raum-/Zeit-Situierung
          MOD:  Kategorien der Modalisierung von Sachverhaltsvorstellungen
          SPR:    Kategorien der Sprecherzentrierung

Kategorien des Typs PK können auch als EXISTENTIALFUNKTIONEN bezeichnet werden: Sie organisieren die sprachbezogene Verarbeitung nach grundsätzlich anthropozentrischen und enaktiven Gesichtspunkten. Hierzu gehören etwa FIGURE-GROUND-Situierungen und ihre Metaphorisierung als URSACHE-WIRKUNGS-Relation, aber auch Parameter der VERKÖRPERUNG von Umwelt, d.h. des Bezugs auf die Umwelt mittels der Metaphorisierung von Körpererfahrungen. KO beinhaltet diejenigen Kategorien, die die Erfahrungsinhalte KOMMUNIKABEL machen: Hierzu gehören unter anderem die Übersetzung gestalthafter Erfahrungen in ein sequentielles Format, ihre Einbettung in einen kommunikativen oder Wissenskontext, sowie basale Aspekt des ROLLENTAUSCHS innerhalb der Kommunikation. SV liefert die Voraussetzungen für den komplexen Prozeß der Mustererkennung in ihrer Anwendung auf Erfahrungsinhalte. RZ definiert die grundsätzlich Situierung einer Sachverhaltsvorstellung in das Raum-Zeit-Kontinuum. MOD stellt basale Muster zur Modalisierung von Erfahrungsinhalten zur Verfügung (Negation, Interrogation, Hypothesenbildung usw.). SPR schließlich stellt jeden Prozeß der kommunikativen Wissensverarbeitung in den Kontext des Produzenten; diese Kategorie reflektiert die Tatsache, daß JEDES kognitives Ereignis individuell gebunden, also egozentrisch orientiert ist. Im Wege ihrer Versprachlichung oder GRAMMATIKALISIERUNG erhalten diese Kategorien PROZEDURALEN Charakter, der zugleich ihre Partikularisierung entsprechend dem allgemeinen kommunikativen HABITUS eines Sprecherkollektivs ermöglicht. An diesem Punkt greift die den vorgestellten Deduktionen zugrunde liegende typologische Sprachtheorie, die sich als GRAMMATIK VON SZENEN UND SZENARIEN (GSS) bezeichnet. Sie faßt diese Deduktionen auf der Basis der genannten kognitiven Kategorien bzw. auf der Basis ihrer partikularisierten Instantiierung als PROZEDUREN in einem einheitlichen Modell zusammen, das von der Hypothese ausgeht, daß sprachliche Äußerungen STETS die Grammatikalisierung von SACHVERHALTSVORSTELLUNGEN bedeutet. Die GSS vermutet, daß das Individuum in DER Form kommunikativ auf Umweltsignale (oder Umweltreize) reagiert, daß es aus diesen Signalen oder Reizen mittels komplexer kognitiver Hypothesen und basierend auf den genannten Kategorien Vorstellungen konstruiert, vgl. (sehr vereinfacht):

(7) UR > ur' < gamma(ur')

(GAMMA steht für die Grammatikalisierungsprozedur einer Sachverhaltsvorstellung ur'). Sachverhaltsvorstellungen werden im Sinne der GSS nach bestimmten Mustern konstruiert, die in ihrer Gesamtheit als SZENEN (bzw. in ihrer Verkettung) als SZENARIEN bezeichnet werden, vgl.:

(8) UR > ðsk(ur') < gamma(ðsk(ur'))

ð steht für die Paradigmatisierung von Sachverhaltsvorstellungen (also von ur'), die anhand des szenischen Parameters sk (als Abkürzung für gr. skené „Zelt (dach)") erfolgt. Die szenische Architektur definiert sich zwar grundsätzlich über die in (6) genannten kognitiven Kategorien bzw. über deren Partikularisierung, doch greifen zusätzlich Parameter, die aus dem Grammatikalisierungs-, d.h. Versprachlichungsprozeß von Szenen und Szenarien resultieren. Hier wird die scheinbare AUTONOMIE sprachlicher Systeme wirksam, die strukturierend und gestaltend die Szenenarchitektur mitbestimmt. Damit ist gemeint, daß eine sprachlich orientierte Sachverhaltsvorstellung als konstruierende Reaktion auf einen Umweltreiz nicht nur nach den aus dem KoKo-Bereich gewonnenen Mustern oder TEMPLATES erfolgt, sondern – eben weil sei sprachlich orientiert ist – AUCH nach dem Maßgaben des erlernten Wissenssystems SPRACHE, vgl.

(9) KoKo > ð(sk) < ð(S)

Groß S steht für „Sprachsystem", ð zeigt wiederum die Paradigmatisierung an. ð(S) ist ontologisch wie in (4) dargestellt komplex definiert: In seiner Grundarchitektur wird es von den basalen Verfahren der Kognition (etwa PARADIGMATISIERUNG, SERIALISIERUNG und SYMBOLISIERUNG) dominiert, eben weil ð(S) nichts anderes ist als die Emergenz der Interaktion solcher Verfahren. Andererseits verarbeitet die Kognition ð(S) AUCH objektspezifisch, was zur Folge hat, daß Sprachsysteme eine scheinbar eigenständige Qualität erlangen können, über eine pseudo-autonome Geschichte verfügen die und als Tradierungssystem in die Gestaltungsroutinen sprachlicher Äußerungen eingreifen.

3. Betriebssysteme

Im Folgenden möchte ich das Verhältnis von szenischer Architektur und Sprachsystem etwas genauer betrachten. Es sollte hinlänglich deutlich geworden sein, daß die bislang vorgestellten Deduktionen in keinem Fall ausreichen, um dem Aspekt des typologischen POOLS Rechnung zu tragen, der die Grundlage für die typologische Empirie liefert. Wir können nicht einfach formulieren, daß die unterschiedlichen Architekturen sprachlicher Systeme Reflexe einer UNTERSCHIEDLICHEN Szenenarchitektur wären. Dies würde sowohl empirischen Universalien als auch der Tatsache zuwider laufen, daß sich der Mensch als HOMO COMMUNICABILIS LOQUENS konstituiert. Die universellen Eigenschaften von Sprachsystemen sind zwar letztendlich gering, aber in ihrer Qualität doch mächtig genug, um eine entsprechende Interpretation zu gestatten. Hierzu gehören etwa Referentialität, Relationalität, tendenzielle Ikonizität, Diskurskohäsion und anderes mehr. Es fragt sich aber, in welcher Form diese Universalien an das kognitive System angebunden sind. Die GSS vermutet, daß universelle Aspekte sprachlicher Systeme zumindest zweifach bedingt sind, vgl. stark verkürzt:

(10) U(KoKo) > U(ð(S))

             U(ð(sk))

„U" steht für UNIVERSALIE. Demnach bedingt die Tatsache, daß ein Sprachsystem KoKo-basiert ist, daß Universalien des KoKo-Bereichs sich im Sprachsystem abbilden KÖNNEN (aber nicht müssen!). Zusätzlich tritt die Paradigmatisierung der Szenenarchitektur als Größe auf, die in ihren universellen Aspekten selbst durch den KoKo-Bereich determiniert ist. Allerdings enthält die Szenenarchitektur erhebliche, objektspezifische Parameter, die sie vom KoKo-Bereich ebenso abgrenzen, wie dies für Sprachsysteme der Fall ist. Die Universalien aller drei Domänen können wie bereits gesagt in erheblichem Maße partikularisiert erscheinen. Hierunter ist zu verstehen, daß der Grad der Ausprägung spezifischer kategorieller Größen bzw. Architekturen unterschiedlich und in seiner Symbolisierung divergent sein kann. Partikularisierungen sind vor allem durch systemtranszendierende Prozesse, etwa durch Veränderungen im HABITUS einer Sprechergemeinschaft oder durch Änderungen im jeweiligen Weltenwissen gegeben, wozu unter anderem auch Änderungen im Wissen um den Umgang mit sprachlichem Wissen gehören. Partikularisierungen bedeuten stets Änderungen der REAKTIONSNORM auf einen kognitiven Prozeß. Die Basisarchitektur der Kognition selbst können sie nicht angreifen, da sie selbst Teil hiervon sind. Es ist aber zu bedenken, daß Partikularisierungen in einer Domäne nicht UNBEDINGT entsprechende Reaktionen in den anderen Domänen zur Folge haben müssen. Vielmehr ist zu vermuten, daß hier komplexe, interaktive Prozesse zum Tragen kommen, die sowohl innerhalb der einzelnen Domänen als auch zwischen ihnen wirksam werden. Derartige Prozesse werden in der GSS als CLUSTERUNG bzw. in funktionaler Hinsicht als CO-PARADIGMATISIERUNG oder als STRUKTURELLE KOPPLUNG bezeichnet; de facto entsprechen Clusterungen den internen Ebenen eines konnektionistischen Netzwerks., vgl.:

(11)    U(k(KoKo)) > ø(CLsk(KoKo))
           U(p(sk)) > ø(CL p(sk))
           U(e(ð(S)) > ø(eO(ð(S)))

ø steht für PARTIKULASISIERUNG, p für PARAMETER, k für KATEGORIE, e für ELEMENT EINES PARADIGMAS; CL deutet Clusterung an, O bezeichnet eine bestimmte Zahl von an einer Clusterung beteiligten Strukturen. Zu lesen wäre etwa die erste Zeile als: Die universellen Kategorien des KoKo-Bereich repräsentieren sich partikularisiert unter Clusterung einer bestimmten Menge von kategorialen Elementen. In Hinblick auf Partikularisierungen sollte die Zuordnung in (10) wie folgt umgeschrieben werden:

(12) [U(k(KoKo)) > ø(CLsk(KoKo))]        >           [U(e(ð(S)) > ø(eOð(S)))]

                                     [U(k(sk)) > ø(CLek(sk))]

Das Schema einer Partikularisierung eines Sprachsystems muß allerdings vielerlei Hinsicht erweitert werden, was hier nur angedeutet werden kann: Von besonderer Relevanz ist einerseits die systeminterne Interaktion paradigmatischer Elemente, die auf spezifischen Techniken der Kognition beruht, zum Beispiel auf dem Aspekt des Systemausgleichs oder der Entropie, was psychologisch seinen Ausdruck im ZIPFSCHEN GESETZ vom LEAST MENTAL EFFORT findet. Hinzu treten Balance-Strategien, die auch im funktionalen Bereich wirksam werden, etwa Reaktionen auf eine überhand nehmende FUNKTIONALE LAST. Derartige Prozesse sind andererseits gekoppelt mit diachronen Ereignissen, etwa Lautwandel, Funktionswandel und lexikalischem Wandel. Es wäre eigentlich zu erwarten, daß die Interaktion der partikularisierten Domänen zu einer Vielzahl von Sprachsystemen führt. Nimmt man zum Beispiel an, daß alle Domänen von zehn kategoriellen Größen dominiert sind, die jeweils nur fünf Partikularisierungen zeigen, würden sich allein hieraus 125.000 typologisch verschiedene Sprachsysteme ergeben. Allein die Tatsache, daß wir heute von geschätzt etwa sechstausend Sprachsystemen wissen, heißt noch nicht, daß eine derartige Expansion der Partikularisierung unwahrscheinlich wäre. Wichtiger ist, daß diese sechstausend Systeme von sich aus in empirischer und statistischer Hinsicht hinreichender Form auf restriktive Prozeduren deuten, die es unwahrscheinlich erscheinen lassen, daß diese sechstausend Systeme als BELEGTER Ausschnitt aus den hier beispielhaft 125.000 möglichen Varianten zu interpretieren sind. Betrachtet man morphosyntaktische Standardtypologien, so stellt man fest, daß diese mehrheitlich über eine meist geringe Zahl von basalen Parametern operieren. (13) listet einige dieser Parameter auf:

(13) Wortstellung: SV(O), (O)SV, S(O)V, VS(O), (O)VS, V(O)S
NP: HEAD-DEPENDENT; DEPENDENT-HEAD
Markierung: HEAD-AGR; DEPENDENT-AGR
Diathese: FOREGROUNDING; BACKGROUNDING
Relational: Akkusativität; Ergativität; "Aktivität"
Technik: Isolierung; Agglutination; Flexion; Analyse

Diese zwanzig Parameter könnten kombinatorisch lediglich vierhundert Typen realisieren, von denen eine Vielzahl durch erkannte IMPLIKATIVE UNIVERSALIEN auszuschließen sind. In der Tat verengt sich die Variantionsbreite um so mehr, je weiter die Forschung vorangetrieben wird. Heutzutage werden aufgrund beschreibbarer dependentieller Verhältnisse oft nur wenige ALLGEMEINE Typen diskutiert, wobei die sogenannte Partizipantentypologie auf der Basis von AKKUSATIVITÄT vs. ERGATIVTÄT eine ebenso prominente Rolle einnimmt wie Hierarchien-bezogene Typologien (etwa Empathie- oder Personenhierarchien). Diesem empirischen Befund entspricht auf der deduktiven Ebene die Annahme eines Steuerungsmechanismus, der die Dynamik sprachlicher Systeme reguliert und spezifischen Isolationsmechanismen entgegen wirkt. Auch bezogen auf einzelne Sprachsysteme ist das diesem Mechanismus zugrunde liegende System von erheblicher Bedeutung: Es garantiert, daß die unendliche Zahl von Einzelerfahrungen und die Vielzahl von Erfahrungstypen eines Individuums in einem relativ einheitlichen Format sprachlich dauerhaft verarbeitet werden können. Gleichzeitig ist es vage genug, um spontane Varianten dieser Typen möglichst ökonomisch zu erfassen. Auch wenn die Verwendung aktueller technischer Termini als Metaphern fachfremder Disziplinen immer wieder zeitgenössischen Spott zur Folge hat, beruft sich die GSS in Bezug auf derartige Systeme auf einen solchen Terminus, auch deshalb, weil eine derartige Ausprägung von Nomenklaturen auf eine lange Tradition zurückblickt (man denke an Termini wie STAMMBAUM, PRAGMATIK und viele andere mehr). Mit der Übernahme eines Terminus aus der Computer-Terminologie soll in keinem Fall die entsprechende Übernahme des semantischen Gehalts des Quellwortes beabsichtigt sein, und schon gar nicht die Anlehnung an Vorstellungen, daß sprachliche Systeme über Analogien zur Computer-Architektur erklärt werden können. Die GSS bezeichnet die dem genannten Steuerungsmechanismus zugrunde liegenden Prozeduren und Paradigmata in ihrer Gesamtheit als das BETRIEBSSYSTEM einer Sprache. In der englischen Entsprechung OPERATING SYSTEM wird der eigentliche, ontologische Status von Betriebssystemen vielleicht deutlicher: Es handelt sich um einen KoKo-basierten, auf die Szenenverarbeitung abzielenden Ausschnitt sprachlicher Systeme, der die kommunikative Harmonisierung von Erfahrungen und Wissen innerhalb einer Sprechergemeinschaft garantiert. Sein vielleicht bestes ANALOGON in der traditionellen deskriptiven Linguistik findet sich im Begriff des BAUPLANS oder einfacher des BAUS einer Sprache. Im Gegensatz zu den bislang diskutierten basalen kognitiven bzw. kommunikativen Hypothesen, Kategorien und Prozeduren, die in ihrer universellen Form größtenteils als emergente Phänomene der CONDITIO HUMANA zu beschreiben sind, handelt es sich bei den Betriebssystemen um über kollektive Traditionen erworbenes (tacites) Wissen, das es dem Individuum ermöglicht, seinem kommunikativen Bedürfnissen in routinierter Form sprachlichen Ausdruck zu verleihen. Betriebssysteme garantieren die Grammatikalisierung von Szenenvorstellungen, wobei sie in ihrer Verankerung als Wissensbasis in direkter oder indirekter Interaktion mit dem konzeptuellen (in sprachlicher Hinsicht LEXIKALISCHEN) Netzwerk stehen. Sie sind in ihrer Struktur bedingt durch die Architektur der Kognition und wirken im Erwerbsprozeß rekursiv auf diese ein, ohne sie zu transzendieren. Letztendlich stellen sie eine Art permanentes Filter dar, das die Aktivitäten der sprachlich orientierten Kognition bzw. Kommunikation in ein „linguistisches", durch den Habitus des Kollektivs sanktioniertes Standardformat überführt. In dieser Hinsicht sind in Betriebssystemen all diejenigen Komponenten des grammatischen Netzwerks repräsentiert, die zur ROUTINIERTEN, sprachlichen Verarbeitung von sprachlich orientierten Sachverhaltsvorstellungen beitragen. In funktionaler Hinsicht stellen die Betriebssysteme das jeweilige Muster aller sprachlicher Aktivitäten dar, d.h. sie steuern die Aktivierung der sprachlichen Repräsentation von kognitiven und funktionalen Prozeduren, den Skopus ihrer Wirksamkeit und ihre Relevanz für verwandte Aktivierungsprozesse. Somit manifestieren sie sich als Organisationsprinzip grammatischer Ausdrücke im Kontext ihrer standardmäßigen Verwendung. Ihre emergenten Eigenschaften bedingen, daß sie in ihrer gestalthaften Ausprägung abhängig sind vom Grad der Partikularisierung innerhalb der Verarbeitung von Sachverhaltsvorstellungen. Die GSS vermutet, daß die universellen Aspekte der Szenenarchitektur in ALLEN Betriebssystemen zum Tragen kommen, weshalb in inhaltlicher Hinsicht gewisse Minimalanforderungen an sie gestellt werden können. Hierzu zählen (in sicherlich nicht vollständiger Aufzählung):

(14) 1. Betriebssysteme müssen über ein generelles Verfahren zur Abbildung der relationalen Verhältnisse innerhalb einer Szene verfügen. Hierzu zählen vornehmlich FIGURE-GROUND- und URSACHE-WIRKUNGS-Beziehungen.

2. Betriebssysteme müssen die Akteure einer Szene semantisch und funktional hinreichend identifizierbar machen.

3. Jedes Betriebssystem muß notwendigerweise in Beziehung stehen zum ATTENTION FLOW, d.h. zu den basalen Mustern der Informationsgliederung von sprachlichen Äußerungen.

4. Betriebssysteme müssen die Verarbeitbarkeit kognitiver Kategorien bzw. Prozeduren garantieren, d.h. sie müssen zum Beispiel über Möglichkeiten der Modalisierung und Negation von Sachverhaltsvorstellungen verfügen.

5. Betriebssysteme müssen die Einordnung von Szenenvorstellungen in den Systemraum bzw. die Systemzeit eines Individuums (bzw. eines Kollektivs) gewährleisten.

6. Betriebssysteme machen Sachverhaltsvorstellungen sprachlich kommunikabel. Daher steht zu erwarten, daß sie über ein Minimum an Prozeduren verfügen, die vor allem den interindividuellen Informationstransfer ermöglichen. Daraus ergibt sich, daß Betriebssysteme NORMALERWEISE über Indikatoren des Rollentauschs verfügen müssen.

7. Betriebssysteme müssen sicher stellen, daß etwaige Requisiten eines Akteurs ebenso kenntlich gemacht werden können wie, falls notwendig, Angaben über die quantitativen Verhältnisse innerhalb eines aktantiellen Clusters.

Der Ansatz einer GRAMMATIK VON SZENEN UND SZENARIEN geht also zusammenfassend davon aus, daß die sprachlich orientierte Konstruktion von Sachverhaltsvorstellungen in der Regel zumindest folgende Architekturprinzipien mentaler Szenen berücksichtigen muß:

(15) Kausalität ATTENTION FLOW Serialisierung Personalität Zentralität Raum und Zeit Modalität

Damit ist gemeint, daß die mentale Szenenorganisation sich in ihrer sprachlichen Repräsentation dahingehend niederschlagen muß, – daß allgemeine Hypothesen über Ursache-Wirkungs-Verhältnisse eingepaßt werden in den Rahmen der kognitiven Vorgaben der Informationsgliederung (ATTENTION FLOW), – daß die Segmente einer Sachverhaltsvorstellung adäquat serialisiert und eine kommunikative Orientierung auf ein vom Sprecher bestimmtes Zentrum erhalten, – daß die konstruierte Sachverhaltsvorstellung den Systemraum bzw. die Systemzeit der kommunikativen Situation erfaßt und den pragmatischen Kontext modal reflektiert.

Es ist jedoch zu beachten, daß Betriebssysteme letztendlich lediglich einen Ausschnitt aus dem Gesamtparadigma der GRAMMATIK einer Sprache darstellen. Sie sind also keinesfalls mit einem grammatischen System an sich gleichzusetzen, das über eine Vielzahl weiterer Faktoren und linguistischer bzw. funktionaler Kategorieren definiert sein kann. Vielmehr handelt es sich um den prototypischen Kern des Gesamtsystems, das von der Peripherie in unterschiedlichem Maße metonymisch beeinflußt werden kann. Umgekehrt können Strukturen des Kerns (also des Betriebsystems) ihre metaphorische Extension in die Peripherie erfahren, d.h. das Betriebssystem partiell transzendieren (ohne den Raum des grammatischen Netzwerks zu verlassen). Betriebssysteme stellen einen homöostatischen Faktor der sprachlich orientierten Kognition dar: Sie balancieren die Wechselbeziehung zwischen Kognition und Umwelt und zielen darauf ab, daß das kommunikative und wissensverarbeitende System relativ stabil bleibt. In diesem Sinne sind sie als TYPOSTATISCHE Strukturen oder AUCH als HOMÖOSTATISCHE KONSTRUKTIONEN bezeichnet werden: Eben WEIL die Systembasis des Organismus homöstatisch reagiert, reagiert entsprechend auch das INTERPRETATIVE SYSTEM der Kognition. Es „schafft sich" Standardkonstruktionen, um der Forderung nach Homöstasis gerecht zu werden. Über derartige Prozesse erfährt das Individuum ein sprachliches System als PERMANENTES OBJEKT im Piagetschen Sinne, als tendenzielle Invarianz. Betriebssysteme sind also trotz möglicher metaphorischer oder metonymischer Prozesse IN SICH relativ stabil. Eine Veränderung erfolgt in der Regel graduell oder HOROTELISCH. Katastrophale, TACHYTELISCHE Umformungen sind relativ unwahrscheinlich, da hierdurch für einen gewissen Zeitraum in praktischer Hinsicht eine nicht unerhebliche Hemmung in der sprachlichen Kommunikation einer Sprechergemeinschaft eintreten würde, die höchstens als „von außen gesteuert" motiviert werden könnte. Über einen größeren Zeitraum hinweg betrachtet können sich allerdings subtile Änderungen innerhalb sowohl der formalen als auch der funktionalen Architektur der Betriebssysteme zu einem Prozeßergebnis summieren, das dann als ihre markante Umstrukturierung bzw. als METATYPIE beschreibbar ist. Derartige, sekundäre Partikularisierungen sind für sich genommen kaum begrenzt. Sie können einzelne Paradigmata ebenso betreffen wie komplexe co-paradigmatische Strukturen oder das gesamte Betriebssystem. Die Wirksamkeit einzelner endemischer Herde und damit der Grad der Affiziertheit eines Betriebssystems ist für sich genommen kaum quantifizierbar und nur schwach vorhersagbar. In der Interaktion mit primären Partikularisierungen aber – also im Zusammenwirken mit extralinguistischen Größen der Routinierung sprachlichen Tuns – ergeben sich einige Basistypen, die in einer dynamischen Typologie der Grammatikalisierung von Sachverhaltsvorstellungen in Form von Betriebssystemen zusammengefaßt werden können. Betriebssysteme dienen der standardmäßigen Grammatikalisierung von Szenenkonstruktionen. Ohne ihre Aktivierung kann IN DER REGEL eine szenische Vorstellung nicht kommuniziert werden, womit gleichzeitig gesagt wird, daß Betriebssysteme Teil der ONTOLOGISCHEN Bestimmung von „Sprache" sind. Sie bilden damit auch den deduktiven Kern einer Explanation von Sprachsystemen im Sinne der GSS. (16) listet einzelne Aspekte der dependentiellen Natur von Betriebssystemen ab:

(16) KoKo-Bereichø      Szenenarchitektur                    Betriebssystemø
       Figure-Ground         ISA, F/G, F>G                       AEK, Gradierung, Lokalisierung
       Kausalität                U>W                                      AEK, Gradierung
       Attention flow          T>C                                       AEK, Topikalisierung Serialisierung Sequenzen, Cluster Wortstellung        Zentrierung              (n)SAP                                   AEK, Gradierung, Personalität
       Kategorisierung       Typisierung, Requisiten,
                                      Gewichtung                             Klassifikation, Referentialität, Attribution
       Perspektivierung     Arrangement,Maskierung          Diathesen Syntaktische Funktionen
       Raum/Zeit               LokalisierungTemporalisierung
                                      Statisten                                   Deixis, Lokalisierung,Temporalisierung
       Wissensbasis           Modalisierung                          Modus, Negation, Interrogation
       Verankerung           Anker, Scharnier                      Endophorik, Exophorik,Logophorik,Reflexivität
       Intentionalität           SPOT                                      Pragmatische Funktionen, Fokussierung

Diese Parameter, die ich hier im Einzelnen nicht diskutieren kann, spiegeln zumindest partiell die basale, prototypische Organisation der Schnittstelle Kognition<>Kommunikation wider, wobei folgende Zuordnung vermutet werden kann:

(17) Figure-Ground
Kausalität
Kategorisierung
Attention flow
Verankerung
Serialisierung
Intentionalität
Zentrierung
Perpektivierung
Raum/Zeit
Wissenbasis

In grammatikalisierter Hinsicht ergeben sich (in verkürzter Terminologie) somit folgende Cluster-Strukturen:

(18)

AEK
Gradierung
Klassifikation
TAM                         

Endo-/Exo-/Logophorik
Personalität Diathese Deixis

Wortstellung
Pragm. Funktionen

Der Kern eines Betriebssystems wird demnach durch das AKKUSATIV-ERGATIV-KONTINUUM (AEK) konstituiert, das über ISA- bzw. FIGURE-GROUND- und URSACHE-WIRKUNGS-Relationen hinaus über die Grammatikalisierung von Gewichtungsroutinen (SPLIT und/oder FLUID usw.) partikularisiert erscheinen kann. Hinzu tritt die Einpassung von sprachlichen Sequenzen in den routinierten ATTENTION FLOW, die in der Regel ebenfalls vom AEK dominiert ist, womit gleichzeitig eine Regularisierung der Abfolge dieser Sequenzen als „Wortstellung" erreicht wird. Der TAM-Cluster ergibt sich einerseits als Reflex basaler Raum-/Zeit-Zuordnungen, andererseits durch die Interaktion des Kausalitätsvektors mit routinierten Aspekten der Wissensbasis. Personalität und (damit verwandt) deiktische Systeme schließlich repräsentieren die Aktivität der kognitiven Kategorie der „kommunikativen Organisation". Das AEK erweist sich somit als zentrales Steuerungsprinzip der sprachlichen Verarbeitung von Szenenkonstruktionen. Es kann davon ausgegangen werden, daß es kein Betriebssystem, mithin kein Sprachsystem gibt, das NICHT in irgendeiner Form auf diesem Kontinuum angesiedelt werden kann (womit gleichzeitig gesagt ist, daß die GSS die Triade AKKUSATIVITÄT/ERGATIVITÄT/ AKTIVITÄT ablehnt). Seine Partikularisierung erfährt es durch die oben genannten Faktoren, die jedoch für die letztendlich Ansiedlung eines Betriebssystems auf dem AEK in sehr unterschiedlichem Umfang relevant werden können. Besonders virulent sind diesbezüglich der ATTENTION FLOW (und - in Verbindung hiermit - Serialisierungsverfahren) sowie Prozeduren der Zentrierung (d.h. der Einbindung einer Szenenkonstruktion in die kommunikative Situation). TAM-Verfahren üben ebenfalls einen erheblichen Einfluß auf die AEK-bezogene Ausprägung eines Betriebssystems aus, auch wenn dies meist in struktureller Kopplung mit Ursache-Wirkungs-Relationen geschieht. Der Kern eines Betriebssystems kann wie gesagt durch metaphorische Prozesse mit einer zum Teil erheblich ausgestatteten Peripherie versehen werden, die dann gegenläufig wiederum metonymisch auf die Relevanz des Kerns einwirken kann. Als metaphorische Extension des Kerns sind vor allem Klassifikationsstrategien und diathetische Verfahren zu verstehen, die auf Gradierungs- oder Gewichtungsroutinen bzw. auf Varianzen reagieren, die durch die Interaktion des Kausalitätsverktors vor allem mit dem ATTENTION FLOW und Prozeduren der Zentrierung erstehen können. Die Bereiche der „Verankerung" einer Szenenkonstruktion in einen Kontext und der Intentionalität, die beide - wie auch die Modalisierung - stärker als die anderen Komponenten des KoKo-Bereichs mit anderen (pseudo-autonomen) Netzwerkstrukturen der humanen Kognition gekoppelt sind, erscheinen zunächst weniger als periphere Elemente der prototypischen Organisation von Betriebssystemen. Vielmehr stellen sie konstruktive Prozeduren dar, die AUCH für die sprachliche Interpretation von Szenenvorstellungen aktiviert werden können. Sind diese Prozeduren einmal in das allgemeine Grammatikalisierungsverfahren integriert, d.h. sind sie Teil des Betriebssystems geworden, können sie aber massiv auf die Grundstruktur dieses Systems einwirken. Dieser Aspekt wird in der GSS als PRAGMATISIERUNG eines Betriebssystems bezeichnet, wobei allerdings beachtet werden sollte, daß damit zugleich und notwendig eine sekundäre POIEMATISIERUNG (d.h. Routinierung) der aktivierten pragmatischen Prozeduren verbunden ist.

Auch wenn Betriebssysteme eine scheinbare Autonomie besitzen, sind sie doch letztendlich über die Reflexion kategorieller Gegebenheiten innerhalb des KoKo-Bereichs definiert. Es handelt sich folglich bei einem solchen System um eine kategorialtypologische Größe, deren Materialisierung in Form sprachlicher Zeichen oder Funktionen einen zunächst untergeordneten Stellenwert einnimmt. Damit ist auch gesagt, daß die Frage WIE ein Betriebssystem sich schlußendlich sprachlich manifestiert, zunächst sekundärer Natur ist. In der Deskription von Betriebssystemen, d.h. in ihrer empirischen Erfassung ist naturgemäß jedoch von eben diesem Aspekt auszugehen. Betriebssysteme können letztlich nur anhand der harten Daten beschrieben werden. Die formalen Mittel der Abbildung von Betriebssystemen können dabei in funktionaler Hinsicht wie folgt zugeordnet werden:

(19) Syntax: Jede Form der Serialisierung von Elementen;
        Morphosyntax: Relationierung von Elementen morphologischer Paradigmata untereinander (funktionale                           Co-Paradigmati-sierung) oder in Bezug auf Funktionen der Serialisierung;
        Morphologie: Nicht-relationale (paradigmatische) Klassifikation;
        Prosodik: Pragmatische Klassifikation;
        Suprasegmente: Deckungsgleich mit Morphologie und Morphosyntax.

Die formalen Aspekte der Realisierung dieser funktionalen Bereiche stellen einen sekundären Parameter der Charakterisierung von Betriebssystemen dar. Sicherlich sind agglutinierende Techniken anders zu bewerten als etwa analytische Prozeduren, obschon sie grundsätzlich dieselbe Aufgabe zu lösen haben, nämlich die Versprachlichung von Sachverhaltsvorstellungen. Jedoch bedingt die formale Seite, daß die als Zeichenrelation zu interpretierende Beziehung von Kategorien des Betriebssystems und paradigmatischer Realisierung zwischen den drei Zeichentypen IKON, SYMBOL und INDEX bzw. SYMPTOM oszillieren kann. Hierdurch erhalten Betriebssysteme eine zusätzliche Qualität, die ihre weitergehende Typologisierung erlaubt: Ikon, Symbol und Index oder Symptom können als skalare Elemente eines Zeichenclusters beschrieben werden, dem ein Betriebssystem dynamisch zugeordnet ist, etwa:

(20) B(ikon0.2 <> symbol0.7 <> index0.5)

B steht für „Betriebssystem", die Indices sollen Werte zwischen „0" = nicht aktiviert und „1" = vollständig aktiviert anzeigen. Das Beispiel in (20) beschreibt also ein stark von Symbolisierungsroutinen dominiertes, mittelstark indexales und schwach ikonisches System. Die Typisierung eines Betriebssystems erfolgt also auf zwei Ebenen: Einerseits werden die in (19) angezeigten kategoriellen Größen einer Gewichtung unterzogen, was als PRIMÄRE TYPISIERUNG zu bezeichnen ist. Zum anderen müssen diese Größen in Bezug gesetzt werden zu ihrer formalen Gestalt, wobei dies in drei Schritten erfolgen sollte: Erstens für jede Kategorie einzeln, zweitens für die Clusterungen solcher Kategorien und drittens für das sich hieraus ergebende Gesamtsystem der formalen Repräsentation. Diese SEKUNDÄRE TYPISIERUNG ist schließlich in Beziehung zu setzen mit den Ergebnissen der primären Typisierung, wobei durchaus erwartet werden darf, daß rekursive Einwirkungen der formalen Seite auf die kategorielle Partikularisierung vonstatten gehen. Primäre und sekundäre Typisierung sind schließlich in einer einheitlichen Typenbeschreibung zusammenzufassen, die dann die Deskription des Betriebssystems einer Sprache ergibt.

4. Schlußfolgerungen

Die hier allerdings nur in ihren Rudimenten und sehr fragmentarisch vorgestellten Hypothesen über die Möglichkeit eines deduktiven Zugangs zur Sprachtypologie konnten in der Kürze der Zeit nur andeuten, was eigentlich zu leisten gewesen wäre. Es dürfte zumindest deutlich geworden sein, daß die typologische Empirie dringend einer typologischen Theorie (oder besser einer Theorie der Typologie) bedarf. Aus forschungsgeschichtlichem Blick ist die tendenzielle Auseinandersetzung mit diesem Komplex sicherlich erwartbar. Phasen der Akkumulation linguistischer Daten sind bislang in der Regel abgelöst worden von Phasen der Interpretation dieses Materials über deduktiven Hypothesen, wobei das enzyklopädische Dokumentieren relativ analog zur Tradition der frühen Aufklärung eine notwendige Zwischenetappe darstellt, vgl. (21):

(21) Akkumulation (Induktion) > Enzyklopädik > Theorie (Deduktion)

Das Besondere an der gegenwärtigen Situation ist vielleicht, daß typologische Akkumulation und universalistische Theoriebildung parallel laufen, wobei der Konkurrenzkampf beider Verfahren gern als linguistic war zwischen der West Coast Tradition und der East Coast Orthodoxy beschrieben wird. Hierdurch wird das paradigmatische Kontinuum Akkumulation>Enzyklopädik>Theorie-bildung in einen synchronen Diskurs umgebaut, der die Dynamik auf diesem Kontinuum noch beschleunigt. Die hier angedeutete Konzeption von Betriebssystemen stellt vielleicht nichts anderes dar als den Versuch, der forschungsgeschichtlichen Dynamik gerecht zu werden, ohne daß das eigentliche Paradigma, nämlich die Sprachtypologie in ihrer gegenwärtigen Ausprägung aufgegeben wird. Das „Aufgeben" basaler Positionen im Gefolge eines Paradigmenwechsels war bislang meines Erachtens wissenschaftliches Standardverhalten, so wie es sich aus der vita einer Vielzahl von Renegaten ablesen läßt. Die Grammatik von Szenen und Szenarien und mit ihr die Konzeption von Betriebssystemen strebt an, der Sprachtypologie und hier insbesondere der grammatischen Typologie ein relativ einheitliches theoretisches Modell zur Seite zu stellen, das eben nicht als das Aufgeben grundsätzlicher typologischer Verfahrensweisen und Methodiken zur Folge hat. Zu überprüfen ist in jedem Fall die deskriptive Adäquatheit des Modells, aber auch seine Adäquatheit in Hinblick auf die aktuellen Paradigmata der Explanation kognitiver und kommunikativer Gegebenheiten. Letzteres kann nur in einem interdisziplinären Zusammenhang erreicht werden, wohingegen die Überprüfung der deskriptiven Adäquatheit in die Domäne genau der Disziplin fällt, für die die GSS vorgibt, theoretische Formulierungen zu finden, nämlich der klassischen Sprachtypologie. Ob diese in ihrer gängigen Praxis, die gern als business-as-usual-Typology bezeichnet wird, bereit ist, deduktive Modelle zur Kenntnis zu nehmen, wird die Zukunft zeigen. Sie kann sich natürlich auch mit ihrem Alltagsgeschäft zufrieden geben und nur im Bedarfsfall zum explanativen Angebot greifen, das ihr auf dem Jahrmarkt der Interdiszplinarität gemacht wird. Hierdurch wird die Sprachtypologie allerdings kaum den ihr anhaftenden Geruch der argumentativen Beliebigkeit verlieren, wodurch die Gefahr gegeben ist, daß sie zu dem wird, was eine ihrer Vorgängerdisziplinen, nämlich die Indogermanistik zumindest teilweise erfahren mußte: Eine in sich abgeschottete, theoriefeindliche Diskursform, die nur dann zur Integration bereit ist, wenn dem Kanon dieses Diskurses grundsätzlich gefolgt wird. Die katastrophalen Auswirkungen, die ein solcher Prozeß haben kann, hat die Geschichte der MIT-Orthodoxie meines Erachtens hinreichend gezeigt.


Die Basisarchitektur der GSS und ihre theeoretischen Grundlagen sind ausführlicher abgeleitet in:

W. Schulze 1998. Person, Klasse, Kongruenz. Fragmente einer Kategorialtypologie des einfachen Satzes in den ostkaukasischen Sprachen. Band 1 (in zwei Teilen): Die Grundlagen. München/Newcastle: Lincom. xxx, 685pp.

ISBN 3 89586 184 7 (Teil 1)
ISBN 3 89586 552 4 (Teil 2)


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