6. Die Moderne von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis 1950 (B.L. Whorf)


6.1 Sprachursprung in der Aufklärung


Die Sprachursprungsdebatte bleibt bis ins späte 19. Jahrhundert eines der zentralen Themen der Sprachwissenschaft. Mit dem zunehmenden Bedeutungsgewinn der Naturwissenschaften verliert die religiöse Verankerung der Frage an Bedeutung. Vor allem die Rezeption der Evolutionstheorie von Charles Darwin, der sich selbst mit der Frage des Sprachursprungs befasste, führte zu einer veränderten Perspektive.


Jean Jacques Rousseau stellt die Entwicklung der menschlichen Sprache in den Kontext der Entstehung von Gesellschaft. Am Anfang menschlicher Sprache stehen Naturlaute und emotive Interjektionen. Sprache ist zunächst Fortsetzung vormenschlicher Lautäußerungen, dann Reaktion auf Beobachtungsdaten. Erst später werden allgemeine und abstrakte Begriffe gebildet. Basis der Sprache und Unterschied zu Tieren ist des Menschen "Wille, frei zu sein". In seinem "Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes" schreibt er von der "première invention des langues" (S. 27), und setzt sich mit der Entstehung von Grammatik ausführlich auseinander, immer eingebunden in den sozio-kulturellen Kontext der Ausbildung von gesellschaftlicher Ungleichheit. Rousseau bindet dabei Sprache an das Individuum bzw. die Herkunftsgruppe und geht damit im gegebenen Kontext sowohl von einem polygentischen Sprachursprung aus, als auch von unterschiedlichen 'Entwicklungsstufen' der Sprachen

Rousseau steht damit im Widerspruch zum Alten Testament (1. Mose 11 - Turmbau zu Babel), in dem Monogenese angenommen wird: "Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache" (1. Mose 11,1)


In einer Abhandlung argumentiert Johann Peter Süßmilch (1756) gegen J.J. Rousseau , daß alle existierenden Sprachen auf derselben perfekten Evolutionsstufe sind, und gibt Beispiele von der Sophistizität sog. primitiver Sprachen. Als weiteren Beweis der göttlichen Herkunft von Sprache führt Süßmilch an, dass Sprache und Denken sich gegenseitig voraussetzen (s.u.).

Der Vortrag von 1756 wurde 10 Jahre später veröffentlicht unter dem Titel:"Versuch eines Beweises, daß die erste Sprache nicht vom Menschen, sondern allein vom Schöpfer erhalten habe, in der akademischen Versammlung vorgelesen und zum Druck übergeben" Berlin 1766.


Johann Gottfried Herder in seiner Preisschrift "Abhandlung über den Ursprung der Sprache, welche den von der königl. Academie der Wissenschaften für das Jahr 1770 gesetzten Preis erhalten hat" (1770):

"Nun sieht man Einmal, wie trüglich der Beweis für die Göttlichkeit der Sprach aus ihrer Ordnung und Schönheit werde – Ordnung und Schönheit sind da, aber wenn? wie und woher gekommen? Ist denn diese so bewunderte Sprach, die Sprache des Ursprungs? Oder nicht schon das Kind ganzer Jahrhunderte, und vieler Nationen?" (ebd., S. 217)

Herder wendet sich in seiner Schrift direkt gegen die Argumentation Süßmilchs und wendet gegen die Göttlichkeit des Sprachursprungs ein, "wenn keine Vernunft dem Menschen ohne Sprache möglich war: wohl! So ist die Erfindung dieser dem Menschen so natürlich, so alt, so ursprünglich, so charakteristisch, als der Gebrauch jener... Ohne Sprache hat der Mensch keine Vernunft, ohne Vernunft keine Sprache. Ohne Sprache und Vernunft ist er keines göttlichen Unterrichts fähig", (S. 61)

Sprache verhält sich für Herder zu den Tierlauten wie das Denken zum Instinkt (vgl. S 40 ff).

Zur 'Klärung' der Frage, inwieweit die Fähigkeit zur Sprache angeboren ist, wurden immer wieder Versuche (Isolationsexperimente) angestellt:

Ihr Ende fand die Debatte um den Sprachursprung im Jahr 1886: Vgl. die Satzung (Section 2) der Société de Linguistique de Paris aus diesem Jahr:

"a Société n'admet aucune communication concernant, soit l'origine du langage, soit la création d'une langage universelle."

 

6.2 Die Romantisierung der Sprachwissenschaft

 

Parallel zu den oben vorgestellten aufklärerisch-rationalen Ansätzen in der Sprachwissenschaft, gab es als weitere Entwicklung eine Historisierung der Perspektive , die einer Romantisierung der Sprachwissenschaft gleichkam.

Grundlagen:

1. Versuch einer empirischen Basierung von Sprachursprungstheorien

2. Erweiterung der Evidenz sprachlicher Variation (> vergleichende Grammatiken)

Der Begriff der Romantik wurde in England in der Mitte des 17. Jahrhunderts geprägt und wanderte von dort nach Frankreich und Deutschland. Ein wesentlicher Aspekt der Romantik bestand in einer verklärenden Sicht der oberen Gesellschaftsschichten auf das 'einfache' Leben der unteren gesellschaftlichen Schichten. Diese zunächst eher höfische Betrachtung fand Eingang in Kunst, Literatur und begrenzt in die Wissenschaften. In Deutschland kann die Romantik, die hier für den Zeitraum von 1790-1830 angesetzt wird, nochmals in unterschiedliche Abschnitte unterteilt werden:

Es ist bei einer Periodisierung mit der Epoche der Romantik wichtig zu berücksichtigen, dass es sich hierbei nicht um eine historische Epoche wie das Mittelalter oder die Renaissance handelt, sondern eine nur in wenigen Staaten (s.o.) wirksame Ausprägung vor allem im schöngeistigen Bereich. Die Romantik ist als Epocheneinteilung in der Kunstgeschichte, der Literaturwissenschaft und der Musikwissenschaft zuzurechnen.

Sprachwissenschaftlich relevante Entwicklungen waren:

→ Auflösung des regelbasierten Modells sprachlichen Tuns (Anti-Klassik)

→ Fremde Kulturtraditionen als exotische Modelle (Indien, Altägypten, Indianisch)

→ Volkssprache als Evidenz (Herder)

→ Mythos als Ersatz für christliche Begründungszusammenhänge

→ Sprache als 'geistiger' Ausdruck eines kollektiven Mythos

→ Sprache ist apriori-Bedingung für Erkennen der Welt

→ Nationalisierung der Sprache (Humboldt) (Vorratshaus-Metapher s.u.)


Die wichtigsten Vertreter der beiden Richtungen, von denen einige im Folgenden ausführlicher vorgestellt werden, sind:

logos-Mystik (synchron)

Sprachursprung (diachron)

Anthony Ashley (1621-1683)

John Locke (1632-1704)

Giambattisto Vico (1668-1744)

James Harris (1709-1780)

Jean-Jacques Rousseau (1712-1778)

Etienne Bonnot de Condillac (1715-1780)

Johann Georg Hamann1730-1788)

Johann Gottfried von Herder (1744-1803)

Wilhelm von Humboldt 1767-1835)

Job Ludolf 1624-1704)

Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1726)

Christian Jakob Kraus (1753-1807)

William Jones 1746-1784)

Sámuel Gyármathi (1751-1830)

Wilhelm von Schlegel (1767-1845)

Friedrich von Schlegel (1772-1829)

Rasmus Kristian Rask (1787-1832)

Franz Bopp (1791-1867)

Jacob Grimm (1785-1863)

Idealismus

Positivismus

Nota: Samuel Gyármathi, Affinitas linguae hungaricae cum linguis fennicae originis grammatice demonstrata. Mit diesem Werk begründete Gyármathi die Finno-Ugristik.

Christian Jakob Kraus, war ein einflussreicher Spätaufklärer am preußischen Hof. Obwohl kein Sprachwissenschaftler verfasste er eine Rezension des Allgemeinen vergleichenden Wörterbuchs von Pallas.

Peter Simon Pallas (22. September 1741 – 8. September 1811) Deutsch-Russischer Zoologe:

Die Entdeckung des Exotischen

Im Zuge der oben angeführten Mythisierung der literarisch-sprachlichen Welt in der Romantik und der damit verbundenen stärkeren Rezeption fremder Kulturtraditionen als exotischen, und daher auch verklärbaren Modellen, kam es sowohl zu einer Neurezeption entsprechender älterer Werke sowie zur Entstehung einer intensiven Neubeschäftigung mit den fraglichen Sprachen, der durch die europäische Expansion ebenso gefördert wurde wie durch eine zunehmende wissenschaftliche Grundlage, die Neubeschreibungen, Neuinterpretationen und auf dieser Basis auch neue Erkenntnisse ermöglichten.


a) Äthiopisch:

Reichshofrat Hiob Ludolf . Er gilt als der Begründer der Äthiopistik in Europa.


Johann Michael Wansleben (1635-1679, o.Abb.) war ein Schüler von Ludolf. Er veröffentlichte verschiedene Werke zum Äthiopischen:


b) Sanskrit:

Erstmals nachgewiesen ist eine Beschreibung des Sanskrit bei baskischem Jesuiten (Missionar in Goa) Francisco de Yasu y Xavier (1506-1522) [Franciscus Xaverius]

Der Florentiner Kaufmann Filippo Sassetti (1683-1588 Aufenthalt in Indien) verweist auf Ähnlichkeiten der Sanksrit-Zahlwörter mit denen des Italienischen.

Der Jesuit Johann Ernst Hanxleben (1680-173). Er verfasste das Dictionarium Malabaricum Samscridamicum Lusitanum und dazu auch die erste europäische Sanksrit-Grammatik. /Jeweils nur Manuskripte/

Missionar Benjamin Schultze vergleicht 1725 Zahlwörter des Sanskrit mit denen des Lateinischen, Griechischen und Deutschen.

Mönch/Bibliothekar/Antiquar in Berlin Maturin Veyssiere La Croze (1661-1739). Er war angeblich der erste, der die Verwandtschaft des Sanskrit mit dem Persischen andeutete.

Jesuit G.L. Coeurdoux erstellte eine umfangreiche Liste von Wortgleichungen (1767) Sanskrit – Griechisch – Latein (in einem Brief an Pariser Académie des Inscriptions er Belles-Lettres, gedruckt erst 1808)).

Den Ausgangspunkt für Sanksrit-Philologie bildete die Forderung nach der Schaffung eines indischen Rechtstextes in Sanskrit durch Brahmanen (Pandits). Diese Forderung kam von der englischen Kolonialmacht. Dieser wurde erst ins Persische, dann von Nathaniel Brassey (1751-1830) in Englische übersetzt:

Sir Charles Wilkins

Sein wichtigstes Werk ist die Bhagavadgitā (The Bhagvat-Geeta, Or, Dialogues of Kreeshna and Arjoon; In Eighteen Lectures; With Notes. Translated from the Original, in the Sanskreet or ancient language of the Brāhma(ns, London 1785, 1785 Russisch, 1787 Franz., 1801 Deutsch). Die deutsche Übersetzung beeinflusste die Literatur der deutschen Romantik.



Sir William Jones

Soll 28 Sprachen beherrscht haben.

Am 2. Februar 1786 Rede vor der von ihm gegründeten 'Asiatic Society' (> 'Asiatic Society of Bengal' seit 1839): On the Hindus. Die Kernthese dieser Rede lautete:

Sanskrit stammt mit Griechisch und Latein von einer gemeinsamen Wurzel ab, die vielleicht nicht mehr existiert. Dazu (auch wenn Evindenz nicht so 'forcible') auch Gothisch und Keltisch ('blended with a very different idiom'), dazu 'Old Persian'. (1788:422-3). Kriterium der Übereinstimmung: 'the roots of verbs and in the forms of grammar'

Als weiter wichtiger Vertreter ist noch Henry Thomas Colebrooke(1765-1837) zu nennen, der zunächst Richter, später 'Prof. of the Sanscrit Language' am College von Fort Williams in Indien war. Werke: U.a. Panini-Rezeption (1803, 1810), dann 1805 'A grammar of the Sanscrit language'


c) Altägyptisch

Einerseits lebten antike Lesarten weiter. Hier ist besonders der Jesuiten Athanasius Kircher (1602-1680) zu nennen. Er übersetzte ein Koptisch-Arabisches Vokabular (mitgebracht von Pietro della Valle: Prodomus Coptus sive Aegytiacus (1636). Kircher machte Koptisch zum wissenschaftlichen Gegenstand und versuchte eine weitergehende Deutung der Hieroglyphen.

Weitere Versuche von Joseph de Guignes (1721-1800), William Warburton (1698-1779) und Carsten Niebuhr (1733-1815)

1799: Entdeckung des Steins von Rosetta durch franz: Soldaten bei Schanzarbeiten in Rosetta

- Der Stein ist ein Griechisch/Demotisch/Hieroglyphische Trilingue

- Nur kleiner Teil des Hieroglyphischen erhalten

- Inhalt: Dekret zu Ehren des König Ptolemäus Epiphanes (196 v.Chr.)

Der Stein von Rosetta wurde von Engländern 'erobert', Kopie kam in die Hände des franz. Orientalisten Silvestre de Sacy . Dieser versuchte vergeblich, den Text zu übersetzen und übergab die Kopie an den schwedischen Diplomaten Åkerblad in Paris, orientalistischer Privatgelehrter.

In zwei Monaten schaffte es Åkerblad demotische Namen und Wörter für 'Tempel' und 'Griechen' zu identifizieren, hatte aber eine 'alphabetische Hypothese' (< Koptisch). Seine Ergebnisse publizierte er 1802 in 'Lettre à Mr. de Sacy'

Eine Parallelisierung Demotisch-Hieroglyphisch erfolgte durch Thomas Young (Begründer der Theorie des Lichts) 1814-16. Er konzentrierte sich auf Kartuschen > Königsnamen

 

Jean François Champollion gelang es schließlich im Jahr 1822 den Stein zu entziffern. Er stellte seine Erkenntnisse der Öffentlichkeit am

29. September 1822 vor: Er hielt einen Vortrag an der Akademie mit dem Titel: Lettre à M. Dacier relative à l'aphabet des hiérogylphes phonétiques.

1824 folgte: Précis du système hiéroglyphique.


d) Indianische Sprachen

Hier ist besonders Lorenzo Hervás y Panduro (1735-1809) zu nennen. Bis zur Vertreibung der Jesuiten aus Südamerika (1767) war er in der Mission tätig, später arbeitete er als Bibliothekar im Quirinal in Rom.

Hervás y Panduro sammelte Aufzeichnungen anderer Missionare zu Sprachen und Kulturen (Grammatiken und lexikalische Sammlungen)

1784: veröffentlichte er den 17. Band einer 21-bändigen Enzyklopädie: Catalogo delle lingue conoscìute e notizia della loro affinità e diversità, daraus 1800-1805 sechsbändige Version (Spanisch):

Catálogo de las lenguas de las naciones conocidas y numeración, divisón, y clases de estas según la diversidad de sus idiomas y dialectos

Grammatiken und lex. Listen von ~ 300 Sprachen

Band I (Indianersprachen)

Band II (Indischer und Pazifischer Ozean)

Band III (Asien)

Band IV-VI (Europa)

Hervás y Panduro schaffte die erste umfassende Klassifikation der amerindischen Sprachen


e) Persien/Babylonien

(u.a. Carsten Niebuhr (ohne Abb.) und Georg Friedrich Grotefend, der Entzifferer der Keilschrift.

Wichtige Werke Grotefends:

→ Anfangsgründe der deutschen Prosodie. (Gießen 1815)

→ Lateinische Grammatik. 2 Bde. (Frankfurt am Main 1823 - 1824)

→ Neue Beiträge zur Erläuterung der persepolitanischen Keilschrift. (Hannover 1837)

→ Rudimenta linguae umbricae. 8 Hefte (Hannover 1835 - 1838)

→ Rudimentae linguae oscae. (Hannover 1839)

→ Zur Geschichte und Geschichte von Altitalien. 5 Hefte (Hannover 1840 - 1842)


f) Indogermanistik

Johann Christoph Adelung (1732-1806), Verfasser des Mithridates oder allgemeine Sprachenkunde mit dem Vater Unser als Sprachprobe in bey nahe fünfhundert Sprachen und Mundarten (Berlin 1806-1827, 4 Bände, Band 2-4 von Johann Severin Vater (1771-1826))

- von Leibniz etc. angeregte Universalglossar-Tradition,

- Veröffentlicht bereits 1781 eine Schrift Über den Ursprung der Sprachen und den Bau der Wörter, besonders des Deutschen. Die Schrift ist Explanativ und eine Mélange aus Sprachkontakt-Erklärungen (E.g. Deutsch-Persisch aus Zeit der Völkerwanderung) und Urverwandtschaftshypothesen

Die Etablierung der historischen Sprachwissenschaft erfolgt durch die Brüder Schegel etc.

Konkretisierung des Indogermanischen:

Preisfrage der Königlich Dänischen Gesellschaft der Wissenschaften (1813):

"Mit historischer Kritik zu untersuchen und mit passenden Beispielen zu erläutern, aus welcher Quelle die alte skandinavische Sprache am sichersten hergeleitet werden kann; den Charakter der Sprach und das Verhältnis anzugeben, worin sie seit den älteren Zeiten und während des Mittealters teils zu nordischen, teils zu germanischen Dialekten gestanden hat; und die Grundsätze genau zu bestimmen, worauf alle Herleitung und Vergleichung in diesen Sprachen aufgebaut werden muss."


 

Rasmus Kristian Rask reichte 1814 seine Preisschrift "Undersøgelse von det gamle Nordiske eller Inslandske Sprogs Oprindelse" ein. Sie erschien erst 1818.

 

 



Zwischenzeitlich (1816) erschien in Frankfurt Franz Bopps:

 

"Über das Conjugationssystem der Sanskritsprachen in Vergleichung mit jenen der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache. Nebst Episoden des Ramajan und Mahabharat in genauen metrischen Übersetzungen aus dem Originaltexte und einigen Abschnitten aus den Veda's."


Die mystische Tradition der Romantik

Für diese Tradition der Romantik werden im Folgenden drei einflussreiche und wirkmächtige Vertreter vorgestellt:

Johann Georg Hamann

"Was mich vom Geschmack der Theologie und aller ernsthaften Wissenschaften entfernte, war eine neue Neigung, die in mir aufgegangen war, zu Alterthümern, Critic --- hierauf, zu den sogenannten schönen und zierlichen Wissenschaften, Poesie, Romanen, Philologie, den französischen Schriftstellern und ihrer Gabe zu dichten, zu mahlen, schildern, der Einbildungskraft zu gefallen etc" (Hamann ges.Werke II:21)

Hamann beendete sein Studium nicht und wurde Hofmeister auf baltischen Gütern, Handlungsreisender, Sekretär, Packhofverwalter

1755-58: 'Bekehrungskrise' in London und Riga: Wirtschaftliche Misserfolge veranlassten Hamann, sich intensiv mit der Bibel auseinanderzusetzen. Während seiner Londoner Zeit kommt es zur Rezeption von Thomas Blackwell (schott. klass. Philologe, 1701-1757): An Inquiry into the Life and Writings of Homer, London 1735)

Blackwell formuliert (erneut) den emotiven Ursprung der Sprache (Gefühlsäußerungen, Interjektionen, Aua-Hypothese), basierend auf Titus Lukrez (gest. 55, Materialist, Rationalist, mit seiner Rezension der Schriften des Epikur im fünften Buch seiner de natura rerorum).

Hamann kannte wohl auch

Hamanns Grundpositionen lassen sich wie folgt beschreiben:

Hamann: Sprache ist kein Werkzeug der Vernunft, sondern sie greift in die 'tiefsten Strukturen des Denkens ein'.

Sprache ist nach Hamann ein URFAKTUM, eine Primitive, eine unauflösbare Einheit, historisch nicht zu erklären. Sprache ist gelehrt von Gott und geht der 'Logik' (falls diese überhaupt existiert) in jedem Fall voraus.

Hamann stand von 1763-69 in Briefwechsel mit Herder, dadurch wird Hamann-Rezeption überhaupt erst angestoßen.


Johann Gottfried Herder

Herder war der Sohn eine pietistischen Kantors, studierte zunächst Medizin, Theologie und Philosophie in Königsberg. Er wurde beeinflusst von Kant, Hamann und Rousseau

Weitere Studien in Königsberg: physikalische Geographie, Astronomie, Menschen-, Völker- und Naturgeschichte, Mathematik, Philosophie (bei Kant, seit 1755 PD in Königsberg). Ab 1760 Famulus und Kopist für den Diakon Trescho, frühzeitig interessiert an Reisebeschreibungen, Theologie, Dichtung dank der Bibliothek von Trescho.

Lernt Englisch bei dem aus England zurückgekehrten Hamann, dazu Althochdeutsch und Nordische Sprachen.

Weitere Stationen: Prediger in Riga (1764-1769), Reise nach Paris und Nantes 1767, Wende von der Aufklärung zum Sturm und Drang. Später kirchlicher Beamter in Bückeburg und Weimar.

In der Riga'er Zeit legt Herder die Grundlagen für seine Forschungen zur Volksdichtung:

Zur Grundlage für alle weiteren Theorien Herders wurde seine Schrift zur Preisfrage der Berliner Akademie von 1769:

Die Preisfrage lautete: "En supposant les hommes abandonnés à leurs facultés naturelles, sont-ils en état d'inventer le language? Et par quels moyens parviendront-ils d'eux mêmes à cette invention?"

Titel der Schrift Herders: "Abhandlung über den Ursprung der Sprache, welche den von der königl. Academie der Wissenschaften für das Jahr 1770 gesetzten Preis erhalten hat" (1770):

Mit dieser Schrift grenzte sich Herder auch gegen Hamann ab, der aufgrund seiner religiösen Verortung der Sprache bereits in der Bewertung der Preisschrift Michaelis' (s.u.) Kritik an Herder geübt hatte:

Hamann vertritt dagegen eine religiös basierten Ansatz: Sprache entsteht durch die Interaktion (Kommunikation) des in der Geschichte handelnden Gottes mit dem (durch den Sündenfall) gefallen Menschen. Vgl. dazu die folgenden Stellen aus der Genesis:

Gen 2,15-3-13

15 Gott, der Herr, nahm also den Menschen und setzte ihn in den Garten von Eden, damit er ihn bebaue und hüte.

16 Dann gebot Gott, der Herr, dem Menschen: Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen,

17 doch vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse darfst du nicht essen; denn sobald du davon ißt, wirst du sterben.

18 Dann sprach Gott, der Herr: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein bleibt. Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht.

19 Gott, der Herr, formte aus dem Ackerboden alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Himmels und führte sie dem Menschen zu, um zu sehen, wie er sie benennen würde. Und wie der Mensch jedes lebendige Wesen benannte, so sollte es heißen.

20 Der Mensch gab Namen allem Vieh, den Vögeln des Himmels und allen Tieren des Feldes. Aber eine Hilfe, die dem Menschen entsprach, fand er nicht.

21 Da ließ Gott, der Herr, einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, so daß er einschlief, nahm eine seiner Rippen und verschloß ihre Stelle mit Fleisch.

22 Gott, der Herr, baute aus der Rippe, die er vom Menschen genommen hatte, eine Frau und führte sie dem Menschen zu.

23 Und der Mensch sprach: Das endlich ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch. Frau soll sie heißen; denn vom Mann ist sie genommen.

24 Darum verläßt der Mann Vater und Mutter und bindet sich an seine Frau, und sie werden ein Fleisch.

25 Beide, Adam und seine Frau, waren nackt, aber sie schämten sich nicht voreinander.

Gen 3:

1 Die Schlange war schlauer als alle Tiere des Feldes, die Gott, der Herr, gemacht hatte. Sie sagte zu der Frau: Hat Gott wirklich gesagt: Ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen?

2 Die Frau entgegnete der Schlange: Von den Früchten der Bäume im Garten dürfen wir essen;

3 nur von den Früchten des Baumes, der in der Mitte des Gartens steht, hat Gott gesagt: Davon dürft ihr nicht essen, und daran dürft ihr nicht rühren, sonst werdet ihr sterben.

4 Darauf sagte die Schlange zur Frau: Nein, ihr werdet nicht sterben.

5 Gott weiß vielmehr: Sobald ihr davon eßt, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse.

6 Da sah die Frau, daß es köstlich wäre, von dem Baum zu essen, daß der Baum eine Augenweide war und dazu verlockte, klug zu werden. Sie nahm von seinen Früchten und aß; sie gab auch ihrem Mann, der bei ihr war, und auch er aß.

7 Da gingen beiden die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren. Sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich einen Schurz.

8 Als sie Gott, den Herrn, im Garten gegen den Tagwind einherschreiten hörten, versteckten sich Adam und seine Frau vor Gott, dem Herrn, unter den Bäumen des Gartens.

9 Gott, der Herr, rief Adam zu und sprach: Wo bist du?

10 Er antwortete: Ich habe dich im Garten kommen hören; da geriet ich in Furcht, weil ich nackt bin, und versteckte mich.

11 Darauf fragte er: Wer hat dir gesagt, daß du nackt bist? Hast du von dem Baum gegessen, von dem zu essen ich dir verboten habe?

12 Adam antwortete: Die Frau, die du mir beigesellt hast, sie hat mir von dem Baum gegeben, und so habe ich gegessen.

13 Gott, der Herr, sprach zu der Frau: Was hast du da getan? Die Frau antwortete: Die Schlange hat mich verführt, und so habe ich gegessen.

Bereits vor dem Verfassen seiner eigenen Preisschrift hatte Herder ebenso wie Hamann auf die Preisschrift zur Akademiefrage von 1759 reagiert: Quelle est l'influence des opinions du people sur le language et du language sur les opinions?) [sieben anonymisierte Einsendungen]


Gewinner war Johann David Michaelis, Professor für orientalische Sprachen in Göttigen. Der Titel Preisschrift lautete. Über den Einfluss der Meinungen auf die Sprache und der Sprache auf die Meinungen. Bremen 1762. Der Text wurde später kaum rezipiert. In: Fragmente über die neuere deutsche Literatur (1768)

Herder: Menschliche Perzeption ist gekoppelt mit Sprache/Sprachursprung. Sprache transzendiert das Instinkthafte der Vor-Menschen, begründet durch die 'natürliche Besonderheit' der Sprachfähigkeit:

→ Sprache ist WÜRDE des MENSCHEN

→ Die Vorstellung von Gott als Sprachlehrer, als ein Gott gleichsam mit "Zähnen und Zunge" ist dem Menschen unwürdig ("zweydeutig, unphilosophisch, unästhetisch")

Michaelis: Notre langue nous apprend à penser, il nous retient dans l'ignorance ou favorise nos connaissances (...) il exerce un empire continuel sur nos esprits' (in: Discours sur la question proposée par l'academie..., 1760:62)


Auch Hamann rezensierte Michaelis-Preisschrift in seinem Essay Philosophische Einfälle und Zweifel über eine akademische Preisschrift. In seiner Rezension kritisiert Hamann Herder (und sich selbst über den Aristobulus, des Hausmeister):

Wenn Sprache damals wie heute gelehrt wurde und dies anfangs nicht der Mensch war, und nicht Gott, bleibt nur das Tier übrig, vorzugsweise die Schlange (die mit Adam kommuniziert). Also käme ein "Unthier und Thier instinklos instinktiv zur Sprache."

Hamann: Sprache ist ein apriori-Phänomen. Herder's "Böhschafexempel" stimmt nicht, weil Sprache communicatio ist.

Hamann: Mensch kann sich nur in der gegebenen Abhängigkeit von Gott erkennen. Abhängigkeit wird ihm durch das 'Wort' offenbart. Vgl. "Ritter vom Rosenkreuz – Über den göttlichen und menschlichen Ursprung der Sprache":

Kritik an Sprachursprungstheorien kann nur die unüberschreitbare Grenzen der humanen Erkenntnis feststellen.

Ergebnis: Analyse der Beweggründe, des ideologischen Interesses an Thesen, die diese Grenzen überschreiten.

- Ohne Sprache gibt es keine Vernunft, und ohne Vernunft gibt es keine Sprache

- Wörter haben ein ästhetisches und ein logisches Vermögen

  • Sprache ist das einzige und letzte Organon (!) und Criterion der Vernunft, ohne ein anderes Creditiv als Überlieferung und Usum" (N III,284)
  • → Ohne Sprache hätten wir keine Vernunft, ohne Vernunft keine Religion, und ohne diese drey wesentlichen Bestandtheile unserer Natur weder Geist noch Band der Gesellschaft (in Briefwechsel mit Jacobi 1783, V:95)

    Wort -> Vernunft -> Religion/Welt

    Language -> Thought -> Reality

    Michaelis nimmt eine relativ stark rationalistische Haltung ein, die z.T. auch von Herder positiv aufgegriffen, e.g. Amas-Methaper:

    Michaelis: Les langues sont l'amas de la sagesse et du génie des nations, ou chacun a mis du sein (§ I (p.27)

    Herder greift diese Metapher wie folgt auf: Jede Nation hat ein eigenes Vorrathshaus solcher zu Zeichen gewordener Gedanken: dies ist die Nationalsprache, ein Vorrath, zu dem sie Jahrhunderte zugetragen...- der Gedankenschatz eines ganzen Volkes (ges. Werke II:13)


    Michaelis vermittelt in Deutschland auch die romantischen 'Vorläufer' aus England, z.B.

    → Robert Lowth (1710-1787, Hebräist, Bischof)

    → Thomas Percy (1729-1811, Bischof)

    Thematisch reflektiert 2. die Rennaissance-Zeit (Wortkunst, Wesen und Wert von 'Sondersprachen' etc.); sie basiert u.a. auf Leibniz:

    "..., daß die Gelehrten ebene in der Walisischen, Biscaischen, Slavischen, Finnischen, Türkischen, Persischen, Armenischen, Georgischen und anderen Sprachen arbeiteten, um deren Übereinstimmungen zu entdecken, was (...) besonders dazu dienen würde, den Ursprung der Nationen aufzuklären. (...) Da die die Sprachen im Allgemeinen die ältesten Denkmäler der Völker noch vor der Schrift und den Künsten sind, so zeigen sie auch am besten den Ursprung der Verwandtschaft und Wanderungen an" (Leibniz: Neue Abhandlungen über den Menschlichen Verstand)

    Harris: Wendet sich gegen konkrete Sprachwissenschaft, aber nicht pro Universalgrammatik, vielmehr lassen sich seine Positionen so beschreiben:

    - Ästhetische Basis: Kunst ist Ausdruck des Menschlichen Inneren, gegen 'Kunst ist Nachahmung der Natur')

    - Sprachmittel (Materie à la Aristoteles) haben Symbolcharakter, sind Symbole der 'general ideas', der Allgemeinbegriffe, direkt mit dem göttlichen Urprinzip verbunden (> Hamann)

    - Bereich der Allgemeinbegriffe (göttlichen Ursprungs) wird im Menschen auf verschiedene Art getrübt [> Whorf-Korczibsky-Hypothese]

    → da Sprache Innenwelt der Sprecher widerspiegelt, ist aus ihr die eigentümliche Beschaffenheit der 'general ideas', die 'geistige Lage der Sprecher' zu erkennen.

    → Lexikon reflektiert 'kulturelle Lage' einer Sprachgemeinschaft (Überlegenheit des Griechischen) [schon angelegt bei Francis Baco (1561-1626) in De dignitate et augmentis scientiarum: Römer → Handwerker, Griechen → Künstler)

    → Leibniz: "Les langues sont le meilleur mirroir de l'esprit humain" (III:7,6)

    Friedrich Wilhelm Christian Karl Ferdinand Freiherr von Humboldt

    1787 immatrikulieren sich Wilhelm und Alexander von Humboldt an der Universität in Frankfurt/Oder.

    Bereits nach einem Semest ging Wilhelm von Humboldt an die Universität Göttingen. Dort studierte er drei Semester klassische Philologie und Naturwissenschaften u.a. bei Georg Christoph Lichtenberg und rezipierte Kants. In Göttingen kam es zur Freundschaft mit August Wilhelm Schlegel und Friedrich Heinrich Jacobi (1712-1791, Mathematiker und Philosoph, bekannt für: Sammlung einiger Erfahrungen und Mutmaßungen vom Erdbeben’ (anläßlich Lissaboner Erdbeben (1.11.1755) und Parallelbeben in Hannover 18.2.1756).

    Ebenfalls in Göttingen erhielt Wilhelm von Humboldt eine Einführung in die Staatswissenschaften und die Philosophie (Rezeptionder Arbeiten von Leibniz.)

    Im August 1789 besuchte Humboldt Paris, das Rheinland und die Schweiz.

    Von Januar 1790 bis 1791 war er in preußischen Staatsdiensten (Legationsrat und Referendar).

    1791-94 lebte er auf den Familiengütern seiner Frau in Thüringen (Caroline von Dacheröden, Tochter eines preußischen Kammergerichtsrates).

    Im Jahr 1794 war er in Jena "kritischer Berater und Mitarbeiter" Friedrich von Schillers und später Johann Wolfgang von Goethes.

    Im November 1797 Übersiedlung mit der Familie nach Paris.

    Von November 1799 bis April 1800 längere Reise nach Spanien, an die sich im Frühjahr 1801 Reise ins Baskenland anschließt. Im Zusammenhang mit dieser Reise beginnt er das Studium Baskisch, Beginn der sprachwiss. Interessen

    → 1803 wieder im Staatsdienst, bis Ende 1808 als preußischer Ministerresident am Heiligen Stuhl in Rom.

    → Beschäftigte er sich neben dem Baskischen auch mit amerikanischen Indianersprachen und mit Übersetzungen aus dem Griechischen.

    Seine Residenz in der Villa Gregoriana war Treffpunkt von Künstlern und Gelehrten (Salon-Tradition), u.a. Germaine Baronin de Staël (1766-1817), August Wilhelm Schlegel und Samuel ‚Estese’Coleridge (1772-1834).

    Ab Februar 1809 Direktor der Sektion für Kultus und Unterricht im preußischen Innenministerium.

    Von 1815 bis 1819 preußischer Bevollmächtigter auf dem Bundestag in Frankfurt/Main, dann Vorsitzender einer Steuerreform-Kommission und preußischer Gesandter in London.

    1819 Rückkehr nach Berlin, um den Posten des Ministers für ständische Angelegenheiten Berlin zu übernehmen. Nach einem Konflikt mit Friedrich Freiherr von Hardenberg schied er 1820 aus dem Staatsdienst aus. Er zog sich auf den Familiensitz in Tegel zurück, und widmete sich dort sprachwissenschaftliche Forschungen.

    Humboldt sprach fließend Latein, Französisch, Italienisch, Englisch, beherrschte außerdem Griechisch. Weiter studierte bzw. lernte er:

    Spanisch, Baskisch, Litauisch, Ungarisch, Tschechisch, Koptisch, Altägyptisch (!), Arabisch, Chinesisch, Sanskrit, malayo-polynesische Sprachen Burmas, Neuseelands, Tahitis, Madagaskars, Kavi.

    Generelle Einbettung Wilhelm von Humboldts: Romantische, mystische Sprachwissenschaft



    Sprachwissenschaftlich wichtige Werke von Wilhelm von Humboldt:

    Humboldt, Wilhelm von 1836-39, Über die Kawi-Sprache auf der Insel Java, nebst einer Einführung über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluß auf die geistige Entwickelung des Menschengeschlechtes. Hrsg. v. Buschmann. 3 Bde.

    Humboldt, Wilhelm von 1972, Schriften zur Sprachphilosophie. (= Bd.III von Werke in fünf Bänden, hrsg. v. A. Flitner & K. Giel). Darmstadt : Wiss. Buchges.

    Humboldt , Wilhelm von 1973, Schriften zur Sprache. Hrsg. von M. Böhler. Stuttgart : Reclam (Universal-Bibliothek, 6922-24)


    Eines der bekanntesten Werke Humbolds ist seine Beschreibung des Kawi:

    Austronesisch

    → Malayo-Polynesisch

    → Westl. Malayo-Polynesisch

    → 'Sundic'

    → Java → Kawi (Old Jawa, 9-16. Jh.)

    → Sunda (West-Java)

    → Bali etc.

    Beispielanalyse

    dheweke těka neng kĕdhaton (Modernes Jawa)

    he come ILL palace

    těka ta sira ri ng kadhatwan (Kawi)

    come TOP he ILL DEF palace

    'Er kommt in den Palast.'

    Humboldt förderte Sprachwissenschaftler,so z.B. Franz Bopp, der 1825 den Lehrstuhl für orientalische Literatur und allgemeine Sprachkunde an Universität Berlin erhielt (von Humboldt mitgegründet)

    Humboldt war ein typischer homme de lettres.

    Der Stil der Humboldtschen Argumentation kommt 'mystischer Sprachwissenschaft' nah (so e.g. Kritik von Vilhelm Thomsen in: Geschichte der Sprachwissenschaft bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts (1927)

    Siehe hierzu folgende Zitat aus Heymann Steinthal's Habilitationsschrift Die Sprachwissenschaft Wilhelm von Humboldt's und die Hegel'sche Philosophie (1848).

    „Die Dunkelheit, welche in Humboldts Schriften unleugbar sich findet, rührt keineswegs von der Methode her, sondern ganz vorzüglich aus der Neuheit und der Gediegenheit der Ideen, denen sich nicht sogleich die Sprachform anschmiegen will. Für die Tiefe seines Gefühls und seiner Gedanken fanden sich nicht immer die sie ganz in sich begreifenden und wiedergebenden Worte. Aus jedem Satze wehet uns ein unaussprechliches Etwas an, was uns ahnen läßt, es liege in den Worten nicht alles wirklich ausgedrückt, was sie bedeuten sollen; und wir fühlen uns immer von neuem getrieben, dieses über den wörtlichen Ausdruck Ueberschwankende uns klar zu machen. Wir fürchten immer, Humboldts Worte noch nicht vollkommen verstanden zu haben. So verstärkt ihre Dunkelheit nur den Reiz, sie aufzuhellen. Darin liegt das Anregende, welches Humboldts Werke für immer ausüben werden. Sie werden nur bei reger, lebendiger Selbstthätigkeit des Lesers verstanden und wollen weniger nur aufgefasst als nachgeschaffen werden. Humboldt hat keine feststehenden Formeln, die man sich aneignen, mit einer gewissen Geschicklichkeit handhaben könnte, ohne dass man ihren wahren Geist erfasst hat. Wer sich aber mit Fleiss und auch mit Liebe, d.h. mit Vergessung seiner eigenen vorgefassten Gedanken den Ideen Humboldts hingegeben hat, der findet dann auch sicherlich zum Lohne mehr als er gesucht hatte.“


    [STEINTHAL, Heymann (auch Chajim, Heinemann oder Heinrich), 16.5.1823-19.3.1899

    → Sprachforscher

    → mit Moritz Lazarus (1824-1903) Begründer der Völkerpsychologie,

    →1847 Dissertation `De pronomine relativo commentatio philosophico-philologico, cum excursu de nominativi particula' (Tübingen)

    →1849 Habilitation in Berlin

    → Bis 1852 Privatdozent an der Berliner Universität: Grammatik, Klassifikation der Sprachen, Sprachgeschichte und Sprachphilosophie.

    Von 1852 bis 1856 → Paris→ Studien der chinesischen Sprache, in London → afrikanische Sprachen. → Erst 1862 außerordentliche Professur in Berlin.

    → 1872 Dozent an der neu errichteten Hochschule für Wissenschaften des Judentums in Berlin.]


    Humboldt'sche Werke schwach adressatenorientiert!

    "Der Mensch ist nur Mensch durch Sprache; um aber die Sprache zu erfinden, musste er schon Mensch sein" (homo loquens)

    Vgl. den Schriftsteller Percy Bysshe Shelley (1792–1822) (Romantik)

    “He gave man speech, and speech created thought,
    Which is the measure of the universe;”

    “Der Mensch lebt mit den Gegenständen hauptsächlich, ja…sogar ausschliesslich so, wie die Sprache sie ihm zuführt.” (Humboldt)


    → FORMA FORMANS statt FORMA FORMATA

    Dabei grundlegende FORM-Basis: Klassifikation à la Schlegel:

    → Isolierend, agglutinierend, flektierend (+ analytisch/Synthetisch bei August Wilhem von Schlegel)

    → Humboldt : + 'einverleibend' (inkorporierend), weitergeführt u.a. durch August Schleicher 1850)

    → Morphologischer 'Verfall' der indogermanischen Sprachen kein Verfall (der Kultur) [so häufig in der Romantik], sondern 'geistige Höherentwicklung'

    → Ökonomie: 'Verlust' schafft Raum für 'höhere begriffliche Leistungen' (sic!)

    [Modern: Prokrustes-Bett der Morphologie wird durch pragmatische Variabilität (und damit reizgetreue(re) Sprachstruktur) ersetzt]


    Humboldt : Wichtiger als formale Varianz ist semantische Varianz

    - Sprachliche Weltansicht (Weltbild erst bei Weisgerber, Anfang des 20. Jh.).

    - Innere Sprachform (von Humboldt nicht definiert)

    Weltansicht: Art des Gegebenseins der Welt in den Kategorien einer Sprache. Sprache führt die Welt in den Gedanken. (das Worten der Welt à la Weisgerber)

    Innere Sprachform: Begriffsbildung und semantischer Aufbau von Wörtern und Sätzen, d.h. signifié-Ebene als eigenständige FORM.


    Angelehnt an James Harris Form Internal, Antony Ashly-Cooper Shaftesbury’s (1671- 1713) Inward Form, Plotin's (Neuplatoniker, um 200-270) tó éndon eídos, Aristoteles : Entelechie 'was in sich selbst ein Ziel hat': Die Form, die sich im Stoff verwirklicht, das aktive Prinzip, welches das Mögliche erst zum Wirklichen macht (wird von Aristoteles auch energeia genannt !). E.g. 'Seele' Entelechie des Körpers, verwirklicht durch Veränderung und Tätigkeit

    → Goethe: Ein Stück Ewigkeit, das den Körper belebend durchdringt (!)

    Vgl. Wirklichkeit als das, was wirkt (mystischer Begriff der Scholastik, im 17. Jahrhundert umgedeutet) < das was tätig ist

    Walter Porzig arbeitet in Der Begriff der inneren Sprachform (1929) vier Zugangsarten zur inneren Sprachform heraus:

    1. Positivistisch: Innere Sprachform gibt es nicht (e.g. Jungrammatiker, Berthold Delbrück (1842-1922)

    2. Psychologisch (à la Wilhelm Wundt1832-1920): = Psychische Vorgänge, die die äußere Form der Sprache bestimmen (aber nicht von ihr bestimmt werden (Wundt)).

    3. Phänomenologisch (à la Edmund Husserl (1859-1938)): Eine Art 'Grammatik des (idealen) Denkens' und ihre (partielle) Abbildung in der Sprache

    4. Das Gemeinte im Gesagten (historisch, Invarianz etc. à la Anton Marty (1847-1914)

    Walter Porzig (1895-1961, zur ideologischen Ausrichtung vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Porzig): Innere Sprachform = "die mit der äußeren Sprachform in Wechselwirkung stehenden Appertezptionsformen einer Sprachgemeinschaft" (1923:167)


    Leo Weisgerber (1899-1985, zur ideologischen Ausrichtung vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Leo_Weisgerber): (in: Muttersprache und Geistesbildung 1929): Wir verstehen unter der inneren Sprachform einer Sprache die Gesamtheit der Inhalte dieser Sprache, also alles, was in dem begrifflichen Aufbau des Wortschatzes und dem Inhalt der syntaktische Formen einer Sprache an gestalteter Erkenntnis niedergelegt ist" (p.86) <<<< AMAS-Metapher

    Daraus folgt: ENERGEIA: Sprache ist Tätigkeit, nicht Werk (ERGON)

    Grundlage: "Die Sprache [ist] das Organ des inneren Seins, dies Sein selbst, wie es nach und nach zur inneren Erkenntnis und zur Äußerung gelangt".

    Ernergeia: Eigenschaft, "die sich ewig wiederholende Arbeit des Geistes, den artikulierten Laut zum Ausdruck des Gedankens fähig zu machen" (>> sinnzeugend bei Erich Heintel)

    Humboldt:

    → SPRACHE IST EIN INTELLEKTUELLER INSTINKT DER VERNUNFT

    → Organ des inneren Seins

    → Sprache gehört zur Physiologie des intellektuellen Menschen (also nicht biologisch)

    Zwei Zitate:


    1) „Das Studium der Sprachen des Erdbodens ist also die Weltgeschichte der Gedanken und und Empfindungen der Menschheit. Sie schildert den Menschen unter allen Zonen, und in allen Stufen seiner Cultur; in ihr darf nichts fehlen, weil alles, was den Menschen betrifft, den Menschen gleich nahe angeht.“, Gesammelte Schriften , VII, S. 602f.)


    2) Die Verteilung des Menschengeschlechts in Völker und Völkerstämme und die Verschiedenheit seiner Sprachen und Mundarten hängen zwar unmittelbar miteinander zusammen, stehen aber auch in Verbindung und unter Abhängigkeit einer dritten, höheren Erscheinung, der Erzeugung menschlicher Geisteskraft in immer neuer und oft gesteigerter Gestaltung. Sie finden darin ihre Würdigung, aber auch, soweit die Forschung in sie einzudringen und ihren Zusammenhang zu fassen vermag, ihre Erklärung. Diese in dem Laufe der Jahrtausende und in dem Umfange des Erdkreises, dem Grade und der Art nach, verschiedenartige Offenbarwerdung der menschlichen Geisteskraft ist das höchste Ziel aller geistigen Bewegung, die letzte Idee, welche die Weltgeschichte klar aus sich hervorgehen zu lassen streben muß. Denn diese Erhöhung oder Erweiterung des inneren Daseins ist das einzige, was der einzelne, insofern er daran teilnimmt, als ein unzerstörbares Eigentum ansehen kann, und in einer Nation dasjenige, woraus sich unfehlbar wieder große Individualitäten entwickeln. Das vergleichende Sprachstudium, die genaue Ergründung der Mannigfaltigkeit, in welcher zahllose Völker dieselbe in sie, als Menschen, gelegte Aufgabe der Sprachbildung lösen, verliert alles höhere Interesse, wenn sie sich nicht an den Punkt anschließt, in welchem die Sprache mit der Gestaltung der nationellen Geisteskraft zusammenhängt. Aber auch die Einsicht in das eigentliche Wesen einer Nation und in den inneren Zusammenhang einer einzelnen Sprache, so wie in das Verhältnis derselben zu den Sprachforderungen überhaupt, hängt ganz und gar von der Betrachtung der gesamten Geisteseigentümlichkeit ab. Denn nur durch diese, wie die Natur sie gegeben und die Lage darauf eingewirkt hat, schließt sich der Charakter der Nation zusammen, auf dem allein, was sie an Taten, Einrichtungen und Gedanken hervorbringt, beruht und in dem ihre sich wieder auf die Individuen fortvererbende Kraft und Würde liegt. Die Sprache auf der andren Seite ist das Organ des inneren Seins, dies Sein selbst, wie es nach und nach zur inneren Erkenntnis und zur Äußerung gelangt. Sie schlägt daher alle feinste Fibern ihrer Wurzeln in die nationelle Geisteskraft; und je angemessener diese auf sie zurückwirkt, desto gesetzmäßiger und reicher ist ihre Entwicklung. Da sie in ihrer zusammenhängenden Verwebung nur eine Wirkung des nationellen Sprachsinns ist, so lassen sich gerade die Fragen, welche die Bildung der Sprachen in ihrem innersten Leben betreffen, und woraus zugleich ihre wichtigsten Verschiedenheiten entspringen, gar nicht gründlich beantworten, wenn man nicht bis zu diesem Standpunkte hinaufsteigt. Man kann allerdings dort nicht Stoff für das, seiner Natur nach, nur historisch zu behandelnde vergleichende Sprachstudium suchen, man kann aber nur da die Einsicht in den ursprünglichen Zusammenhang der Tatsachen und die Durchschauung der Sprache, als eines innerlich zusammenhängenden Organismus, gewinnen, was alsdann wieder die richtige Würdigung des einzelnen befördert.Die Betrachtung des Zusammenhanges der Sprachverschiedenheit und Völkerverteilung mit der Erzeugung der menschlichen Geisteskraft, als einer sich nach und nach in wechselnden Graden und neuen Gestaltungen entwickelnden, insofern sich diese beiden Erscheinungen gegenseitig aufzuhellen vermögen, ist asjenige, was mich in dieser Schrift beschäftigen wird.

    [Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts]. Wilhelm von Humboldt Schriften zur Sprache Herausgegeben von Michael Böhler. Stuttgart: Reclam, p.30-32



    Orientalisierung der Sprachwissenschaft

    Die Orientalisierung der Sprachwissenschaft nahm ihren Anfang u.a. in der wissenschaftlichen Wahrnehmung und Entzifferung der Keilschrift. Unter Orientalisierung ist in diesem Zusammenhang nicht die Übernahme wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden aus dem 'Orient' gemeint, sondern zunächst das systematische Erlernen orientalischer Sprachen und in der Folge die vergleichende Betrachtung orientalischer und europäischer Sprachen und die Gewinnung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse. Parallel zu dieser wissenschaftlichen Entwicklung stand die in der Öffentlichkeit sich immer weiter verbreitende Verwendung 'orientalischer' Themen, Motive, Dekorationen und Acessoirs (z.B. Sarotti-Mohr, die Verwendung der Hieroglyphe "Thet" auf den Gebäckschachteln des Gebäckherstellers Bahlsen)


    Entzifferung der Keilschrift

    Bis ca. 1840 fand die Keilschrift hauptsächlich Beachtung durch Privatgelehrte, dies änderte sich erst mit Sir Henry Creswicke Rawlinson (1810-18 Generalkonsul in Bagdad):

    Er schrieb 1837 und 1844 die persischen und elamitische Partien der Behistun-Inschriften ab.

    Paul Émile Botta (1802-1870) sammelte Ziegel mit Keilzeichen, schickte sie nach Paris (ab 1843-46)

    Austin Henry Layard (1817-1894), Ausgrabungen 1840-47;

    In London wurde ein Wettbewerb der Asiatischen Gesellschaft in London veranstaltet, in dem ein Keilschrifttext zu entziffern war (1857 veröffentlicht):

    Neben Rawlison nahmen noch teil:

    Auf getrennten Wegen erzielten sie volle Übereinstimmung in der Übersetzung der Inschrift von Tiglath-Pileser, König von Assyrien.



    6.3 Historische Sprachwissenschaft oder Begründung der Sprachmythologie


    Die historische Sprachwissenschaft beginnt mit Friedrich von Schlegel (1772-1829)

    1803 gehht er zu Studien und Vorlesungen (zur romantische Literatur) nach Paris, wo er in Kontakt mit 'orientalischer Exotik' kommt und diese sein Interesse weckt. Vgl. Brief an Bruder August Wilhelm:"Erlauben meine Verhältnisse mir, so lang hier zu bleiben als es nöthig, so denke ich Sanskrit zu lernen, und wenn es dazu nöthig ist, auch Persisch."

    Er nimmt das Studium des Persischen bei dem Orientalisten Antoine Kéonard de Chézy (1773-1832), der später erster Sanskrit-Professor am Collège de France wird.

    Zusätzlich lernt er Sanskrit bei Alexander Hamilton (1762-1824) (Schotte, geb. in Indien). Schlegel ist damit der erste Europäer, der Sanskrit nicht 'im Ursprungsland' lernt.

    Das Ergebnis dieser Studien ist der Text: "Ueber die Sprache und Weisheit der Indier: Ein Beitrag zur Begründung der Alterthumskunde von Friedrich Schlegel. Nebst metrischen Uebersetzungen indischer Gedichte (Heidelberg 1808).

    Aufbau:

    In dieser kommt er zu dem Schluss, dass sich die Sprachverwandtschaft zwischen Sanskrit, Griechisch, Lateinisch, Germanisch, Keltisch, Persisch usw. nicht nur auf lexikalische Stämme erstreckt, sondern "auf die innerste Struktur und Grammatik".

    "Jener entscheidende Punct aber, den hier alles aufhellen wird, ist die innre Struktur der Sprachen oder die vergleichende Grammatik, welche uns ganz neue Aufschlüsse über die Genealogie der Sprachen auf ähnliche Weise geben wird, wie die vergleichende Anatomie über die höhere Naturgeschichte Licht verbreidet wird" (1808:28).

    Den Begriff 'vergleichende Grammatik' benutzt wohl schon der Bruder August Wilhelm (s.u.) 1803 in der Rezension zu A.F. Bernhardi's Reine Sprachlehre Europas, 2. Auflage)

    Schlegel formuliert einige 'Buchstabenübergänge' vom Lateinischen zum Spanischen bzw. Deutschen und macht damit einen ersten Schritt hin zu Lautgesetzen (vgl. Rask, Grimm)

    Von Bedeutung ist auch Schlegels typologischer Klassifikationsversuch:

    1. Sprachen, bei denen "die Nebenstimmungen der Bedeutungen durch innre Veränderung des Wurzellautes" angezeigt werden;

    2. Sprachen, bei denen die "durch ein eignes hinzugefügtes Wort" geschieht.


    Die Schrift von Friedrich motiviert die Hinwendung des Bruders August Wilhelm von Schlegel (1767-1845) zum Sanskrit

    Er erhielt 1818 den erste Lehrstuhl für Sanskrit in Bonn

    Das Buch von Friedrich Schlegel motivierte aber besonders Franz Bopp (s.o.) seine Studien in Paris fortzusetzen. Von 1812 bis 1816 studierte er dort als Stipendiat der Bayerischen Regierung. Das Interesse Bopps an Orient-Studien und besonders des Sanskrit wurde neben Schlegel auch von Karl Hieronymus Windischmann (1775-1839, Verfassers des Vorworts zu Bopps Schrift "Über das Conjugationssystem der Sanskritsprach..." s.u.) angeregt.


    Paris war zu dieser Zeit europäisches Zentrum für Sanskrit-Studien. Bopp lernte

    1816 Verfasste Bopp seine Schrift: Über das Conjugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache. Nebst Episoden des Ramajan und Mahabharat in genauen metrischen Übersetzungen aus dem Originaltexte und einigen Abschnitten aus den Veda's. Herausgegeben und mit Vorerinnerungen begleitet von Dr. K. J. Windischmann.

    Teil 1: Sprache

    Teil: Übersetzungsprobleme

    Zielsetzung des Schrift war die Untersuchung der Morphologie des Verbs im Sanskrit, und dabei:

    "zu zeigen, wie in der Conjugation der altindischen Zeitwörter die Verhältnißbestimmungen durch entsprechende Modificationen der Wurzel ausgedrückt werden, wie aber zuweilen das verbum abstractum mit der Stammsylbe zu einem Wort verschmolzen wird, und Stammsylbe und Hilfszeitwort sich in die grammatischen Functionen des verbum theilen; zu zeigen, wie dasselbe in der griechischen Sprache der Fall sey, wie im Lateinischen das System der Verbindung der Wurzel mit einem Hilfszeitworte herrschend geworden, und wie nur dadurch die scheinbare Verschiedenheit der lateinischen Conjugation von der des Sanskrit und des Grichischen enstanden sey; zu beweisen endlich, daß an allen den Sprachen, die von dem Sanskrit, oder mit ihm von einer gemeinschaftlichen Mutter abstammen, keine Verhätmißbestimmungen durch eine Flexion ausgedrückt werde, die ihnen nicht mit jener Ursprache gemein sey,

    und scheinbare Eigenheiten nur daraus entstehen, daß entweder die Stammsylbe mit Hilfszeitwörtern zu einem Worte verschmolzen werden, oder daß aus Partizipien, die schon im Sanskrit gebräuchlichen tempora derivata abgeleitet werden, nach Art, wie man im Sanskrit, Griechischen und vielen anderen Sprachen aus Substantiven verba derivata bilden kann" (1816:8-9)

    Bopp kommt zu dem Schluss, wesentliches Bestandteil jeglicher Verbalendung sei ein verbum abstractum oder verbum substantivum (Sanskrit as- und bhu-)

    Ferner erkennt er den Ablaut ("innere Umbiegung der Stammsylbe")

    1821 wird Bopp durch Vermittlung von Wilhelm von Humboldt Professor für orientalische Literatur und allgemeine Sprachenkunde in Berlin

    1833 verfasst Bopp die Vergleichende Grammatik des Sanskrit, Zend, Griechischen, Lateinischen, Litauischen, Gothischen und Deutschen.(In zweiter 'Abteilung' dazu noch Slavisch, in zweiter Auflage (1857) auch Armenisch)

    Programmatisch maßgeblich für die Anlage dieses Werkes war:


    Jacob Grimm (1785-1863): Deutsche Grammatik (1819):

    Als Ziel formulierte Grimm: Den Beweis zu erbringen, "daß und wie alle deutschen Sprachstämme innigst verwandt und die heutigen Formen unverständlich seyem, wo man nicht bis zu den vorigen, alten und ältesten hinaufsteige, daß folglich die gegenwärtige grammatische Structur nur geschichtlich aufgestellt werden dürfe" Kl.Schriften, 16).

    Es ist zu berücksichtigen, dass zu Grimm's Zeiten hat historisch die Konnotation empirisch (gegen logisch-philosophisch), so auch Grimm: Lehnt Universalgrammatik ab, weil sie "ohne Rücksicht auf die Wurzeln der Wörter (d.h. ihre Geschichte) die bloß allgemein gedachten Formen und Formeln einer Sprache logisch erörtert".

    Ebenso lehnt Grimm normative Grammatiken ab (dabei ist diese Ablehnung Teil der europäischen Polemik zwischen Sprachreinigern und Pragmatikern)

    Grimm war offenbar angeregt durch Kritik an:


    Johann Christoph Adelung: Dieser verfasste im Auftrag des preußischen Ministers für Kirchen. und Schulangelegenheiten Karl Abraham Freiherr von Zedlitz (1731-1793):

    Hier Bd. III,p.232:"Ohne eine genaue Kenntniß des Stufengangs, welchen eine Nation in dem Baue und der Bildung ihrer Wörter von dem ersten Ursprunge ihrer Sprache an, bis zu ihrer höchsten Verfeinerung beobachtet hat, wird in keiner Sprache eine erträgliche Sprachlehre zustanden kommen." [wird von Adelung aber nicht befolgt]

    Grimm begründet angeregt durch Rasmus Rask den systematischen Lautvergleich, vgl. Kapitel "Von den Buchstaben" in zweiter, völlig überarbeiteter Auflage der Deutschen Grammatik

    Des weíteren verfasste Grimm:

    Jacob Grimm in Beilage Nr. 27 zu Kasseler Allgemeinen Zeitung vom 1. September 1838:

    "Das Wörterbuch Adelungs, des unter allen Vorgängern allein nennenswerthen, ist weit hinter der Fülle des Materials zurückgeblieben und ruht auf keiner ausreichenden Grundlage, die, wie sich von selbst versteht, nur eine historische sein kann".


    6.4 Rationalisierung der Sprachwissenschaft

    Der Mainstream an der Berliner Universität ab 1820


    Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) bezeichnete die Berliner Universität als "Universität des Mittelpunkts"

    Hegelianismus war bis zum Tode Hegels im Jahr 1831 das Credo der Berliner Universität

    Die Hegelsche Philosophie war allgemeiner Konversationsgegenstand in Salons

    Parallel dazu forcierte der technische Fortschritt die Idealisierung des Berufsbildes des Ingenieurs, der die Praxis der Theorie symbolisiert.

    Diese neue Entwicklung zog eine Umwandlung der romantischen Perspektive in eine 'realistische' Perspektive, später spezifiziert als 'Naturalismus' nach sich:

    Verstärkt wurde diese Entwicklung durch die Idealismuskritik nach dem Tod von Hegel. Vgl. Sören Kierkegaard (1813-1855), patrizischer Privatier: Kritik des abstrakten Denkens; Priorität der 'positiven' Existenz der begrifflichen Essenz (im Wesen) -> Individuierung der Existenz:

    "Was ist abstraktes Denken? Es ist das Denken, bei dem es keinen Denkenden gibt... Was ist das konkrete Denken? Es ist das Denken, bei dem es einen Denkenden gibt ... bei dem die Existenz dem existierenden Denker den Gedanken, Zeit und Raum gibt". Kierkegaard, Werke, Band 7, Seite 30 (1970; auch: Tagebücher, Band 4)


    6.4.1 Auf dem Weg zum Es (der Sprache)

    Die Spannbreite in der Beschreibung und Begründung der Gesetzmäßigkeiten der beobachteten diachronen Veränderungen in Sprache(n) reicht von einer eher 'volatilen', über eine evolutionistische bis zu einer 'mechanistischen' Beschreibung in Anlehnung an ingenieurwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten.

    "Auch suche man in Sprachen keine Gesetze, die festeren Widerstand leisten als die Ufer der Flüsse und Meere" (Bopp 1836:15, in Vocalimus oder sprachvergleichende Kritiken über J. Grimm's deutsche Grammatik und Graff's althochdeutschen Sprachschatz. Berlin)

    "(...) diese Lautverschiedenheit, obwohl sie im höheren Sinne von der Theorie als Zufälligkeit anerkannt werden muss, steht und bildet sich unter Naturgesetzen, vorzüglich dem der der physiologischen Lautverwandtschaft" (Pott 1833:XXVI) [Etymologische Forschungen]

    "(...) selbst im blossen Buchstaben [herrscht] nicht – wie [es] sonst nirgends in der Sprache der Fall ist [...] – die Gesetzlosigkeit frecher Willkür [...], sondern vernünftige Freiheit, d.h. Einschränkungen durch selbsteigene, in der Natur der Laute begründete Gesetze" (Pott 1833:XII) [Etymologische Forschungen]

    "Die Sprachen sind Naturorganismen, die ohne vom Willen des Menschen bestimmbar zu sein, entstunden, nach bestimmten Gesetzen wuchsen, und sich entwickelten und wiederum altern und absterben." (August Schleicher, Die Darwinsche Theorie und die Sprachwissenschaft. Weimar 1863:6)

    "Aller lautwandel, so weit er mechanisch vor sich geht, vollzieht sich nach ausnahmslosen gesetzen, d.h. die richtung der lautbewegung ist bei allen angehörigen einer sprachgenossenschaft, ausser dem fall, dass dialektspaltung eintritt, stets dieselbe, und alle wörter, in denen der der lautbewegung unterworfene laut unter gleichen verhältnissen erscheint, werden ohne ausnahme von der änderung ergriffen.“ (Hermann Osthoff und Karl Brugmann Morphologische Untersuchungen auf dem Gebiete der indogermanischen Sprachen. 1878-1890:XIII (Junggrammatisches Manifest).


    Mythisch Mystisch
    Romantik Schlegel, Bopp Herder, Humboldt
    Realismus Rask, Grimm, Pott, Curtius, Schleicher Steinthal, Lazarus, Wundt
    Naturalismus Junggrammatiker
    Germanisten
    Hermann Paul
    Wilhelm Braune
    Eduard Sievers
    Indogermanisten
    August Leskien
    Hermann Osthoff
    Karl Brugmann
    Berthold Delbrück


    Mit der Veröffentlichung der Ergebnisse seiner Forschungsreise auf dem Vermessungsschiff Beagle (1831-36) legte Charles Darwin einen neuen Grundstein für die Erklärung der Existenz unterschiedlicher Sprachen ('synchron') als auch für die beobachteten 'internen' Veränderungen in Sprachen (diachron) Charles Darwin (1809-1882): On the origin of species by means of natural selection, or the preservation of favoured races is struggle for life (1859) [Ergebnisse seiner Beboabchtung am dem Vermessungsschiff BEAGLE 1831-1836).

    Charles Darwin wurde zur Veröffentlichung motiviert durch die Publikation von A.R. Wallace (1823-1913) "Über die Neigung der Varietäten unbegrenzt von den ursprünglichen Typus anzuweichen" (1858)

    Schon vor der Veröffentlichung der Forschungsergebnisse Darwins wurden Klassikfikationsformen diskutiert, z.B. von

    Ausgehend von den biologischen Klassifikationsansätzen wurden Erklärungs- und Unterscheidungskriterien in den linguistischen Bereich übertragen:

    → Klassifikationsprinzip (Stufenfolge):

    Zitate: Kant: ...wenn gewisse Wasserthiere sich nach und nach zu Sumpfthieren und aus diesen, nach einigen Zeugungen, zu Landthieren ausbilden" ["Hypothesen dieser Art [sind] ein gewagtes Abenteuer der Vernunft" (Kant)]

    Dazu Jean-Baptiste Lamarck (1744-1829), Zoologe am Jardin des Plantes in Paris: Umwelteinflüsse können auf direktem Wege Veränderungen bei Lebenwesen verursachen und diese auf die Nachkommenschaft übertragen (Ektogenetik)

    Diese Zitate spiegeln die zeitgenössische Debatte um Motivation des Sprachwandels wider (immanent = Junggrammatiker, transzendent = Grimm etc.)



    Parallel brachte die von Charles Lyell (1797-1875) formulierte These des Aktualismus in der Geologie eine veränderte Sich auf die herkömmliche Zeitrechnung mit sich. Es wurde eine Ausdehnung des 'Zeitraums des Seins' vorgenommen. Die bis dahin angesetzten 4000 Jahre (biblisch) erführen zunächst eine Ausdehnung auf 80.000 Jahre z.B. bei Buffon (1707-1788) und schließlich auf 'viele Millionen Jahre' bei Darwin.

    (Charles Lyell (1797-1875): Ursachen der Veränderung auf der Erdrinde waren in früheren Zeiten die gleichen wie heute: Die Erde hat ihre heutige Gestalt über fortlaufende, analoge Prozesse erhalten.

    Damit Ausdehnung des Zeitraums des Seins (von 4.000 Jahre (biblisch) -> 80.000 (e.g. Buffon (1707-1788) -> 'viele Millionen Jahre' (Darwin)).

    Bereits vorher hatte der italienische Arzt Francesco Redi (1626-1694) in Experimenten die Abiogenese widerlegt. Die Ergebnisse Redis wurden 200 Jahre später von Louis Pateur bestätigt. Redi gewann aus seinen Experimenten die in dem berühmten Satz fromulierte Erkenntnis: "Omne vivum ex ovo". Darauf basierend entstand die heute gültige Aussage OMNE VIVUM E VIVO (alle Lebende (stammt) aus Lebenden) als Widerlegung des Urzeugungsprinzip (analog Herder).

    In dem allgemeinen Klima zunehmender naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und Erklärungsgrößen ab dem späten 17. Jahrhundert, sowie der Aufweichung der Reichweite religiöser Konzepte spätestens ab der Aufklärung war eine Biologisierung der Sprachbetrachtung schon bei Herder, Bopp und anderen gegeben

    "Sprache ist der wirkliche Unterscheidungscharacter unsrer Gattung von außen, wie es die Vernunft von innen ist (...). Sprache ist das natürliche Organon des Verstandes, ein solcher Sinn der menschlichen Seele, wie sich die Sehekraft jener sensitiven Seele der Alten das Auge und der Instinct die Biene die Zelle baut" (Herder, Preisschrift (p.72-3)

    Schleicher: "Die Sprachen sind Naturorganismen, die, ohne vom Willen des Menschen bestimmbar zu sein, entstunden, nach bestimmten Gesetzen wuchsen und sich entwickelten und wiederum altern und absterben; auch ihnen ist jene Reihe von Eigenschaften eigen, die man unter dem Namen 'Leben' zu verstehen pflegt." (Schleicher 1863:88 – Die Darwinsche Theorie und die Sprachwissenschaft - Offenes Sendschreiben an Herrn Dr. Häckel (!)) [massiv kritisiert von William Dwight Whitney: Schleicher und die naturwissenschaftliche Sprachauffassung (deutsch von A. Leskien) 1871.

    Ernst Haeckel (1834-1919, dt. Zoologe): Verfechter der Abstammungslehre, Darstellung von phylogenetischen Abläufen in Form von Stammbäumen (!) -> Haeckel'sche Regel]


    Auswahl an Schriften, die im genannten Kontext erschienen:

    August F. Pott. Etymologische Forschungen auf dem Gebiete der Indo_Germanischen Sprachen, unter Berücksichtigung ihrer Hauptformen, Sanksrit; Zend-Persisch; Griechisch-Lateinisch; Littauisch-Slawisch; Germanisch und Keltisch, 10 Bd. (1833-1836)

    August Schleicher. Compendium der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen (1861-1862)

    Franc Miklosic (1813-91). Vergleichende Grammatik der slavischen Sprachen (1852-1874)

    Friedrich Christian Diez (1794-1876). Grammatik der romanischen Sprachen (1836-1844).

    Johann Caspar Zeuss (1806-56): Grammatica celtica e monumentis vetustis tam hibernicae linguae quam britannicae dialecti cornicae armoricae nec non e gallice priscae reliqquiis construxit... (1853)


    Vgl. hierzu auch die Aussagen von Jacob Grimm (1785-1863):

    "Mein Hauptzweck ist die Führung des Beweises, dass und wie alle deutsche (sic!) Sprachstämme innigst verwandt und die heutigen Formen unverständlich seien, wo man nicht bis zu den vorigen, alten und ältesten hinaufsteige, dass folglich die gegenwärtige grammatische Struktur nur geschichtlich aufgestellt werden dürfe, scheint mir nicht ganz misslungen" (ebenda , p.XXIV).

    Lautwandel nicht 'gesetzlich': "Die Lautverschiebung erfolgt in der Masse, tut sich aber im einzelnen niemals rein ab; es bleiben Wörter im Verhältnis der alten Einrichtung stehn, der Strom der Neuerung ist an ihnen vorbeigeflossen" (Deutsche. Grammatik, p.590)

    [Angelehnt an Jakob Hornemann Bredsdorff, Germanist (1790-1841) 1821. [Über die Ursachen der Sprachveränderung]

    Aufgrund der neuen Perspektive, die den Entwicklungsaspekt von Sprachen bzw. Sprachzweigen betonte kam es vermehrt zu zur Spezialisierung auf einen Sprachzweig (→ Romanisch (Diez), Slawisch (Miklosich), Keltisch (Zeuss) etc.) sowie zur Abkehr von der Latein-Griechisch(-Sanskrit)-Zentrierung (in der Tradition von Georg Philipp Harsdörfer (1607-1658) Poetischer Trichter, die teutsche Dicht- u. Reimkunst ohne Behuf der ist. Sprache in 6 Stunden einzugießen, 3 Bde., 1648-53; → Sprachvereine des Barock

    Vgl. hierzu auch Herder, Schlegel, Humboldt etc....

    Gleichzeitig kam es im Zuge politischer Veränderungen in Europa zur Ausbildung der modernen Nationalstaaten. Da 'Deutschland' lange diese Einigung auf politischer Ebene fehlte, kam es stärker als in anderen Staaten zur einer 'Deutsch'-Zentrierung, die die Nationalisierungsbewegungen in den deutschen Einzelstaaten auf einer anderen Ebene auffing und so einen Ersatz für den fehlenden gemeinsamen Nationalstaat schuf.

    Nach Grimm erfolgte die Naturalisierung der Sprachwissenschaft und es kam zu einer neuerlichen Verschiebung der Perspektive hin zur Entdeckung des Sprechers und der lebenden Sprachen


    6.4.2. Vom Es zum Wir

    Im Mittellpunkt stand nun nicht mehr der Blick auf den sich nach naturwissenschaftlichen Gesetzen entwickelnden Gegenstand Sprache, sondern verstärkt der Sprecher.

    Raumer sieht die Gesetzmäßigkeit des Lautwandels bedingt durch physiologische Natur der Sprechorgane und ihre Entwicklung (Notwendigkeit der Systematisierung von 'Lauten').
    Lauteigenschaften können nicht über 'tote' sondern nur über 'lebende' Sprachen erfasst werden. Rudolf von Raumer (1815-1876), Kritiker von Grimm; 1837: Die Aspiration und die Lautverschiebung. Eine sprachgeschichtliche Untersuchung.

    Andreas Schmeller (1785-1852) hingegen betont den Wert der Sprache der 'unteren Schichten', die oft sprachliche Elemente enthalte, die in der Sprache der höheren Klassen nicht vorhanden sind. Die Arbeiten Schmellers markieren den Beginn der Dialektologie.

    1821: Die Mundarten Bayerns grammatisch dargestellt.

    1827-37: Bayerisches Wörterbuch

    "Dieses Volksleben drückt sich nur in der Volkssprache aus [...] und in soferne das Eigenthümliche derselben in der Abkunft dieses Volkes [...] geschichtliche Entstehungsgründe haben kann, muss die Beleuchtung derselben zu manchem, sonst nicht wohl möglichen Rückschluss auf die Geschichte dieses Volkes und andere merkwürdige Umstände einen nicht zu verachtenden Weg bereiten" (Schmeller; aus Sprache der Baiern, 1816).

    Entmythologisierung des Mythos: Rekonstrukt als Realität


    August Schleicher (1821-1868), einflussreichster Sprachwissenschaftler Mitte des 19. Jahrhunderts und neben Georg Curtius (1829-1885, Kritiker und Vermittler der 'indogermanistischen. Neuerungen'

    1846 (Bonn) Habilitation in vergleichender Sprachwissenschaft; Privatdozent

    1850 (Prag) Außerordentlicher Professor für Klassische Philologie. Studium der slavischen Sprachen

    1852 (Preußisch-Litauen) Feldforschung (Stipendium der Wiener Akademie der Wissenschaften)

    1853 (Prag) Ordinarius für Deutsch, Indogermanistik und Sanskrit

    1857 (Jena) Professor der Philologie

    "Die Glottik, die Wissenschaft der Sprache ist demnach eine Naturwissenschaft; ihre Methode ist [...] dieselbe, wie die der übrigen Naturwissenschaften" [Schleicher 1863:6-7, Die Darwinsche Theorie].

    Schleicher wollte zeigen, dass die Rekonstruktion des Idg. eine wirkliche Sprache ist (durch 'Übersetzung' einer Fabel)

    "Avis akvasas ka
    Avis, jasmin varna na a ast, dadarka akvams, tam, vagham garum vaghantam, tam, bharam magham, tam manum aku bharantam. Avis akvabhjams a vavakat; kard aghnutai mai vidanti manum akvams agantam.
    Akvasas a vavakant krudhi avai, kard aghnutai vividvant- svas: manus patis varnam avisams karnauti svabhjam gharmam vastram avibhjams ka varna na asti.
    Tat kukruvants avis agram a bhugat."

    [Schaf und Pferde

    Ein Schaf, das keine Wolle hatte, sah auf einem Berg Pferde, von denen eines einen schweren Wagen zog, eines eine schwere Last trug und eines einen Menschen schnell trug. Das Schaf sagte zu den Pferden: Das Herz schmerzt (mir), wenn ich einen Mann sehe, der Pferde antreibt.Die Pferde sagt: Hör, Schaf! Unser Herz schmerzt, wenn wir sehen dass ein Mann, ein Herr die Wolle von Schafe zu warmer Kleidung für sich selbst macht, dass aber das Schaf keine Wolle (mehr) hat.

    Als das Schaf das gehört hatte, floh es auf die Ebene."]


    Schleicher führte den Asterisk (*) und den Stammbaum in die Sprachwissenschaft ein (s.o.)

    Zentraler Kritikpunkt (der Zeitgenossen) an Schleicher war die mangelnde Berücksichtigung von Querverbindungen (→ Wellentheorie des Schleicher-Schülers Johannes Schmidt 1843-1901)

    [Beide Ansätze von August Leskien zusammengeführt in berühmter Stelle Leskien 1876:XII(I).]

    Die von Schleicher postulierte Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze war die Voraussetzung für das Stammbaummodell [bei Schleicher spielt Analogie noch keine Rolle]

    "(...) dass der Verfall der Sprache bestimmte Gesetze zeigen, einen regelmäßigen Verlauf haben müsse und ferner dass (...) die Geschichte aller Sprachen einen im wesentlichen übereinstimmenden Verlauf zeigen müsse" (sic!)

    "Dass wir hier unter Sprachvergleichung nur die wahrhaft vernunftsgemässe historische Sprachbetrachtung meinen, nicht jene aller gesetzmässig-geschichtlichen Entwicklung spottende Wortspielerei, versteht sich von selbst" (Über den Wert der Sprachvergleichung, 1850)


    William Dwight Whitney (1827-1894), lernte Sanksrit in Yale. Er studierte in den Jahren 1850-53 in Berlin und Tübingen und rezipierte Schleicher, Steinthal und Max Müller; er bringt die historische Perspektive in die USA. Whitney nutzt die indogermanistische Debatte, um Sprachwissenschaft als Wissenschaft zu reflektieren und verortet sie als Historische Wissenschaft statt Naturwissenschaft

    Dagegen stand Wilhelm Scherer (1841-1886) mit Radikalisierung der frühen JG-Position (Zur Geschichte der deutschen Sprache 1868). Bezieht sich auf Charles Lyell (Geologie, s.o.). Scherer wendet sich vom Verfallsgedanken ab:

    "Man wird sich der Einsicht kaum mehr lange verschliessen können, dass die Unterscheidung zwischen Entwicklung und Verfall oder [...] zwischen Natur und Geschichte der Sprache auf einem Irrthume beruht. Ich meinerseits habe überall nur Entwicklung, nur Geschichte wahrgenommen" (Scherer 1868:XIII-XIV)

    → Diachronie als These [mit später Synchronie als immanenter Antithese]

    → Lautgesetze fordern die Psychologisierung der (Laut-)Physiologie

    → Mechanistisch: JG

    → Explanativ: Wilhelm Wundt etc.


    Frühe Phonetiker/Laut-orientiere Sprachforscher


    Amman, Johann Conrad (1669-1730) Duponceau, Pierre Etienne (1760-1844) Montanus, Petrus (1594/5-1638)
    Armstrong, Lilias Eveline (1822-1937) Ellis, Alexander John (né Sharpe) (1814-90) Pitman, Sir Isaac (1813-97)
    Bell, Alexander Graham (1847-1922) Grimm, Jacob Ludwig Carl (1785-1863) Rask, Rasmus Kristian (1787-1832)
    Bell, Alexander Melville (1819-1905) Hart, John (?1501-74) Raumer, Rudolf von (1815-76)
    Boyanus, Simon Charles (1871-1952) Holder, William (1616-98) Sheridan, Thomas (1719-88)
    Bredsdorff, Jakob Hornemann (1790-1841) Jones, Sir William (1746-94) Spence, Thomas (1750-1814)
    Brosses, Charles de (1709-77) Kate Hermansz, Lambert ten (1674-1731) Steele, Joshua (1700-91)
    Brucke, Ernst (1819-91) Kempelen, Wolfgang von (1734-1804) Storm, Johan (1836-1920)
    Bullokar, William (c. 1531-1609) Kratzenstein, Christian Gottlieb (1723-95) Thelwall, John (1764-1834)
    Cooper, Christopher (?1655-98) Lepsius, Carl Richard (1810-84) Walker, John (1732-1807)
    Cordemoy, Geraud de (1626-84) Lodwick, Francis (1619-94) Wallis, John (1616-1703)
    Dalgarno, George (c. 1619-87) Madsen Aarhus, Jacob (1538-86) Wilkins, John (1614-72)

     

     

    Karl Ferdinand Becker (1775 bis 1849; Sprachwissenschaftler; Pädagoge; Grammatiker; Arzt) und Adolf Kaegi(1849-1923) legten Parameter der sprachwissenschaftlichen Argumentation fest (~1870-1920):


    1. Universitäre Fixierung: Ausprägung von ‚Lehrmeinungen’ [gegen individuelle Forschung]

    2. Positivismus der (frühen) junggrammatischen Tradition


    Terminus 'Junggrammatiker':

    Basis: Äußerung von Friedrich Zarncke in seinem Gutachten zur Dissertation von Rudolf Kögel (Über das Keronische Glossar, Halle 1879 (Harras)):

    Der Verf. ist ein begeisterter Anhänger unserer junggrammatischen Schule. Seine Arbeit steht in dieser Beziehung durchaus à la hauteur“ (Brugmann 1900:132,Anm.1).

    Karl Brugmann : „In jugendlicher Unerfahrenheit und Leichtfertigkeit machte ich mir das Scherzwort in meinen Stilnöten zu Nutze" [um „weitschweifige Umschreibungen“ zur Bezeichnung der „Gesinnungsgenossen“ zu vermeiden, W.S.]

    Jankowsky 1972:125: „The translation [of the term ‘Jungrammatiker’] is misleading, because it suppresses a fact the omission of which makes it possible to forget that the objectives of the Neogrammarians were not so much new (...), as they were achieved (or at least pointly stated) by some very young linguists“.

    → Sprache als Teil des ‚naturwissenschaftlichen’ Sujets

    → Exaktheitsideal, prinzipienbasiert

    → Gesetzlichkeit und Historismus / Kausaler Determinismus, verbindet sprachliche und nichtsprachliche Faktoren im Sprachwandel.

    → Betonung der „Psychophysik“ des Sprechens

    → Emanzipation von philologischen Traditionen

    → Beginnend mit Wilhelm Scherer: Zur Geschichte der deutschen Sprache 1868.

    Synchronie als Empirie (→ Feldforschung / Litauisch), beginnend mit William D. Whitney: Language and its study 1867.

    Sprachegeschichte hat Vorrang vor Rekonstruktion; letzte muss empirisch nachweisbar, d.h. quasi experimentell gewonnen werden.

    → Atomismus statt ‚Gesamtstruktur’ („sahen den Wald vor lauter Bäumen nicht“)

    → Individuelle Sprache statt Sprachgemeinschaft (kein fait social)

    → Dialektologie

    → Kindersprache


    Vertreter der Junggrammatiker sind u.a.

    Bertold Delbrück (1842-1922)

    Hermann Paul (1846-1921)

    Hermann Osthoff (1847-1909)

    Karl Brugmann (1849-1918)

    Wilhelm Braune (1850-1928)

    Eduard Sievers (1850-1932)

    August Leskien (1840-1916)

    Henry Sweet (1845–1912)

    → History of English Sounds (1874)

    → A Handbook of Phonetics (1877),

    → A New English Grammar (2 parts, 1892–95)

    → The History of Language (1900)

    → The Sounds of English (1908)

    Jan Baudouin de Courtenay (Pole) (1845-1929) [später Kritiker]


    Basis: u.a. Physiologe Emil Du Bois-Reymond (1818-1896): Naturgesetze sind ausnahmelos.

    → Ablehnung der Rezeption der Evolutionstheorie


    Dazu: → Frühe psychophysiologische Entwürfe

    Fortsetzer (z.T. auch Kritiker): Ferdinand de Saussure, Antoine Meillet, Leonard Bloomfield….]


    Kritik an den Junggrammatikern:


    Psychologisierung:

    Heyman Steinthal: Abriss der Sprachwissenschaft 1. Teil: Einleitung in die Psychologie und Sprachwissenschaft (Anlehnung an -> Johann Friedrich Herbart (1776-1841),

    → Allgemeine Praktische Philosophie (1808) ;

    → Psychologie als Wissenschaft : neugegrundet auf Erfahrung, Metaphysik und Mathematik (1824-1825)

    → Allgemeine Metaphysik nebst den Anfängen des Philosophischen Naturlehre (1828-1829))


    Assoziationismus:

    Ausgangspunkt u.a. die englischen Sensualisten Hobbes und Locke, wobei unter „Assoziation“ die Bewegung der Lebensgeister, die bestimmte, durch „Eindrücke“ bereits geschaffene „Spuren“ in der Seele („Nervenbahnen“) bevorzugt, verstanden wurde.

    Für David Hume ist die Assoziation die passive Ordnung der Vorstellung: Das Auftreten einer Vorstellung zieht das Auftreten einer anderen unmittelbar nach sich. Basiskorrelationen sind hierbei: Ähnlichkeit und Kontiguität, also das Beieinandersein in Raum und Zeit, was sich als Folgezusammenhang von Ursache und Wirkung darstellt.

    Die Weiterentwicklung zur Assoziationspsychologie des 19. bzw. 20. Jh. wurde besonders bestimmt durch

    - den Utilitaristen James Mill (1773-1836, Analysis of the Phenomenon of the Human Mind (1829)), der eine Assoziationspsychologie in der Nachfolge von David Hume und David Hartley (1704-1757) formulierte,

    - seinen Sohn John Stuart Mill (1806-1873, Utilitiarianism 1861), dem Begründer des „Älteren Positivismus“,

    - Georg Henry Lewes (1817-1878) und Alexander Bain (1818 - 1903), der psychologische und physiologische Prozesse als zwei Aspekte derselben Wirklichkeit auffasste. Er führte 1855 das Prinzip von trial and error als Basis von Lernvorgänge ein (The Senses and the Intellect, Edinburgh 1855).

    - die methodische Grundlage der (atomistischen) Introspektion als kontrollierte Selbstbeobachtung oder das „Hineinsehen“ in eigene Prozesse der Gedankenstrukturen:

    - Wilhelm Wundt (1832 - 1920) mit dem Versuch, das Bewußtsein in seine konstitutiven Elemente, Prozesse und gesetzmäßigen Beziehungen zu gliedern, durch das systematische Training seiner Versuchspersonen pointiert.


    Radikaler Behaviorismus:

    Kritische Reaktion (ausgedrückt in der sogenannten „imageless thought controversy“) im sogenannten Radikalen Behaviorismus „als Sonderform des methodischen Behaviorismus (...), die man (...) unter dem Stichwort ‘Psychologischer Behaviorismus’ begreifen kann und die sich sachlich durch die Bindung an assoziationistische Erklärungsprinzipien auszeichnet, seien diese nun einfachster reflextheoretischer Natur oder durch komplexe ‘intervenierende’ (aber behavioristisch zu definierende) Prozesse verfeinert“ (Seebaß 1981:126,Anm.124).

    → James B. Watson 1919. Psychology from the Standpoint of a Behaviorist. Philadelphia (Lippincott)

    → J.B. Watson 1924. Behaviorism. New York (Norton)


    Reduktionismus:

    z.B. Hermann Ebbinghaus (1850-1909), der unter der Ausschaltung der „Bedeutung“ aus der Untersuchung eine radikale Introspektion über konsequente Selbstversuche forderte (dazu psychophysischer Parallelismus, keine Wechselwirkung zwischen Seele und Körper).

    Ausgangspunkt sollte fortan das Material sein: Allein das Verhalten, d.h. die Reaktionen von Menschen und Tieren auf Reize der Umwelt schien beschreibbar, alle Begriffe für „innere“ Vorgänge wie Bewußtsein, Empfinden, Fühlen, Denken galten als Reste eines religiösen Seelenglaubens oder als heuristische Fiktion:

    Vgl. Bloomfields Dictum: „(...) there is no greater fallacy than that of the Idealist, who postulates an invisible, spiritual Inner Man and so gains the opportunity (...) of pointing out the superiority of his Inner Man over the Inner Man of less deserving persons and communities (...). [The] Psychological Interpretation [of linguistic categories] belongs in a museum of superstition“ (Bloomfield 1934:37).

    → Gegenbewegung besonders zum Assoziationismus: Gestaltpsychologie der „Berliner Schule“, die 1912 von Max Wertheimer (1880 - 1943) begründet begründet wurde

    → Der Begriff selbst wurde in die Psychologie eingeführt von Christian Freiherr von Ehrenfels (1859 - 1932, Über Gestaltqualitäten von 1890).

    → Kurt Lewin (1980-1947), Wolfgang Köhler (1887-1967), Kurt Koffka (1886-1941)

    → Vgl. W. Köhler. Die physischen Gestalten in Ruhe und im stationären Zustand, Erlangen 1924, W. Köhler. Gestalt Psychology, New York 1947 und K. Koffka. Principles of Gestalt-Psychology, New York 1936


    → Kritik des Assoziationismus auch im Rekonstruktionismus von Sir Frederick C. Bartlett (1886-1969) Remembering 1932. Cambridge (CUP))

    → Gegen Versuch von Ebbinghaus, „Bedeutung“ aus der Analyse des Gedächtnisses zu eliminieren.

    → Bedeutung im Gegenteil von zentraler Relevanz, da der Mensch Ereignisse im Gedächtnis nach vertrauten Vorstellungen („Bedeutungen“) rekonstruiert

    → erster Ansatz zum Modell einer Frame-Theorie der kognitiven Psychologie

    →Allgemeine Kitik an behavioristischen und gestaltpsychologischen Annahmen: Lev Semjonovič Vygotskij (1896-1934):

    [Zwar wurden zwei seiner Artikel bereits 1934 bzw. 1939 in englisch-sprachigen Zeit­schriften veröffentlicht (Thought in Schizophrenia, Arch. Neurol. Psychiat. 31 (1934), Thought and Speech, Psychiatry II,1 (1939)); doch begann die Rezeption erst mit dem Abdruck von „Thought and Speech“ in dem vom Sol Aporta herausgegebenen Sammelband „Psycholin­guistics“ von 1961. 1957 regte A.R. Lurija eine englische Fassung von Myšlenie i jazyk an, die Übersetzung wurde von Eugenia Hanfmann und Gertrude Vakar übernommen (unter dem Titel Language and Thought in Cambridge, Mass. 1962 mit einem Vorwort von Jerome Bruner erschienen). Die neuerliche Herausgabe der Schriften Vygotskijs durch Rieber/Carton 1987-1993 in der Zeit der Wiederbelebung des „Sprachlichen Relativitätsprinzips“ ist wissenschaftsgeschichtlich sicherlich kein Zufall].


    Mundartenforschung: Hugo Schuchart (1842-1927; Romanist und Typologe), Graziadio Isaia Ascoli1829 - 1907)

    Sprachgeographie: Georg Wenker (1852-1911), Jules Gillierón (1854-1926), Johannes Schmidt (1843-1901, Wellentheorie 1872)

    → Schmidt, J. 1872. Die Verwandtschaftverhältnisse der indogermanischen Sprachen. Weimar (Böhlau).

    → Gilliéron, J. 1912. L'Aire Clavellus, d'après l'Atlas linguistique de la France. Neuveville.


    Sprache und Ästhetik

    → Romanistischer Idealismus

    → Neolinguistica in Italien


    Neolinguistica: Bewusste Imitation von neogrammatica mit falscher Analogie. Die Opposi­tion -linguistica vs. -grammatik sollte das grundsätzlich antistrukturalistische Verfahren der (frühen) Neolinguistik betonen.

    Basierend auf Benedetto Croce (1866-1952): Estetica come scienza dell'espressione e linguistica generale, Milano 1900/01.


    Matteo Giulio Bartoli

    Bartoli, M.G. 1910. Alle fonti del neolatina. Miscella­nea in onore di Attilio Hortis. Trieste (OV):889-913.

    Bartoli, M.G. 1925. Introduzione alle Neolinguistica. Princípi, Scopi, Metodi. Ginevra (Olschki).

    Bartoli, M.G. 1940. Linguistica spaziale. R. Biasutti (ed.) Le razze dei popoli della terra, vol I. Torino­ (Vincenzo Bona): 304-350.

    Bartoli, M.G. 1945. Saggi di linguistica spaziale. Torino (Vincenzo Bona).

    Bartoli, M.G. / G. Bertoni 1925. Breviario di Neolinguistica. Mòdena (Società Tipografica Modenese).


    Giulio Bertoni




    Giuliano Bonfante (Schüler von Bartoli)

    "The whole of language is a spiritual creation. Men speak wirth words, or better with sentences – not with phonemes, morphemes, or syntagmemes, which are our own abstraction and have no independent existence" (Bonfante 1947:351)

    → Language is language – that is, the totality of ist esthetic expression; it is found in ist fullness in every line of a poem, in every speech, in every proverb" (Bonfante 1947:367).


    'Wörter und Sachen’ (beginnend mit Rudolf Meringer), basierend auf Dictum von Jacob Grimm :

    „Sprachforschung, der ich anhänge und von der ich ausgehe, hat mich noch nie in derweise befriedigen können, dass ich nicht immer gern von den wörtern zu den sachen gelangt wäre“ (1848, XI)

    Zeitschrift 'Wörter und Sachen' Vols. 1-23 (all publ.). Heidelberg, 1909-1943/44

    Dominierende Persepktive in Deutschland 1890-1920 (neben Erhalt der Traditionslinien)

    Etablierung einer 'historischen (onomasiologischen) Semantik, etwa mit Bonfante 1947:348 (in Bezug auf das Französische): „(...) the history of the French language cannot be written without taking into account the whole history of France (...)“; ähnlich schon der Croce-Anhänger Karl Vossler (1872-1949, dt. Romanist, München) bereits 1913 bemüht hatte (vgl. Vossler 1929)).

    => "Chaque mot a son histoire"


    Das Vosslersche Denken ist dokumentiert u.a. in seinen Arbeiten Positivismus und Idealismus in der Sprachwissenschaft (1904 ) und Sprache als Schöpfung und Entwicklung (1905).


    Die neue Mithridates-Phase (USA)


    In den USA setzte sich im frühen 20. Jahrhundert eine Entwicklung in der Sprachwissenschaft durch, die Parallelen zur Mithridates-Phase des Mittelalters aufweist, also einen Schwerpunkt setzte auf das enzyklopädische Sammeln sprachlicher Daten bzw. ihrer Bestandaufnahmen. Roland Barthes beschreibt den Wert dieser Arbeit nachträglich wie folgt:

    “Ein Kapitel von Sapir oder Whorf über die Chinook-, Nootka- oder Hopisprache (…) eröffne(t) das ganze Spektrum des Romanhaften, von dem nur einige moderne Texte (…) eine Vorstellung zu geben vermögen, weil sie uns eine Landschaft wahrnehmen lassen, die unsere Sprache (die Sprache, deren Besitzer wir sind) um keinen Preis erahnen oder entdecken könnte (Roland Barthes. Das Reich der Zeichen, aus dem Franz. von M. Bischoff. Frankfurt a.M. (Suhrkamp) 1981 (franz. 1970).


    Dieser Entwicklung voran gingen z.B. die Arbeiten von Max Müller.


    Max Müller

    - The Science of Thought. New York 1887, übersetzt als Das Denken im Lichte der Sprache, Leipzig 1888.:=>

    => Keine Vernunft ohne Sprache, keine Sprache ohne Vernunft:

    Wir haben gefunden, dass die Sprache die Scheiben oder die Brille bildet, welche unsere Blicke trübt“ (1888:500).



    Einer der führenden Vertreter der neuen Mithridates-Phase war Franz Boas

    Franz Boas

    - Betrieb Feldforschung bei Inuit und Kwakiutl.

    - Forderte begrenzte, detaillierte Feldforschungen, um regionale Kulturgeschichten zu erarbeiten.

    - Boas richtete sich entgegen dem Trend seiner Zeit gegen den Evolutionismus. Boas vertrat einen Kulturrelativismus

    - Mitherausgeber des Handbook of American Indian Languages (1911-1938, 3 Bände),

    - Begründete IJAL

    "(…) but the question is (…) whether the customs of the people have not rather developed from the unconsciously developed terminology (….). The descriptive terms for certain concepts, or the metaphrical use of terms, has led to peculiar views or customs (…) [. T]he peculiar characteristics of language are clearly reflected in the views and customs of the peoples of the world." 1991:72 [Intro to handbook]

    Hauptwerke:

    The Mind of Primitive Man (1911, dt. Das Geschöpf des sechsten Tages)

    Ethnology of Kwakiutl (1921)

    Primitive Art (1927)

    Race, Language, and Culture (1940)


    Einer der später bekanntesten Schüler Boas war:

    Edward Sapir

    Boas lehrte ihn AIL, darunter Washram (Washington), Takelma (Oregon, darüber seine PghD), Yana (Kalifornien), Paiute (Utah) für sechs Jahre.

    Typische West Coast Experience (vgl. Voegelin 1952:3)

    Von 1910-1925 war Leiter der Abteilung für Anthropologie am Kanadischen Nationalmuseum (wissenschaftlich vereinsamt).

    In dieser Zeit erfolgte seine Hinwendung zu eigener dichterischer und muskalischer Arbeit (→ Schwärmertum). Spir kam von der akribischen Rekonstruktion kleinerer Einheiten zu „großen Würfen“, die wissenschaftlich kaum haltbar waren.

    Zwischen 1925 und 1931 erhielt Sapir einige Stipendien, zunächst in Chiacgo und erlangte bald der Ruf des „most brilliant of all living anthropologists“.

    1931 ging Sapir nach Yale, wo er eine Professur für Anthropologie und Linguistik übernahm, hielt Vorlesungen (oft in Reimform) über Kultur und Persönlichkeit.


    Zentrale Aussagen Sapirs:

    Edward Sapir gilt zusammen mit Leonard Bloomfield (s.u.) als Begründer der modernen amerikanischen Sprachwissenschaft


    Sprachanalytische Philosophie / Sprachbezogene Philosophie als Grundlagen der Pragmatik:


    Auswahl:

    Franz Brentano, 1955-9 [1874]. Psychologie von empirischen Standpunkt, hrsgg. v. O. Kraus, Hamburg: Meiner.

    Edmund Husserl, 1901. Logische Untersuchungen. Zweiter Teil:Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis. Halle a.S.: Max Niemeyer.

    Anton Marty, 1976 [1908], Brentano-Schüler; Untersuchungen zur Grundlegung der allgemeinen Grammatik und Sprachphilosophie. Halle a.S. (Niemeyer) [Reprint Hildesheim/New York: Olms].

    Adolf Reinach, 1910. William James und der Pragmatismus. Welt und Wissen. Hannoversche Blätter für Kunst, Lieratur und Leben 198:45-65.

    Charles Peirce (1839-1914) / William James (1842-1910) / John Dewey (1859 - 1952)

    Allgemein gilt der November 1872 als terminus ante quem für „Pragmatics“ im Peirceschen Sinn, der diese terminologische Fixierung während einer Sitzung des Metaphysical Club (Boston/Cambridge) durchgeführt haben soll.

    Die bekannte pragmatische Maxime erscheint in Peirce 1878 [1965:258] nur als rule, das Epitheton pragmatic ist erstmalig bei William James belegt (James 1898:5: The principle of practicalism or pragmatism, as he [sc. Peirce] called it, when I first heard him enunciate it at Cambridge in the early ’70s (...)“).

    [Offenbar favorisierte Peirce anfänglich den Terminus Practicalism, dessen Grundlage practical in How to make our ideas clear (Peirce 1878) sehr häufig erscheint]


    Soziologisierung der Sprache

    Die noch junge Wissenschaft der Soziologie versuchte die gesellschaftliche Basis des Gedächtnisses, sprachlicher Kategorien und kultureller Strukturen zu erforschen.


    Vorreiter dieser Entwicklung war Émile Durkheim (1858 - 1917), der eine Deutung der modernen Gesellschaft von der Wirkung des Kollektivbewußtseins her versuchte, das, obgleich von den Individuen erzeugt, auf diese einen überindividuellen Zwang durch seine normativen Verpflichtungen und Sanktionen auszuüben in der Lage war.

    Zu seinem (schulenbildenden) Kreis gehörten unter anderem: Die Sprachwissenschaftler Antoine Meillet (1866-1936), Marcel Cohen(1884-1974) und Alf Sommerfeld, der Sinologe Marcel Granet (1884-1940), der Soziologe und Ethnologe (und Neffe Durkheims) Marcel Mauss (1872 – 1950) und der Soziologie Maurice Halbwachs (1877 - 1945, erm. in Buchenwald).


    Ausprägung der Semantik


    Beginnend mit Michel Jules Alfred Bréal (1832-1915)


    michel brealL'étude des origines de la religion Zoroastrienne (1862)

    Hercule et Cacus (1863)

    Le mythe d'Œdipe (1864)

    Les Tables Eugubines (1875)

    Mélanges de mythologie et de linguistique (2e éd., 1882)

    Leçons de mots (1882, 1886)

    Dictionnaire étymologique latin (1885)

    Grammaire latine (1890).

    Essai de sémantique (1897)

    Pour mieux connaître Homère (1906)


    => Einführung und Popularisierung des Begriffs 'Sémantique/Semantik'.


    Systematisierung des allgemein-sprachwissenschaftlichen Wissens um 1910 und Einbettung in eine strukturalistische Perspektive:


    Ferdinand de Saussure

    ab 1896 ordentlicher Professor in Genf

    → 1872 "Essai pour réduire les mots du Grec, du Latin & de l'Allemand à un petit nombre de racines". Unveröff. 1875

    → Genf: Studium der Philosophie, Kunstgeschichte und klassischen Philologie

    → 1876 (Paris) Mitglied der Société Linguistique de Paris

    → 1876(Leipzig) Studium der indogermanischen Sprachen bei G. Curtius, H. Hübschmann, H. Osthoff, E. Windisch, A. Leskien, W. Braune. Persönliche Beziehungen zu K. Brugmann.

    → 1877 erste Publikation

    → 1878-79 (Berlin) Studium des Indo-Iranischen

    → 1879-80 (Leipzig) Studium. Evtl. Bekanntschaft mit G. v.d. Gabelentz.

    → 1880 (Leipzig) Promotion summa cum laude et dissertatione egregia: De l'emploi du génitif absolu en sanscrit, publ. 1881

    → 1880 Übersiedlung nach Paris

    → 1881 (Paris) Maître de Conférences für vergleichende Grammatik an der École des Hautes Études

    → 1882 (Paris) Sekretär der Société Linguistique de Paris

    → 1891 (Genf) Außerordentlicher Professor für Geschichte und Vergleich der indogermanischen Sprachen an der Universität

    → 1896 (Genf) Ordentlicher Professor

    → 1906 (Genf) Zusätzlich zuständig für allgemeine Sprachwissenschaft, als Nachfolger von Joseph Wertheimer

    → 1907 1. Vorlesung über allgemeine Sprachwissenschaft

    → 1908/9 2. Vorlesung über allgemeine Sprachwissenschaft

    → 1910/1 3. Vorlesung über allgemeine Sprachwissenschaft

    → 22.2.1913 gestorben in Vufflens-le-Château (Waadt)


    1877 "Essai d'une distinction de différents a indo-européens". MSL 3:359-370.

    1879 Mémoire sur le système primitif des voyelles dans les langues indo-européennes. Leipzig: B.G. Teubner [erschienen 1978]. [Erste umfassende und i.w. zutreffende Darstellung des idg. Vokalsystems]

    1881 De l'emploi du génitif absolu en sanscrit. Genf: J.G. Fick.

    1884 "Une loi rythmique de la langue grècque". Havet, Louis (ed.), Recueil de travaux d'érudition classique dédié à la mémoire de Charles Graux. Paris: E. Thorin; 464-476.

    1887 Sur un point de la phonétique des consonnes en indo-européen. Paris: Impr. Nationale. Abgedr.: MSL 6:246-257.

    1894 "A propos de l'accentuation lituanienne". MSL 8:425-446.

    1894 "Sur le nominatif pluriel et le génitif singulier de la déclinaison consonantique en lituanien". IF 4:456-470.

    1896 "Accentuation lituanienne". IF Anz 6:157-166.

    1909 "Les composés latins du type agricola". Mélanges offerts à Louis Havet. Paris: Hachette; 457-471.

    1916 Cours de linguistique générale.. Redigé par Charles Bally et Albert Séchehaye ... Paris & Lausanne: Payot. 2., geringfügig geänd. Aufl. 1922. Dt. Übers. 1931, Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft. Berlin: W. de Gruyter. 2. Aufl. 1967.
    [Rezensionen sind aufgeführt in der dt. Übers., S.VIf.]

    Die wichtigsten Publikationen sind enthalten in:

    Bally, Charles & Gautier, Léopold (eds.) 1922, Recueil des publications scientifiques de Ferdinand de Saussure . Genève: Sonor, Lausanne: Payot; Heidelberg: C. Winter.


    Behaviorismus:

    Leonard Bloomfield


    Hauptwerke:

    Bloomfield, Leonard 1914, An introduction to the study of language. New York: . Reprint: Amsterdam: J. Benjamins (ASTHoLS, Ser. 2: Classics in Psycholinguistics, 2), 1983.

    Bloomfield, Leonard 1917, Tagalog texts with grammatical analysis. 3 vols. Urbana, Ill.: University of Illinois Press.

    Bloomfield, Leonard 1926, "A set of postulates for the science of language." Language 2:153-164. Abgedr.: IJAL 15, 1949:195-202; Saporta, Sol & Bastian, J.R. (eds.) 1961, Psycholinguistics. A book of readings. New York: Holt, Rinehart & Winston; 26-33.

    Bloomfield, Leonard 1927, "Literate and illiterate speech." American Speech 2:432-439.

    Bloomfield, Leonard 1930, "Linguistics as a science." Studies in Philology (North Carolina University) 27:553-557. Abgedr.: Bloomfield 1970:227-230.

    Bloomfield, Leonard 1933, Language. New York: Holt, Rinehart & Winston. London: George Allen & Unwin. 2. ed. 1935.

    Bloomfield, Leonard 1935, "Linguistic aspects of science." Philosophy of Science 2:499-517. 10. impr.: Chicago: Univ. of Chicago Press (International Encyclopedia of Unified Science, 1, 4), 1969.

    Bloomfield, Leonard 1939, "Menomini morphophonemics." Travaux du Cercle Linguistique de Prague 8:105-115.

    Bloomfield, Leonard 1942, Outline guide for the practical study of foreign languages. ___

    Bloomfield, Leonard 1970, A Leonard Bloomfield anthology ed. by Charles F. Hockett. Bloomington: Indiana UP.


    Schüler Bloomfields waren u.a.

    Bernard Bloch, Henry A. Gleason, Robert A. Hall jr., Zellig S. Harris, Archibald A. Hill, Charles F. Hockett, Martin Joos, George L. Trager, Rulon S. Wells.


    Grundmodell (stark vereinfacht):







    r = Sprachliche Ersatzreaktion auf praktischen Stimulus bei S1.

    s = Sprachlicher Ersatzstimulus löst praktischer Reaktion bei S2 aus.


    Communication: Language enables one person to make a reaction (R) when another Person has the stimulus (S).

    → Language is made in physical terms (Language, p.92)

    → s→r besteht aus artikularischen/akustischen Formen, ist Gegenstand der Linguistik als Wissenschaft (linguistics as a science)

    → Linguistics "always starts from the phonetic form and not from ist meaning" (p.162f.)

    → Linguistische Kategorien können nur formal (über ihre Distribution und Paradigmatik) bestimmt werden.

    E.g. Satzdefinition: "An independent linguistic form, not included by virtue of any grammatical construction in any larger linguistic form." (p.170)

    Meaning: "the situation in which the speaker utters it {the linguistic form] and the response which calls it forth in the hearer" (p.139).

    Nota: Bloomfield sagt nicht, dass es meaning nicht gibt, sondern dass sie nicht linguistisch beschrieben werden kann und deshalb nicht Gegenstand der Linguistik ist.


    Prager Schule


    Anlass der Entstehung der Prager Schule war ein Vortrag von Henrik Becker in Prag zum Thema "der europäische Sprachgeist" im Jahr 1926.


    Angeregt durch die Diskussion der Hörer

    Josef Vachek (1909-1996)

    Roman Jakobson (1896-1982)

    Bohumil Trnka (1895-1984)

    Bohuslav Havránek (1893-1978)

    wurde der 'Cercle' als Präsentations- und Diskussionsforum gegründet.


    Erster öffentlicher Auftritt beim 1. Intern. Linguistenkongress in Den Haag 1928

    Seit 1929 Veröffentlichungen unter dem Titel: Travaux du Cercle Linguistique de Prague (TCLP), ab 1964 'Travaux Linguistiques de Prague" (TLP); dazu kam später die Zeitschrift Slovo i slovesnost (Wort und Literatur)

    Nach 1945 Umbenennung in Cercle Linguistique de Bratislava (Organ: Slovo atvar 'Wort und Form').


    Das Programm wurde zusammengefasst in den 'Thèses" (TCLP 1929,1:p.7):


    → la langue poétique en elle-même


    Einbettet war die Forschung in die 'Formalismus'-Debatte der 20er-Jahre:

    ist aber (in 1. Prager Schule) nicht direkt mit Außenwelt gekoppelt (in der marxistischen Lesart nach dem 2. WK umgedeutet bes. durch Trnka → TLP)

    Abschwächung der Dichotomien Langue/Parole und Synchronie/Diachronie

    Die zentralen Persönlichkeiten der Prager Schule waren:

    trubetzkojNikolas Trubetzkoy (1890-1938): Phonologie (1939, postum)


     

     

     

     

    Roman Jakobson (s.o.)sinäre Oppositionen - Markiertheitstheorie // von Trubetzkoy übernommen

    Funktionale Satzperspektive: (Mathesius, Firbas, Beneš) // unter Einfluß von Bühlers Organon-Modell (Karl Bühler 1879-1963)


    Eine hervorragende, Biographie-bezogene Darstellung der Prager Schule gibt Toman, Jindrich. 1995. The Magic of a Common Language: Jakobson, Mathesius, Trubetzkoy, and the Prague Linguistic Circle. Cambridge, MA: The MIT Press.


    Die (vermeintliche) Ausformulierung des 'Sprachlichen Relativismus':

    Zur Orientierung hilfreich der Beitrag von Wouter Beek


    Standardzitat B.L. Whorf: "“From this fact proceeds what I have called the "linguistic relativity principle," which means, in informal terms, that users of markedly different grammars are pointed by their grammar toward different types of observations and different evaluations of externally similar acts if observation, and hence are not equivalent as observers but must arrive at somewhat different views of the world.“ (Linguistics as an exact science, Technological Review 1940, 43: 61).

     

    Benjamin Lee Whorf (24.4.1897 (Winthorp, Mass.) - 26.7.1941 (Wethersfield by Hartford, Conneticut)

    Whorf entwickelte schon in Jugend einen starken Hang zu kryptischen Zeichensystemen, "erfand" mit seinem Bruder John einen Geheimcode, der er noch in seinen 'linguistic notes' verwendet (1939).

    1920 erfolgte die Übersiedlung nach Hartforf 1920, wo er fleißiger Kunde der örtlichen Leibücherei (Watkinson Library) wurde. Deren Chefin, Nayan Louise Redfield übersetzte und veröffentlichte englische Fassung von: Fabre d'Olivet. La langue hébraique restituée (2 Bände, 1815-16). 1921.


    Antoine Fabre d'Olivet (1768-1825): "One of the most powerful linguistic intellects of any age" (Whorf), Philologe, Mystiker, "avec la réputation d'un fou ou d'un visionnaire" (Grand dictionnaire du XIXe siècle):


    Neudeutung der phonetisch-graphischen Gestalt des Hebräischen kann AT neuer Exegese unterworfen werden (> versteckte Bedeutung: Jeder Buchstabe hat eine Bedeutung):

    Aleph Macht der Ideen, Causa, Voluntia:

    E.g.: waw => Durchführung

    ṣād => Abschluss

    Ergo: /w-s/ :

    > Jeder Wille, einem Ende zuzustreben (> drängen, eilen usw.)


    Werke:

    Le Troubadour, poésies occitaniques du XIIIe siècle (1803), Les vers dorés de Pythagore... (1813), La langue hébraïque restituée... (1816), De l'état social de l'homme (1822).


    Als strenger Methodist (Methodist Episcopal Church) negierte Whorf das Primat der Wissenschaft vor der Religion. Basis für diese Haltung war auch der Darwinismusstreit in den USA 1920-30), zunächst war Whorf explizit Anti-Darvisnistisch (Why I have discarded Evolution, 1925).

    Der gläubige Whorf ging durch die Rezeption Fabre d'Olivets von der Annahme aus, dass die Auflösung des Widerspruchs zwischen Wissenschaft und biblischer Tradition durch eine neue Exegese des Alten Testaments erreicht werden kann.

    Ausgangspunkt von Whorf's Interessen vermutlich Prescott: Conquest of Mexico.

    Oligosynthese-Theorie:

    Whorf übernimmt die Methode des Olivet-Verfahrens zur Rekonstruktion der Wortwurzel-bezogenen Bedeutungsanalyse:

    1) Auf Vorschlag von Herbert J. Spinden (Brooklyn Museum) versucht Whorf, ein altes Nahuatl-Manuskript zu deuten:

    → Erster Vortrag während des 23. Int. Amerikanistenkongresses Sept. 1928,

    → Erste wiss. Publikation (AN Aztec account of the period of the Toltec decline, 1928)

    → Versucht, das ‘zerstörte’ Nahuatl semantisch wiederherzustellen.

    2) Auf diesem Kongress hält Whorf auch zweiten Vortrag zur Oligosynthese(‚Aztec Linguistics’):

    Die Wörter einer Sprache werden aus einer verhältnismäßig geringen Zahl von Elementen, etwa 50 meist monosyllabischen Wurzeln zusammengesetzt, z.B. Maya:

    QE_ ‚wenden’, QI- ‚Brennen’, QU- ‚nach innen gerichtet’, B_ ‚bewegen’, TA_ verbinden’, MA- ‚vorüber gehen’, ähnlcih wie sensualistische Theorien des 18. Jh. und Irsprachenmodelle des 19. Jh. Für Nahulat: 35 Wurzeln


    >>> Antrag auf Forschungsstipendium des Social Science Research Coucal für Aufenthalt in Mexiko.

    Basis: Oligosynthese unter Bezug auf ‚binary grouping’ im Semitischen (d’Olivet)


    Ziel: „(to restore) a possible original common language of the human race or in perfecting an ideal natural tongue constructed of the original psychological significance of sounds, perhaps a future common speech into which all our varied languages may be assimilated or, outting it differently, to whose terms they may be reduced“ (aus dem Antrag)


    → Feldforschung in Mexiko (1930), bes. Maya (Hieroglyphen) und Nahuatl

    → Traf Sapir 1928 (Korresondenz seit 1927) , dann 1929 und 1930, engere Kontakte, als Sapir in Yale eine Professur übernahm

    → Durch Sapir auf ‚Sprache getrimmt’, eingeschrieben für PhD, aber nicht abgeschlossen.

    Kommilitonen waren u.a. Morris Swadesh, Stanley Newmann, George Trager, Charels Voegelin, Walter Dyk. 1937/38 dort part-time lecturer;


    Begann zu publizieren in: Language, American Anthropologist

    M.I.T.'s Technology Review (MIT, Populärwissenschaftlich).

    Darin:"Science and Linguistics" (1940),

    "Linguistics as an Exact Science" (1940),

    "Languages and Logic" (1941)

    Hier Zusammenarbeit mit J.R. Killian, Jr, später Präsident des MIT


    → Popularisierung seiner Thesen

    1940-41 vor allem in Main Current in Modern Thoughts (theosophisch-spekulative Zeitschrift, 'Early Modern Age', dazu in

    → The Theosophist

    → "Language, Mind, and Reality." The Theosophist 63(1942): 281-91 (postum)

    Mit Bekanntem Fritz Kunz, Executive Vice President of the Foundation for Integrated Education.


    1936: "One of the clearest characterizations of thinking is that of Carl Jung, who distinguishes four basic physic functions: sensation, feeling, thinkung and intution"

    → Carl Gustav Jung (1875-1961), Schweizer Psychiater, Begründer der analytischen Psychologie, erweitere Freunds triebdynamische Auffasung des Unbewussten: Einbeziehung von Traum- und bes. Mythenmotiven; Menschliche Psyche ist nur zum Teil einmalig und persönlich: Das kollektiv Unbewusste ist durch Archetypen geprägt.

    → Wichtig für Whorf scheint Jungs Sychronizitätslehre: Lehre, dass Natur und Psyche nicht nur durch Kausalzusammenhänge verbunden sind, sondern auch durch Sinnzusammenhänge, die Raum- und Zeitschranken überwinden...


    WHORF: Thinking may be said to be language's own ground, whereas feeling deals in feeling values which language indeed possesses but which lie rather on ist borderland" (1936)

    → Thinking is a function which is to a large extent linguistic.


    BIBLIOGRAPHIE

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    1937 ___, with George L. Trager. "The Relationship of Uto-Aztecan and Tanoan." American Anthropologist 39(1937): 609-24.

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