Kapitel 2: Geschichte der Sprachwissenschaft und die 'Objekte' sprachwissenschaftlicher Forschung bis zur Renaissance

2.1. Ausgangspunkt: Die Philosophen der Antike

2.1.1. Thales und die Vorsokratiker

Thales von Milet (geb. um 624 v. Chr. in Milet, Kleinasien; gest. um 546 v. Chr.) [Vorsokratiker, Vertreter der sog. Ionischen (Natur-)Philosophie]

URSTOFF
Eigentliches vs. Uneigentliches
Unveränderlich Veränderlich
Substanz Instanz

Nota: Sub-stanz (was darunter liegt, gr. hypo-keimenon) [vgl. → Tiefenstruktur]

[Mythos der Tiefe und des Grundes]

Schon bei Thales vermutlich ‚Übertragung’:

Alles im Universum ist erklärbar, innerhalb des Erfahrungshorizonts. {Hinter dem Horizont beginnt der Mythos}

Zusammengenommen: Zwei Entwürfe der Ontologie (hier übertragen auf Sprache)

Entwürfe der Ontologie

Dabei Beziehung praktisch: Verschiebung des Horizonts verschiebt Transzendenz, löst sie aber nicht auf.

D.h. Mythos bleibt stets als Option, auf den zurückgegriffen wird, wenn das Beobachtbare innerhalb eines mobilen Horizonts nicht vollständig in Bezug gesetzt werden kann.

Dabei wichtig: Horizontverschiebung ergibt sich durch Bewegung (des Beobachters), ist also Teil einer praktischen Phänomenologie (gleichzeitig Grundmotiv der Veränderungshypothese).

>>>Analog: Sprache ist (UG), Varianz/Wandel/Gebrauch ist Schein (und nicht Sprache).

Drei Ebenen:

Phýsis Lógos Nómos
Natur Denken Konvention
Wirklichkeit Denken Sprache

Vorsokratiker: Name und Sache ist ‚dasselbe’.

Ab Mitte 5.Jh.:

Name (onomázetai) > Benennung (kaléomen bei Xenophanes)
Bedingt durch Zuwachs an Empirie

Empedokles von Akragas (Sizilien)
Anaxagoras aus Klazomenai (bei Izmir)

Schon Demokrit aus Abdera in Thrakien (~460-370):

Sprache ist im wesentlichen Nomos

Neologismen: Polysemie (> heute Homonymie)
Isorropie (isórropon) > Synonymie
Anōnymon (Namenslosigkeit, Ableitungen)
metōnymon (Bezeichnunsgwandel)

2.1.2. Die Sophisten

SOPHISTEN (Nomos-bezogen; Nicht-aristokratische 'Lehrer', Rhetoriker)

Erste Sprachursprungshypothesen (téchne: des Menschen)

DAZU nach Pythagoreer (Schule in Süditalien, ~ 450 vor)

Benannt nach Pythagoras von Samos (~569 - ~475)

Vermutlich beeinflusst von Thales und Anaximander von Milet
Beeinflusst von ägyptischer Tradition (Priester in Diospolos)
Mit Magiern in Babylon (als Gefangener des Kambyses)
Später nach Italien (Croton) > mathematikoí

Wichtig: Statt 2 Schiffe + 2 Schiffe = 4 Schiffe > 2 + 2 = 4 (Abstraktion und Generalisierung, d.h. Numeralia erhalten Eigengestalt und ‚Objekteigenschaft’)

Zahl hatte Eigenschaften (mask., fem., perfekt, unvollständig, schön, hässlich)

Beste Zahl 10:

Zahl zehn geometrisch dargestellt

Substanz nicht materiell, sondern strukturell (Natur geht in Mathematik auf)
e.g. Harmonielehre in Musik affin zu Mathematik
Satz des Pythagoras (a² + b ² = c²) [Dreieck] gilt auch für materielle Dinge
Kreisbahnen der Sterne gehorchen mathematischen Verfahren.

2.1.3. Platon

Gegen Sophisten: Aristokratische Bildung; Oratorik als wahrbezogen gegen Rhetorik als wirkungsbezogen, e.g.

Platon (~427-347) : Politeia-bezogene Philosophie, attisch-intern [Einheit der hellenistischen ‚Nation’]; ‚Welt-abgewandt’ [vermutlich Sokrates-Trauma (399)], gegen staatlichen Verfall (bes. der Sophisten, Relativismus, Skepsis etc.]

Experten-Tradition: Akademie, nach Halbgott Akademos, dem der Hain geweiht war, wo die Schule lag, geründet 388.

⇒ Sprachreflexionen im Kratylos (eigentlich Lehrer des Platon, Anhänger von Heraklit; Gesprächspartner: Sokrates, Kratylos und Hermogenes, letztere geben Positionen vor, Sokrates ist Schiedsrichter)

‚Um die Richtigkeit der Namen’ (orthótes ton onomáton): Nicht ‚Sprache’ als Gegenstand selbst, sondern praxis, Rede (lógos) und ‚reden’ (légein).

Reden ist Gegenstände benennen (benamen):

dúnamis ton onomáton (vis verborum > Bedeutung) (vgl. noch Kraft der Worte)

Wie kann ein Name zeigen, was die Sache ist, die er bezeichnet?

> Etymologie ist falscher Weg, wird von Platon spielerisch gezeigt (mit vielen Vorschlägen): Problem:
Über Etymologie gelangt man von Wort zu Wort, aber nicht zum Gegenstand:

Wenn man aber wieder jeden nach Belieben Buchstaben hineinsetzen lässt in die Namen und herausnehmen, so muss es wohl leicht sein, jeden Namen jeder Sache anzupassen.

Daher Annahme, dass Etymologie zu ‚ersten Namen’ (prota onómata) führen muss, die nicht weiter rückführbar sind (Atomismus!).

Statt natürliche Richtigkeit von Namen Natürliche Richtigkeit der ‚ersten Namen’.

>>> Wie müssen erste Namen beschaffen sein, dass sie ihren Zweck erfüllen?

>>> Form: Er muss der Sache ähnlich sein. Muss die Sache nachahmen, wie ein Bild eine Sache nachahmt.

Aber: Erster Name ahmt nicht äußere Gestalt nach, sondern ihr Wesen (ousia).

>>> Nachahmung geschieht durch Stimme mittels Laute und Silben.

>>> Lautsymbolik:

Rho = Bewegung, hart, i = Dünnes Feines, a = Großes, E = Langes, d/t = Ruhe und Bindung, O = Rundes. [bei Platon ‚spekulativ’, wie er betont]

Problem e.g. sklerótes ‚Härte’ mit hartem rho und weichen lambda.

>>> Abtrennung der Sprachreflexion von einer Erkenntnistheorie.

Ausdehnung der Fragstellung auf ‚Rede' (= Satz?) im Spätwerk Sophistes

Wie es Buchstabenfolgen gibt, die nichts benennen, gibt es Wortfolgen, die nichts bedeuten.

Wie ‚erste Namen’ gibt es ‚erste Rede’ (= Satz) (verknüpft onoma und rhEma, mit onoma = Benennung von etwas, rhEma = was über onoma etwas sagt).

2.1.4. Empirische Klassifikation: Aristoteles von Stageira (384-322)

Vater war Arzt am makedonischen Hof.
Schüler von Platon (mit 17/18 Jahren, 20 Jahre lang, bis Platon’s Tod 347)
Grundlage: Erfahrung von Vielfalt (vermutl. Biologimus des Vaters)

Wirkungsmächtigster aller Philosophen

>>> Klassifikation der Erfahrung als Modus der Erkenntnis.
Voraussetzung ‚Kontakt mit Barbarei’ = Erfahrung von Varianz

→ Gegen ‚idealistischen Rationalismus’ Platons
Stattdessen eine Art Common-Sense-Philosophie
Statt utopisch begründeter Sprachkritik: Deskriptiv (als Voraussetzung, das bestmögliche aufzuspüren)
Wichtig: Abstrakta bestehen nur in der erfahrungsbasierten Abstraktion von Eigenschaften aus einer Klasse von Substanzen, nicht per se.
Daraus abgeleitet: Wesentliche vs. unwesentliche Eigenschaften
Wesentliche Eigenschaften konstituieren eine Klasse für die Substanz!

>>> Gattungsbegriff
Pferd: Säugetier, Hufe etc.

Frage: Wer bestimmt Wesentliches?

Substanz: selbständige Existenz
Eigenschaft: relative Existenz

Dabei Trennung von Form und Materie

Beispiel: Ton und Töpferware: beides gleiche Materie, andere Form

Wichtig: Um eine Phänomen zu verstehen, müssen wir es in seiner Ursächlichkeit erfahren!

Genauer zur Sprachtheorie:

Zwei Bereiche: a) Semiotisch, b) physikalisch/physiologisch

ein psóphos (Laut) muss a) artikuliert von einem Lebewesen sein und b) eine bestimmte Bedeutung ‚haben’, um eine phone (stimmlicher Laut) zu werden.

Verstärkung des Konventionaliserungsaspekts bei Aristoteles:

Ein ónoma (nomen, oder Wort) ist eine Lautgestalt, die Bedeutung hat katá synteken
Später bei Boethius (~480-524 AD) > secundum placitum ‚nach Vereinbarung’
Scholastisch ad placitum

[damit unterscheidet sich Lautung der Humana von Tieren]

Isolierung von ‚Wörtern’ in Rede (bei Aristoteles mére tes léxeos ‚Teile der Rede’) in Poetica (cap. 20,1):

Τη̃ς δε λέξεως α͑πάσης τάδ' ἐστὶ τὰ μέρη, στoιχει̃oν, συλλαβή, σύνδεσμoς, o̓́νoμα, ρη̃μα, ά̓ρθρoν, πτω̃σις, λóγoς.
Der Ausdruck im Ganzen hat folgende Teile: Buchstaben, Silben, Verbindungswort, Zeitwort, Artikel, Beugung, Satz

> stoikheion unteilbarer Laut
> syllabē´ Silbe (terminus?)
> súndesmos ‚Zusammenbinder’ (später Konjunktion)
> árthron ‚verbunden’ (später Artikel)
> ásemoi ‚Partikel’ ? (auch Präposition, amphí, perí etc.)

Nomina: ohne weitere Semantik,
Verben: mit weiterer Semantik (Zeit)
prossEmaínei (mit-) [in: de Interpretatione]

> Ptōsis (fallend) ~ Flexionsänderung

2.1.5. Die Stoa

Stoa: Philosophie in drei Teilen:

Physik: Welt des Wahrgenommenen
Logik: Welt der Erkenntnis (und Vermittlung von E.), Rhetorik, Dialektik
Ethik: Einbringen von Physis und Logos in naturgemäße Lebensführung

Fünf Wortarten: Trennung von Name (ónoma) und Nomen (prosegoría)
(Hier besonders Diogenes von Babylon)

Dazu: súndesmos (Bindemittel), árthron (Artikel), kategóremon(Verb)

Unterklasse von súndesmos ist próthesis = Präposition (syntaktisch definiert)
Unterklasse von árthron:

Daraus kanonisches Schema
Acht Wortarten (mérē tou lógou):

´
Nomen ónoma
Verb rhēma
Partizip metokhē
Artikel árthron
Pronomen antōnumía
Präposition próthesis
Adverb epirrhēma
Konjunktion súndesmos

Basis (Pseudo-)Dionysios Thrax, weiter begründet von Apollonius, Latein revidiert:
nomen, pronomen verbum, adverbium, participium, coniuctio, praepositio, interiectio
Fehlt: Artikel (wg. Latein), stattdessen interiectio (als nicht-Adverb)

→ Dialektik von sprachlichem Ausdruck (semainonta) und sprachlicher Bedeutung (semainomena) dient der Erfassung von Erkenntnisprozessen.

>>> fünf Kasus mit semantischer Lesart

Nominativ (onomastikE)
Akkusativ (aitiatikE, ‚ursachenbezogen, wg. aitía = a) Ursache ~ b) Anklage > Akkusativ, vgl. dt. Ur-Sache, aus Rechtsterminologie wie katEgorEma und axioma!)
Genitiv genikE ('zum Geschlecht gehörig' genikós)
Dativ dotikE (Geben)
Vokativ (?) [unsicher] (kletikE ‚Anredefall, kalein ‚rufen’)

Nota: Vokativ = Nominativ der Zweiten Person, also Einbeziehung von diskurspragmatischen Gründen.

Vokativ = An-Nennung (Anrede)

Daraus ergibt sich Konzept:

‚Pragmatische Kasus’

ICH > *Lokutiv
DU > Vokativ
nSAP > Nominativ

So auch Dionysios Thrax in den Scholia:

Man muss wissen, dass auch der Vokativ eine Rede zusammenbringt, so wie der Nominativ, [z.B.] ‚lies, Mensch!’; potentiell ist also auch er ein Nominativ. Das Besondere des Nominativs ist jedoch die dritte Person, während sich der Vokativ auf die zweite Person bezieht. Also ist er kein Nominativ. (Frag 788/791)

Aus mittlerer Stoa leitet sich Tradition der tékhne grammatike ab (Alexandrinische Schule)

Aristarch von Samotrake (~ 217 - 145 BC): t.gr. des Griechischen
Dionysios Thrax (der Thraker) ~ 100 BC
Autor der zweiten (?) griechischen Grammatik, aus Alexandria, Schüler des Aristarch (möglichweise Pseudo, da eventuell Produkt eines collegium oecomenicum, gegründet von Konstantin dem Großen (existierte bis 730).
Apollonios Dyskolos (2 Jh. AD)
Remmius Palaemon (=-50) erste Gram. des Lateinischen (verloren), basierend auf älteren Autoren, etwa Scaurus und Cominianus.

Später Aelius Donatus (Mitte 350 AD), ars grammatica
ars minor (de partibus orationis), Frage und Antwortkatalog über die acht Wortarten, = mittlerer Teil der ars maior, eine Art Elementargrammatik oder Fibel für Kinder.
ars maior: Ausführliche, lehrbuchartige Ausführung der ars minor, mit zusätzlichen Kapiteln wie de voce, de littera, de syllaba, de pedibus, de tonis etc…..
Zusammen die ars duplex.

2.2. Das frühe europäische Mittelalter

Die Ausprägung der Bildungs- und Sprachtraditionen im frühen europäischen Mittelalter (Grob schematisch)
Zeitraum Zentrum Ost Sprachen Peripherie Ost Sprachen Zentrum West Sprachen Peripherie West Sprachen
400-500 Neuplatonische Tradition Griechisch, Latein Mönchstum, Eremiten-Tradition (sing. Gelehrte) Griechisch, Syrisch, Armenisch, Georgisch, Koptisch, Kauk.Albanisch Residuen der röm. Schultradition Frühromanisch, Latein, Germanische Residuen (Gotisch, Vandalisch), Fränkisch Residuen der röm. Schultradition Westgermanisch, Brit. Romanisch, Inselkeltisch (bes. Q.), Latein
500-600 Verstaatlichung der Bildung Griechisch, Latein Mönchstum, Eremiten-Tradition (sing. Gelehrte), Ansätze von Klosterorg. Griechisch, Syrisch, Armenisch, Georgisch, Koptisch, Kauk.Albanisch Residuen der röm. Schultradition, Ansätze klöst. Schulen Latein, Frühromanisch, Fränkisch Mönchstum, Eremiten-Tradition (sing. Gelehrte), Ansätze von Klosterorg. Westgermanisch, Q-Keltisch, Latein
600-700 Verstaatlichung der Bildung Griechisch Mönchstum, Eremiten-Tradition (sing. Gelehrte), Klöster Griechisch, Syrisch, Georgisch, Koptisch, Kauk.Albanisch Landschulen (Pfarren), Klosterschulen, Ansätze zentrl. Bischofsschulen Latein, Frühromanisch, Fränkisch Mönchstum, Eremiten, Klöster, Ansätze der Verstaatlichung Angelsächsisch, Alt-Irisch, Latein, [Althochdeutsch]
700-800 Verstaatlichung der Bildung Griechisch Mönchstum, Eremiten-Tradition (sing. Gelehrte), Klöster Griechisch, Syrisch, Armenisch, Georgisch, Arabisch Landschulen, Klosterschulen, Bischofsschulen, Zentr. in Frankreich Latein, Frühromanisch, Fränkisch Mönchstum, Eremiten, Klöster, Bischofsschulen, Ansätze der Verstaatlichung Angelsächsisch, Alt-Irisch, Althochdeutsch, Latein, Griechisch

2.3. Von der Karolingischen Renaissance bis zum Anfang der Neuzeit

Karolingische Renaissance / fortgeführt ab Otto dem Gr.

2.3.1. Die Tradition der Grammatik-Lehrer

Mit logica nova (aristoteles): Unterwerfung der Grammatik unter die strikte Dialektik.

Dialektik als neu-gefundene ars liberalis → Interpretationsverfahren der ‚auctores’ statt simpler schulischer Paradigmatik (à la Stoa).

→ Primat der Dialektik >>> Logik

Dialectica: docet discernere ad probandum vel improbandum
(lehrt zu unterscheiden um zu beweisen oder zu widerlegen)

Grammatica: docet recte scribere et loqui ad intelligendum
(lehrt richtig zu schreiben und zu sprechen um zu verstehen)

Rhetorica: docet loqui ad persuadendum
(lehrt zu sprechen um zu überzeugen)

Höhere Bildung:

Septem Artes Liberales

[neben Quadrivium: Zahlen-basiert: Arithmetik, Musik, Geometrie/Geographie, Astronomie]

Sprachbetrachtung als Teil der Gotteserfahrung

Logica

Dialectica
disputatio acuta
Rhetorica
disciplina ad persuadendum quoque idonea (auch für Disp. geeignet)

Logica > modi disputandi > Beurteilung von wahr/falsch > Wort/Konzept

Lectio:

BASIS für ALLE: LATEIN als Metasprache

Grammatica: Immer = Grammatik des Latein, genauer des Latein als Metasprache Basis: LATEIN als globale Wissenschaftssprache, vgl. Englisch.

Pointierung der Logik als Mutter der Grammatik nach Fixierung des Aristoteles-Korpus im 13. Jh., dazu Paralleltraditionen der (Neu-)Platoniker (bes. Chartres gegen Paris/Oxford (arist.). Unterstützt durch Rezeption jüdischer argumentativer Traditionen (bes. Dominicus Gundissalinus)

> Latein als Sprache der 'logischen Erkenntnis' > Formalisierung des Latein als Metasprache, vgl. später Erasmus von Rotterdam (Humanist):

mirum vero si authoribus quis quid Latine dicat, cum ipsi nihil non barbare locuti sint
Man sollte sich fragen, ob man mit Autoren wie diesen irgendetwas in Latein sagen könnte, denn sie sprachen nichts als barbarisch.

Daneben verstärkte Beschäftigung mit dem Griechischen, etwa Robert Grosseteste.

Trennung von 'Elementargrammatiken' vs. 'exegetischen Grammatiken'

Elementargrammatiken: In der Tradition der ars minor von Donatus

Exegetische Grammatiken: In der Tradition der ars major von Donatus

Zielsetzung der frühen Scholastik:

2.3.2. Die Modisten (Schulische Tradition zwischen 1260 und 1350)

Grammatik ist das in allen Sprachen Gemeinsame.

→ Partikulares z.B. → Artikel in Griechisch funktioniert wie Genus an Nomina im Latein

Aber: Grammatik stellt keine absolute Notwendigkeit dar, sondern ist extern bedingt und nur intern in ihrer Struktur notwendig.

Daraus abgeleitet: Grammatik ist eingebettet in superordiniertes Verfahren (Metaphysik, Mathematik, Physik), hat aber ihr eigenes Regelsystem.

Damit methodisch sowohl

Grundlage: Syntax (constructio):

Syntax als universelle 'Matrix' aller Sprachen (so schon Jordanus de Saxonia (~ 1210))

Wiederbelebung des Augustinischen Zeichenbegriffs:

Augustinus (354-430): Definition des Zeichens:

signum est enim res praeter speciem quam ingerit sensibus alius aliquid ex se faciens in cogitationem venire.
Das Zeichen ist etwas, das abgesehen von seinen erfahrbaren Formen, bewirkt, dass etwas anderes in den Sinn kommt.

signum rememorativum respectu conceptus (John Duns Scotus)
Ein Zeichen [ist etwas], das [jemanden] an ein Konzept erinnert

2.3.3. Spätes Mittelalter:

Deskriptives Primat:

Basis: Joh 19,19-20:

19: scripsit autem et titulum Pilatus et posuit super crucem erat autem scriptum Iesus Nazarenus rex Iudaeorum
20: hunc ergo titulum multi legerunt Iudaeorum quia prope civitatem erat locus ubi crucifixus est Iesus et erat scriptum hebraice graece et latine

19 Pilatus ließ auch ein Schild anfertigen und oben am Kreuz befestigen; die Inschrift lautete: Jesus von Nazaret, der König der Juden.
20 Dieses Schild lasen viele Juden, weil der Platz, wo Jesus gekreuzigt wurde, nahe bei der Stadt lag. Die Inschrift war hebräisch, lateinisch und griechisch abgefaßt.

Missionstätigkeit bes. der Dominikaner (e.g. Tunis) führte zur Einreichtung von

Für lokale Mission traten 'Vernakulare' (einheim. Sprachen) hinzu.

2.3.4. Renaissance

Allgemeiner Prozess:

  1. Fortsetzung der MA-Tradition
  2. Kritik an Syntax bes. zur Verbesserung der pädagogischen Effiziens (Guarino)
  3. Neuorientierung in Ausbildung, Abschaffung des MA-Kanons grammatischer Lehrwerke, massive systematische Kritik (Scaliger, Ramus)
  4. Stabilisierungsphase (Spanien, Jesuiten), hier besonders Francisco Sáchez de las Brozas (Minvera seu de causis linguae latinae, 1587) und Manoel Alvares (De institutione grammatica 1572, mit Übersetzung ins Spanische schon 1594): rudimenta, paradigmata, syntax, metrum.

Wirksamkeit der Renaissance-Grammatiken

  1. Beginnende Norm-Diskussion zu Vernakularen, besonders in Italien (Daten als Kontroverse):
    e.g.
    • Cardinal Bembo (1525): Prose della volgar lingua (für archaisierendes Toskanisch)
    • Pier Francesco Giambullari (1551): Della lingua che si parla e scrive in Firenze (pro zeitg. Toskanisch)
    • Gian Giorgio Trissino (1528): Castellano (pro 'pan-Italienisch)
    'Sieger': Bembo-Typ: Kodifizierung durch Leonardi salviati (1584): Degli avvertimenti della lingua sopra 'l Decamerone.
  2. Methodik der Deskription als Kontroverse
    Sprach-Tradition im beginnenden 17. Jahrhundert (unsystematisch):
    1. Harmonisierung der MA-Traditionen und der Traditionen des Renaissance-Aufbruchs, Ausprägung eines deskriptiven Standards (gültig mit Modifikationen bis ins 19. Jahrhundert)
    2. Philosophische Argumentation schwächer ausgeprägt.
    3. Hinwendung zur Praxis der Vernakularen (Abbildung des Wandels im komm. Habitus)
    4. Modernisierung der Sprach-Ausbildung, massive Verbreitung grammatischer (didaktischer) Werke, daher Erreichen größerer humaner Ressourcen: Sprache wird zum Gegenstand des Alltags (und mithin zu einem beschreibbaren Objekt). Webbe-Brookes-Debatte: Sprachlernen über Paradigmenlernen (drill) oder Anwendung von 'Regeln'
    5. Missions- und Dolmetschertätigkeiten führen zu Mithradetes-Phase (im Einklang mit rationalistischer 'Sammler-Tätigkeit').
    6. Immer stärker werdende 'Desemantisierung' grammatischer Kategorien (als Fortsetzung der modistischen Tradition), zugunsten der Beschreibung von Strukturbeziehungen (> Port Royal). Abbildung von ersten großen Technisierungserfahrungen.
    7. Hinwendung zu Sprachursprungshypothesen (begründet in humanistischer Mythos-Orientierung).
    8. Abwendung von adamistischen Prinzipien: Säkularisierung der Sprachauffassung
    9. Beginnende Opposition: Deskriptive/normative Sprachbetrachtung (Einzelsprachen) vs. globale Sprachtheorie (in → Port Royal zunächst harmonisiert), dialektische Reaktion: 'Kultur als Determinante' (Italien), beginnende 'ethnologische' Sprachbetrachtung.

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