Kapitel 3: Geschichte der Sprachwissenschaft 1500-1820 und die Entdeckung der Sprachvielfalt

3.1. Sprachwissenschaft in der Renaissance

3.1.1. Die Renaissance

Renaissance (zeitgenössisch: reformatio, ital auch rináscita): Gekoppelt mit Humanismus-Traditionen seit dem 14. Jh., bes. neuaufkommende Pflege antiker Überlieferung, philologische Tradition zur Bereitstellung literarischer 'templates' für zeitgenössische Literatur.

3.1.2. Externe Motive für die Renaissance:

  1. Neudefinition der norditalienischen Staatswesen (contra HRRdN), Orientierung an Imperium Romanum, verstärkt durch:
  2. 'Fall von Konstantinopel' 29. Mai 1453
    [Mehmed II, letzter Basileios Konstantin XII Dragases]
    Folge: Ansiedlung griechischer Gelehrtengruppen in Italien, 'Quellenöffnung'
  3. Wg. Schließung der 'asiatischen Brücke', Neurorientierung der Handelssysteme (Seefahrt)
    Folge: Erweiterung der geographischen und 'ethnologischen' Perspektive
  4. Kritik an römisch-katholischen Traditionen artikuliert bes. im marginalen Bereich des Klerus; Klientel waren besonders monolinguale Laien
    Folge: Vernakulare Sprachen als Mittlersprachen der 'Reformation'
  5. Mit 3) und 4): Zunehmende (katholische) Missionstätigkeit (Nordosteuropa, Außereuropa), unter Nutzung von:
  6. Einführung des Buchdrucks: Johan [Gensfleisch zum] Gutenberg um 1450 (1453 42-zeilige Bibel) und Nutzung der Papierschöpfung (2. Jh. n.Chr. China, 12. Jh. Valencia (arab.); 1390 erste deutsche Papiermühle in Nürnberg)
  7. Zunahme der Universitätsgründungen (studium generale); tendenzielle Säkularisierung (und Aristokratisierung) der Lehre.
  8. Ökonomisierung und Individuierung der allgemeinen Lebensbereiche (bes. im Bürgertum), beginnende 'Rationalisierung' und Entmystifikation; 'Deglobalisierung'.
  9. Missions- und Dolmetschertätigkeiten führen zu Mithradetes-Phase (im Einklang mit rationalistischer 'Sammler-Tätigkeit').

→ Gessner, Conrad 1555. Mithridates. De diffenrentiis lingvarum tvm vetervm tum quæ hodie apud diuersas nationes in toto orbe terraru in usu sunt. Tiguri: Froschovervs.

Hieronymus Megiser (1554-1618/19) [Wörterbuch des Slowenischen, Grammatik des Türkischen, Übersetzung von Marco Polos Reiseberichten usw.]

→ Hieronymus Megiser 1603. Thesaurus Polyglottus: vel, Dictionarium Multilingue: Ex quadringentis circiter tarn veteris, quam novi (vel potius antiquis incogniti) Orbis Nationum Linguis, Dialectis, Idiomatibus & Idiotismis, constans, Frankfurt a.M.

Megiser 1593. Specimen quadraginta diversarum atque inter se differentium Linguarum el dialectorum. videlicet oratio dominica totidem linguis expressa. Frankfurt.

Megiser 1603. Specimen quinquaginta diversarum atque inter se differentium Linguarum et dialectorum. Frankfurt.

Megiser 1603. Prob einer Verdolmetschung in Junfzig unterschiedlichen Sprachen, darin das heylyg Vater unser, der Englisch Gruß, die zwölf Artikel unsers christlichen Glaubens, die zehn Gebott, transferiert und in Truch verfertiget worden. Frankfurt.

Die Kolonialgebiete um 1660 (Putzgers Historischer Schul-Atlas 1905):

Kolonialkarte

Vgl. die Sprachfamilien der Welt

Weltkarte
Sprachfamilien der Welt (grob schematisch) / http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/68/Sprachen_der_Welt.png

3.2. Sprachvielfalt und Sprachfamilien

3.2.1. Sprachvielfalt und geographische Räume

Großregion (ohne europ. Globalisierung) Sprachfamilien oder isolierte Sprachen Sprachenzahl Davon aktuell Sprecherzahl
Südamerika 45 470 337 12.162.807
Eurasien 29 1064 972 4.749.992.722
Australien 26 123 63 36.800
Nordamerika 25 211 138 477.550
Indopazifisch 19 1.965 1925 296.840.503
Mittelamerika 17 119 85 781.707
Afrika und NA 8 1.964 1885 735.355.200
Gesamt 169 5.916 5405 5.795.647.290

3.2.2. Sprachfamilien mit mehr als 100 Sprachen

Sprachfamilien Sprachenzahl Davon aktuell Sprecherzahl Region Großregion
Niger-Kongo 1.386 1.364 354 Mio. West-, Zentral- und Südafrika Afrika und NA
Austronesisch 1.144 1.119 296 Mio. Philippinen, Malaysia, Indonesien,
Madagaskar, Neuguinea, Ozeanien
Indopazifisch
Trans-Neuguinea 533 530 3,2 Mio. Neuguinea; Timor, Alor, Pantar Indopazifisch
Afroasiatisch 354 311 347 Mio. Nordafrika, Naher Osten Afrika und NA
Sinotibetisch 343 335 1.288 Mio. China, Himalaya-Region, Südostasien Eurasien
Indogermanisch 280 220 2.675 Mio. Europa, Südwest- und Südasien; heute weltweit Eurasien
Nilosaharanisch 196 188 34 Mio. Afrika: Süd-Sahara-Zone, Sudan Afrika und NA
Austroasiatisch 157 156 95 Mio. Nordost-Indien, Südostasien Eurasien
Sepik-Ramu 102 102 235.000 Nordwest- u. Nord-Zentral-Papua-Neuguinea Indopazifisch

3.2.3. Sprachfamilien mit Sprecherzahl über 1 Mio.

'
Sprachfamilien Sprachenzahl Davon aktuell Sprecherzahl Region Großregion
Indogermanisch 280 220 2.675 Mio. Europa, Südwest- und Südasien; heute weltweit Eurasien
Sinotibetisch 343 335 1.288 Mio. China, Himalaya-Region, Südostasien Eurasien
Niger-Kongo 1.386 1.364 354 Mio. West-, Zentral- und Südafrika Afrika und NA
Afroasiatisch 354 311 347 Mio. Nordafrika, Naher Osten Afrika und NA
Austronesisch 1.144 1.119 296 Mio. Philippinen, Malaysia, Indonesien, Madagaskar, Neuguinea, Ozeanien Indopazifisch
Dravidisch 27 27 220 Mio. Süd- und Zentral-Indien; Nord-Indien; Pakistan Eurasien
Turkisch 41 37 160 Mio. West- u. Zentralasien, Osteuropa, Nordost-Sibirien Eurasien
Japanisch-Ryukyu 4 4 126 Mio. Japan, Okinawa Eurasien
Austroasiatisch 157 156 95 Mio. Nordost-Indien, Südostasien Eurasien
Tai-Kadai 69 6883 Mio. Süd-China, Südostasien Eurasien
Koreanisch 1 1 78 Mio. Korea Eurasien
Nilosaharanisch 196 188 34 Mio. Afrika: Süd-Sahara-Zone, Sudan Afrika und NA
Uralisch 31 28 24 Mio. Nordosteuropa, Ungarn, Ural-Gebiet, Westsibirien Eurasien
Quechua 39 38 10 Mio. Peru, Ecuador, Kolumbien, Bolivien, Argentinien Südamerika

3.3. Sprachwissenschaft in der Renaissance - fortgeführt

3.3.1. Weitere Folgen der ersten Mithridates-Phase:

  1. Immer stärker werdende 'Desemantisierung' grammatischer Kategorien (als Fortsetzung der modistischen Tradition), zugunsten der Beschreibung von Strukturbeziehungen (> Port Royal). Abbildung von ersten großen Technisierungserfahrungen.
  2. Hinwendung zu Sprachursprungshypothesen (begründet in humanistischer Mythos-Orientierung).
  3. Abwendung von adamistischen Prinzipien: Säkularisierung der Sprachauffassung
  4. Beginnende Opposition: Deskriptive/normative Sprachbetrachtung (Einzelsprachen) vs. globale Sprachtheorie (in Port Royal zunächst harmonisiert), dialektische Reaktion: 'Kultur als Determinante' (Italien), beginnende 'ethnologische' Sprachbetrachtung.

3.3.2. Ausgliederung der sprachwissenschaftlichen Tradition:

→ Ausprägung von 'universalistischen' Deskriptoren (als universelle Metasprache), auf der Basis des 'Realismus' (Universalien sind 'gegeben' und nicht nur benamt), besonders Leibniz, Delgarno (ars signorum 1661), Wilkins (Essay towards a real character and a philosophical language 1668). Vgl. Eco "Die Suche nach der vollkommenen Sprache", München: Beck 1993).

→ Universelle Objektsprache als Ziel (Leibniz und viele andere, e.g. Guillaume Postel (1510-1581): Hebräisch als Alpha und Omega, ähnlich Gessner:

Gessner: Vermutung, dass mit der Reduktion der Sprachvielfalt auf Griechisch, Latein und Hebräisch der 'Sündenfall von Babel' rückgängig gemacht wird, so etwa Conrad Gessner 1555:1v: Quemadmodum autem magna infelicitatis humane pars fuit sermonis confusio: ita nostris temporibus donem uerè diuinum & præclare felicitatis loco iudicare debemus, totum ferè orbem terrarum tribus illis in cruce consecratis linguis, quas passim homines studiosi exercent, denuò coniungi: atque harum cognitione non ea modo quæ ad hominum commercia, queqe ad sapientiam humanam pertinent, sed pietatem et Deum innotescere. ["Immerhin, so, wie die Verwirrung der Sprachen zum großen Teil aufgrund des Unglücks der Menschen geschah, so müssen wir es auch als ein wirklich göttliches Geschenk und den Grund für ein bemerkenswertes Glück ansehen, dass fast die ganze Welt vereint ist unter den drei auf dem Kreuz verewigten Sprachen, die gelehrte Menschen überall praktizieren. Und man erkennt durch das Wissen dieser Sprachen nicht nur das, was die Beziehungen zwischen den Menschen und das, was die menschliche Weisheit angeht, sondern auch Frömmigkeit und Gott (...)."; Übersetzung: W.S.]

3.3.3. Furor etymologicus

Furor etymologicus: "wilde Jagd nach Etymologien" (Eco), e.g. Claude Duet 1613 (Thrésor de l'histoire des languegs de cet univers): Einschluss der 'Neusprachen' (linguae novae) in etym. Spekulation, dabei Rückführung auf Hebräisch (Hebräisch habe sich die Nähe zu den Dingen bewahrt).

→ Vgl. auch Estienne Guichard: L'harmonie etymologique des langues (1606) mit Versuch, alle Lexeme aller Sprachen (soweit jeweils bekannt) aus dem Hebräischen abzuleiten) [Permutationen etc. in kabbalistischer Tradition, analog später zu Fabre d'Olivier, Whorf etc.]

→ Athanasuis Kirchner: Turris Babel 1679: Schöpfungsgeschichte bis Babylon, dann 'Sprachgeschichte': Neo-Admaistisch, Kabbalistisch (Rabbi Becchai)

Erste Stammbaumformate

Gründe für Sprachwandel nach Babylon:

Dagegen 'Krise des Hebräischen' als lingua sancta, schon bei Joseph Justus Scaliger (d.J.) in Diatriba de europaeorum linguis 1599 mit 11 linguae matrices (= Sprachfamilien) als Ur-Muttersprachen, nur innerhalb, aber nicht miteinander verwandt.

Mit Wiederentdeckung von Lukrez (> Epikur's Brief an Herodot, nach Diogenes Laertius X 75) De rerum natura, hier V 1041-1090 beginnende 'biologistische' sensualistische Sicht von Sprache.

Damit verbunden Frage, ob es prä-adamitische Wesen gab, bes. hypothesisiert für China und Amerika, in Übernahme arab. Traditionen (e.g. Geograph al-Maqdisi mit Bezug auf Sura 2,31)
Formuliert von Isaac de La Peyère 1655 (Systema Theologicum ex prae-adamitarum hypothesi): Ausgangspunkt Paulus-Brief an die Römer, kap. 5,14

dennoch herrschte der Tod von Adam bis Mose auch über die, welche nicht wie Adam durch Übertreten eines Gebots gesündigt hatten; Adam aber ist die Gestalt, die auf den Kommenden hinweist.

→ Polygenetische Hypothesen zum Sprachursprung.

3.3.4. Die Grammatik von Port Royal

ARNAULD, Antoine (1612-1994) [Logiker, Philosoph]
LANCELOT, Claude (ca. 1615-1695) [Didaktiker]

Arnauld, Antoine & Lancelot, Claude 1660, Grammaire générale et raisonnée, contenant les fondements de l'art de parler, expliquéz d'une manière claire et naturelle, les raisons de ce qui est commun à toutes les langues et de leur différences principales et plusieurs remarques nouvelles sur la langue française . Paris: Port-Royal.

Grundlage: Jansenismus (Kloster von Port Royal) [Bischoff Cornelius Jansen, 1585-1638]

Vgl. August Friedrich Pott 1863: Gewiß, es wäre gar hübsch, wenn der Sprachphilosoph, mit einer allgemeinen oder nothwendigen Grammatik bequemsten Taschenformates in der Hand, und in dem angenehmsten Bewußtsein, viele unbehülfliche Bücher, die nur von bloß 'wirklichen' Sprachen reden, ohne großen Schaden für sich unberücksichtigt lassen zu können, schon wie weiland As[in]us omnia sua secum portans, den ganzen Sprachkram wenigstens in sublimierter vergeistigter Gestalt mit sich herum trüge! Er hätte dann einiges Recht, auf uns arme geplagte Sprachforscher gewöhnlichen Schlags, die wir uns durch ein unendliches Detail hindurchwürgen müssen, mit einer gewissen souveränen Verachtung herabzublicken. Gleichwohl ist es doch gar ein eigen Ding, mit dem, was ist, also auch mit den unzähligen Sprachidiomen der Wirklichkeit, gegenüber dem, was decretis philosophorum zufolge, 'nothwendig' sein soll, ohne, beim Lichte besehen, in Wahrheit auch nur immer wirklich, wieviel weniger nothwendig zu seyn. August Friedrich Pott 1863. Zur Geschichte und Kritik der sogenannten Allgemeinen Grammatik. In: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, N.F. 43,102-141 und 185-245. [Rezension bes. zu Steinthal, Heymann 1855. Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Prinzipien und ihr Verhältnis zueinander. Berlin: Dümmler.]

→ Wiederaufnahme der scholastischen W→D→S-Hypothese (modi der Abbildung), Zusammenfügung in sog. 'logisch-grammatischer Parallelismus'.

→ Géraud de Cordemoy: Discours physique de la parole (1677), Teil des Six discours sur la distinction et l'union du corps et de l'Ame (1666ff.): Keine mechanistische Erklärung von Sprache und ihrer Lautung möglich, sondern Inbeziehungsetzung von Ausdruck (Discours) als 'Körper' zu Semantik als 'Ame' über generelle Faktoren.

>>> Ausprägung der Phil.Gramm. besonders in Frankreich, England und Deutschland.

3.3.5. Deutschland besonders zwichen 1700 und 1750

→ etwa 20 Autoren (mindestens), e.g.
Philipp Christoph Graf 1769. Versuch einer allgemeinen Sprachlehre. Schwabach
Johann Henrich Tönnies 1775. Grammatica universalis. Hamburg.

→ Logizismus des Christian Wolff (1679-1754) geprägt, Prof. für Mathematik und Philosophie in Marburg und Halle.

1703 Breslauer Dissertation Disquisitio philosophica de loquela
(phil.Untersuchung zur Sprache)

Grammatikbegriff in deutscher UG-Tradition (1700-1750) noch relativ traditionell, basierend auf Klassik und Scholastik (Trivium) = τεχνη oder ars, e.g.
ars quae rectam linguam formationem docet (Jakob Carpov (1699-1768, Lehrer in Weimar) in meditatio philosophico-critica de lingua .... 1743.

[Zerrissen zwischen Aufklärungstheologie und radikalem Wolffianismus]

Sprache ist eine Fähigkeit (dexteritas), eine Kunst, wie man recht reden und schreiben soll (Israel Gottlieb Canz (1690-1753), Professor

Gottlob Ernst Müller (Vita nahezu unbekannt, ~ 1710- ?) Delineatio grammaticae philosophicae universalis 1736

Sprache abgeleitet aus 'angeborenem Glücksstreben' > zoon politikon ~ socialiter vivere
→ Sprache garantiert zoon politikon.

Sprache und zoon politikon
  1. loquela = facultas ideas in animo conceptas com aliis communicandi
  2. vox = lingua ex congerie sufficienti vocum apte compositarum constet
    (lingua besteht aus einer hinreichenden Menge von passend verbundenen Zeichen)
  3. loqui = konkretes Sprechen

→ Grammatica est scientia vocum et compositionis earundem

[Grammatik als Wissenschaft (meta), nicht mehr ars!]

Aufgabe von Grammatik nicht die Beschreibung eines konkreten sprachlichen Phänomens oder Befunds, sondern Erklärung der Phänomene durch Zurückführung auf principia indubitata.

Prinzipien sind angelegt in der allgemeinen Funktion der Wörter, Vorstellungen zu repräsentieren. Vorstellungen bilden Realität und ihre Ordnung ab.

→ Sprache illustriert UG, erklärt sie aber nicht!
UG ist aprioristisch im Kantschen Sinne

Kant: allgemeine(n) Grammatik, die nichts weiter als die bloße Form der Sprache enthält, ohne Wörter, die zur Materie der Sprache gehören. (Kant 1982:433f.)

Johann Heumann, 1711-1760, geadelt 1757 > Edler von Teutschenbrunn Jurist, bibliophiler Sammler, Professor für Staatsrecht.

Daneben sprachwissenschaftliche Interessen, hier der Aufsatz:
Meditatio de grammatica universali. In: Opuscula quibus varia iuris germanici itemque historica et philologica argumenta explicantur. Nürnberg: Lochner 1747: 472-479

Kurzdarstellung auf 5 Seiten in 46 Paragraphen

Ziel: Si ea investigemus quae plurimis linguis communia sunt, ad linguam aliquam universalem deducemur (p.473) 'Wenn wir untersuchen, was in vielen Sprachen gemeinsam ist, erfahren wir, was an der Sprache universal ist.'

→ Universalien werden induktiv gewonnen > Sprachvergleich liefert 'Elemente' die in 'allen' Sprachen vorkommen.

Korpus von Heumann:

Latein, Griechisch, Hebräisch, Arabisch, Phönizisch, Ägyptisch (!), Dänisch, Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Russisch, Armenisch, Chinesisch, Persisch, Ungarisch.

Analog schon Leibniz:
..., daß die Gelehrten ebene in der Walisischen, Biscaischen, Slavnischen, Finnischen, Türkischen, Persischen, Armenischen, Georgischen und anderen Sprachen arbeiteten, um deren Übereinstimmungen zu entdecken, was (...) besonders dazu dienen würde, den Ursprung der Nationen aufzuklären. (...) Da die die Sprachen im Allgemeinen die ältesten Denkmäler der Völker noch vor der Schrift und den Künsten sind, so zeigen sie auch am besten den Ursprung der Verwandtschaft und Wanderungen an (Leibniz, Neue Abhandlungen über den Menschlichen Verstand)

3.4. Die Neu-Entdeckung des Exotischen

3.4.1. Äthiopisch:

Reichshofrat Hiob Ludolf (oder Leutholf oder Job Ludolph),
Geb. 24. Juni 1624 in Erfurt Medizin und Jura, widmete sich aber bald den verschiedensten Sprachen, vor allem denen des Orients.
1645 → Leiden, um seine Studien zu vollenden. Er unternahm zahlreiche Reisen,
→ Begründer der Äthiopistik in Europa. Gest. am 8. April 1704 in Frankfurt am Main.

Schüler: Johann Michael Wansleben (1635-1679)
Lexicon Aethiopico-Latinum
ex omnibus libris impressis, et multis msstis contextum; accedit index latinus copiosissimus.
1. Aufl. London 1661 (Roycroft), hgg. von Johann M. Wansleben, 3 Teile: Wörterbuch der klassischen äthiopischen Sprache (Ge'ez)
Lexicon Amharico-Latinum
cum indice Latino copioso inquirendis vocabulis Amharicis in hoc opere contentis. Frankfurt am Main 1698 (Zunner). Erstes Wörterbuch des Amharischen.

3.4.2. Sanskrit:

Erstmal nachgewiesen bei baskischem Jesuiten (Missionar in Goa) Francisco de Yasu y Xavier (1506-1522) [Franciscus Xaverius]

→ Florentiner Kaufmann Filippo Sassetti (1683-1588 in Indien): Verweist auf Ähnlichkeiten der Sanksrit-Zahlwörter mit denen des Italienischen.

Jesuit Johann Ernst Hanxleben (1680-173) (Disctionarium Malabaricum Samscridamicum Lusitanum), dazu erste europäische Sanksrit-Grammatik. /Jeweils Manuskripte/

Missionar Benjamin Schultze, vergleicht 1725 Zahlwörter des Sanskrit mit denen des Lateinischen, Griechischen und Deutschen.

Mönch/Bibliothekar/Antiquar in Berlin Maturin Veyssiere La Croze (1661-1739), war angeblich der erste, der die Verwandtschaft des Sanskrit mit dem Persischen andeutete.

Jesuit G.L. Coeurdoux, mit umfangreicher Liste von Wortgleichungen (1767) Sanskrit – Griechisch – Latein (in einem Brief an Pariser Académie des Inscriptions er Belles-Lettres, gedruckt erst 1808)).

→ Ursache für Ähnlichkeit 'die ursprüngliche Verwandtschaft der Inder, Griechen und Lateiner' (in Brief) /aber nicht unbedingt gemeint als 'genetische' Verwandtschaft, eher als Zusammengehen der Sprecher nach babylonischer Sprachverwirrung (Lehnbeziehungen)

Ausgangspunkt für Sanksrit-Philologie:

1778 französische und deutsche Versionen
Einleitung informiert über Sanskrit und ind. Kultur
→ Fördert Interesse an Sanskrit

Besonders in England:

→ Sanskrit stammt mit Griechisch und Latein von einer gemeinsamen Wurzel ab, die vielleicht nicht mehr existiert. Dazu (auch wenn Evidenz nicht so 'forcible') auch Gotisch und Keltisch ('blended with a very different idiom'), dazu 'Old Persian'. (1788:422-3)

Kriterium der Übereinstimmung: 'the roots of verbs and in the forms of grammar'

→ Henry Thomas Colebrooke (1765-1837) Richter, später 'Prof. of the Sanscrit Language' am College von Fort Williams in Indien

U.a. Panini-Rezeption (1803, 1810), dann 1805 'A grammar of the Sanscrit language'

3.4.3. Altägyptisch

Neben Weiterleben antiker Lesarten bes. Jesuit Athanasius Kircher (1602-1680), übersetzte ein Koptisch-Arabisches Vokabular (mitgebracht von Pietro della Valle) → Prodomus Coptus sive Aegytiacus (1636)

Weitere Versuche von Joseph de Guignes (1721-1800), William Warburton (1698-1779) und Carsten Niebuhr (1733-1815)

1799: Entdeckung des Steins von Rosetta durch franz: Soldaten bei Schanzarbeiten in Rosetta
Griechisch/Demotisch/Hieroglyphische Trilingue
Nur kleiner Teil des Hieroglyphischen erhalten
Inhalt: Dekret zu Ehren des König Ptolemäus Epiphanes (196 v.Chr.)

Stein von Rosetta wurde von Engländern 'erobert', Kopie ging in Hände des franz. Orientalisten Silvestre de Sacy. Vergebliche Versuche von de Sacy, Übergab die Kopie an den schwedischen Diplomaten Åkerblad in Paris, orientalistischer Privatgelehrter.

In zwei Monaten schaffte Åkerblad demotische Namen und Wörter für 'Tempel' und 'Griechen' zu identifizieren, hatte aber 'alphabetische Hypothese' (< Koptisch)
Publiziert 1802 in 'Lettre à Mr. de Sacy'

Parallelisierung Demotisch-Hieroglyphisch durch Thomas Young (Begründer der Theorie des Lichts) 1814-16. Konzentrierte sich auf Kartuschen > Königsnamen

Jean François Champollion, geb. 23.12.1790 (Figeac), gest. 4.3.1832 (Paris)

Mit 12 Jahren Hebräisch und Arabisch, massiv orientalisierend, unterstützt von seinem Bruder Jacques Joseph Champollion-Figeac.

Student in Grenoble → Alte Geschichte, Koptisch etc.

Mit 18 Jahren Professor in Grenoble, als Republikaner 19815 entlassen, 1816 Schulmeister in Figeac, 1817-20 wieder in Grenoble (Bibliothekar); Flucht nach Paris.

29. September 1822: Vortrag an der Akademie: Lettre à M. Dacier relative à l'aphabet des hiérogylphes phonétiques.
1824: Précis du système hiéroglyphique.

3.4.4. Indianische Sprachen

→ Besonders Lorenzo Hervás y Panduro (1735-1809)
Bis zur Vertreibung der Jesuiten aus Südamerika (1767) in Mission, später Bibliothekar im Quirinal in Rom.

Sammelte Aufzeichnungen anderer Missionare zu Sprachen und Kulturen → Grammatiken und lexikalische Sammlungen

1784: 17. Band einer 21-bändigen Enzyklpädie: Catalogo delle lingue conoscìute e notizia della loro affinità e diversità, daraus 1800-1805 sechsbändige Version (Spanisch)

Catálogo de las lenguas de las naciones conocidas y numeración, divisón, y clases de estas según la diversidad de sus idiomas y dialectos

Grammatiken und lex. Listen von ~ 300 Sprachen
Band I (Indianersprachen)
Band II (Indischer und Pazifischer Ozean)
Band III (Asien)
Band IV-VI (Europa)

Schaffte erste umfassende Klassifikation der amerinden Sprachen

3.4.5. Persien/Babylonien

(u.a. Carsten Niebuhr, Georg Friedrich Grotefend (* 9. Juni 1775 in Hann. Münden; † 15. Dezember 1853 in Hannover): Entzifferer der Keilschrift.

1797 Kollaborator der dortigen Stadtschule
1803 wurde er Prorektor, später Konrektor des Gymnasiums in Frankfurt am Main
1821 Direktor des Lyceums in Hannover

3.4.6. Indogermanistik

Johann Christoph Adelung (1732-1806), deutscher Grammatiker und Verfasser des Mithridates oder allgemeine Sprachenkunde mit dem Vater Unser als Sprachprobe in bey nahe fünfhundert Sprachen und Mundarten (Berlin 1806-1827, 4 Bände, Band 2-4 von Johann Severin Vater (1771-1826))

→→ Die Etablierung der historischen Sprachwissenschaft: Die Brüder Schlegel etc.

Preisfrage der Königlich Dänischen Gesellschaft der Wissenschaften (1813):

Mit historischer Kritik zu untersuchen und mit passenden Beispielen zu erläutern, aus welcher Quelle die alte skandinavische Sprache am sichersten hergeleitet werden kann; den Charakter der Sprach und das Verhältnis anzugeben, worin sie seit den älteren Zeiten und während des Mittealters teils zu nordischen, teils zu germanischen Dialekten gestanden hat; und die Grundsätze genau zu bestimmen, worauf alle Herleitung und Vergleichung in diesen Sprachen aufgebaut werden muss.

Rasmus Kristian Rask (1787-1832):

Undersøgelse von det gamle Nordiske eller Inslandske Sprogs Oprindelse (1814 eingereicht) Erschien erst 1818.

Zwischenzeitlich (1816) erschien in Frankfurt Franz Bopp (1791-1867):

Über das Conjugationssystem der Sanskritsprachen in Vergleichung mit jenen der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache. Nebst Episoden des Ramajan und Mahabharat in genauen metrischen Übersetzungen aus dem Originaltexte und einigen Abschnitten aus den Veda's.

→ Historisierung der Sprachwissenschaft im Gefolge der (Früh-)Romantik.
Basis: Die 'Entdeckung der Geschichte'

→ Mythisierung der literarischen/sprachlichen Welt (logos-Mystik / Sprachhumanismus)

Johann Georg Hamann
Königsberg 27.8.1730 – Münster 21.6.1788

Johann Gottfried Herder (seit 1802 'von')
Mohrungen 25.8.1744 – Weimar 18.12.1803

Friedrich Wilhelm Christian Karl Ferdinand Freiherr von Humboldt
(22.6.1867 (Potsdam) – 8.4.1835 (Tegel)

[vgl. dazu ausführlicher: /BB/swgbb.pdf , Seiten 109-122].

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