Kapitel 6: Die Erfassung der Signifié-Ebene ('Semantik') - Eine erste Annäherung

6.1. Annäherung an die Beschreibung der Signifié-Ebene

Ausgangsfrage: Wie kann die Signifié-Ebene eines sprachlichen Zeichens beschrieben werden?

Problem: Die Signifié-Seite eines sprachlichen Zeichens kann nicht unmittelbar beobachtet werden, da sie Ausdruck von kognitiven Prozessen ist.

6.1.1. Möglichkeiten der indirekten Beobachtung:

  1. Introspektion: Was stelle ich mir vor, wenn ich ein sprachliches Zeichen artikuliere?

    Verallgemeinert: Massive Informantenbefragung

    e.g. Semantisches Differential (Verfahren zur quantitativen Analyse der affektiven Bedeutungen von sprachlichen Zeichen und Zeichenkomplexen (Charles E. Osgood 1957) → Polaritätsprofil; 'gelenktes Rating':

    semantisches Differential
    Literatur:
    Peter R. Hofstätter 1971. Gruppendynamik. Kritik der Massenpsychologie. Durchgesehene und erw. Neuauflage. Reinbeck: Rowohlt (Erstauflage 1957).
    Hans Hörmann 1977. Psychologie der Sprache. 2., überarbeitete Auflage. Berlin/ Heidelberg/ New York: Springer, S. 114ff.
    Charles E. Osgood 1976. Focus on Meaning. Vol. 1: Explorations in Semantic Space. The Hague/ Paris: Mouton.
    Charles E. Osgood, G.J. Suci, P.H. Tannenbaum 1957. The Measurement of Meaning. Urbana: University of Illinois Press.

    Problem: Ein sprachliches Zeichen wird durch ein sprachliches Zeichen paraphrasiert / definiert.
    E.g.: Elephant ist ein Wort, das ein Tier bezeichnet, das über folgende Eigenschaften verfügt: a. Rüssel, b. grau, c......, d.... usw.

    Elefant und sprachliches Zeichen

    Vorteil: Mittels Paraphrasen/Definitionen kann der Wissensumfang in Bezug auf das Signifié eines sprachlichen Zeichens klassifiziert werden (Taxonomie, s.u.).

  2. Nicht sprachlich (Signifié wird über außersprachliche Modelle beschrieben):

    Zum Beispiel visuell basiert (bildlich):

    Elefant gezeichnet

    Zwei Typen:

    1. Proband zeichnet selbst ein Signifié:
      gezeichnete Vögel

      Problem: Nur in wenigen Punkte einheitliche Abbildung (aber: gemeinsame Punkte können auf zentrale 'Eigenschaften' des Signifié verweisen).

    2. Proband erhält Zeichnungsvorschläge, e.g.:
      Welches dieser Bilder entspricht der Bedeutung von Vogel?
      verschiedene Bilder zur Auswahl
      Problem: 'Vereinheitlichter' Stimulus wirkt als 'Vorgabe', also nur 'abgrenzende' Information.

      Analog in prototypisch organisierter Kategorie ('bester Vogel'):

      verschiedene Vögel zur Auswahl

      Problem: Wird wirklich das Signifié zum Wert X beschrieben oder dient das Wort X nur als Appell zum Abruf enzyklopädischen Wissens? Wird also Linguistisches oder Vor-Linguistisches beschrieben?

      Problem: Mit bildhaften Darstellungen können generalisierte und 'abstrakte' Konzepte nur schwer erfasst werden.

      NOTA: Bildliche Repräsentation solcher Konzepte = ALLEGORIE

6.1.2. S[timulus]-R[esponse]-Modell (SRM)

These (stark vereinfacht): Das Signifié drückt sich als im Response des 'Hörers' (auch des 'Sprechers', wenn er seine eigenen Konzepte 'be-handelt') eines sprachlichen Zeichens (Behaviorismus).

Einfaches Beispiel:

Stimulus: nimm den Hammer

Dagegen:

Stimulus: nimm den Grugolop

6.1.3. Die 'Etablierung' von 'Bedeutung' (vereinfacht)

Ein Umweltreiz wird mehrfach erfahren und diese Erfahrung wird kategorisiert, woraus sich 'Vorstellungen' (Konzepte) ergeben, die zur Verarbeitung analoger Umweltreize abgerufen werden:

Kategorisierung von Vogel

Das Konzept wird im Lernen mit einem Artikulationsmuster (signifiant) fixiert, wobei diese Fixierung je nach Kategorisierung mehrfach erfolgen kann:

Ein einfaches Beispiel:

detailliertere Kategorisierung von Vogel

Also:

eine Amsel auf der Straße

Das ist eine Amsel auf der Straße.
Da ist ein Vogel auf der Straße.
?Da ist ein Tier auf der Straße.
?Da ist ein Lebewesen auf der Straße.

Assoziative Netze:

Assoziative Netze

Assoziationstypen

S-é/S-antS-é/S-antMannFrauStandard
S-éS-é/S-ant<MANN>dummMeronym
S-antS-é/S-ant[hui]WindLS
S-éS-é<MANN><FRAU>Konzept. Reim
S-éS-ant<WIND>[hui]LS
S-antS-é[i]<KLEIN>LS
S-antS-ant[ein][mein]Lautl. Reim

Semantische Relationen

Semantische Relationen

Semantische Primitive (Natural semantic metalanguage)

Semantische Primitive

Vgl.:

Goddard, Cliff 1998. Semantic Analysis: A practical introduction. Oxford. Oxford University Press.
Goddard, Cliff (ed.) 2006. Ethnopragmatics - Understanding discourse in cultural context. Berlin: Mouton de Gruyter.
Goddard, Cliff (ed.) 2008. Cross-Linguistic Semantics. Amsterdam/Philadelphia: John Benjamins.
Goddard, Cliff and Wierzbicka, Anna (eds.) 1994. Semantic and Lexical Universals - Theory and Empirical Findings. Amsterdam/Philadelphia: John Benjamins.
Goddard, Cliff and Wierzbicka, Anna (eds.) 2002. Meaning and Universal Grammar: Theory and Empirical Findings (2 volumes). Amsterdam/Philadelphia: John Benjamins.
Harkins, Jean & Anna Wierzbicka 2001. Emotions in Crosslinguistic Perspective. Berlin: Mouton de Gruyter.
Peeters, Bert (ed.) 2006. Semantic Primes and Universal Grammar: Empirical evidence from the Romance languages. Amsterdam: John Benjamins.
Wierzbicka, Anna 1972. Semantic Primitives. Frankfurt: Athenäum.
Wierzbicka, Anna 1992. Semantics, Culture, and Cognition. Oxford: Oxford University Press.
Wierzbicka, Anna 1996. Semantics: Primes and Universals. Oxford: Oxford University Press.
Wierzbicka, Anna 1997. Understanding Cultures Through Their Key Words. Oxford: Oxford University Press.
Wierzbicka, Anna 1999. Emotions Across Languages and Cultures. Cambridge: Cambridge University Press.
Wierzbicka, Anna 2003 (1991). Cross-cultural Pragmatics: The semantics of human interaction. 2nd edition. Berlin: Mouton de Gruyter.
Wierzbicka, Anna 2006. English: Meaning and culture. New York: Oxford University Press

Beispiele:

X lied to Y =
X said something to Y
X knew that it was not true
X said it because X wanted Y to think that it was true
people think that it is bad if someone does something like this

X feels happy =
X feels something good like people can feel when they think like this:
something good happened to me
I wanted this to happen
I don't want anything else now

Japanisch amae (zu amaeru 'wish to be loved' , 'dependency needs'.

X feels amae =
when X thinks about Y, X feels something good like people can feel
when they think like this about someone:
when this someone thinks about me, this someone feels something good
this someone wants to do good things for me
this someone can do good things for me
when I am with this someone nothing bad can happen to me
I don't have to do anything because of this

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