Die 'Ausgestaltung' einer sprachlichen 'Einheit' (Lexem, Phrase usw.) kann nur durch funktional homogene Mittel erfolgen:
[X mit Ex] → [X mit Ex]:[M mit Ex]
Lies: Wird ein Element X mit X-typischen Eigenschaften 'erweitert', kann dies nur durch Elemente (M) geschehen, die ebenfalls X-typische Eigenschaften aufweisen.
→ Wenn X ein 'sprachliches Zeichen' ist, dann müssen Morpheme ebenfalls sprachliche Zeichen sein.
Etwa:
Basiseinheit | + | Gestaltung | Wert des Gestaltenden |
[thiš] | + | Geste | Nicht morphologisch |
[thiš] | + | Tonvariation | Morphophonologisch/prosodisch (systemabhängig) |
[thiš] | + | Augenbraue hoch | Nicht morphologisch |
[thiš] | + | [e] | Morphologisch |
Sprachliches Zeichen (SZ):
→ 'Zwei Seiten einer Medaille':
V ist nur Teil von SZ, wenn A vorhanden.
A ist nur Teil von SZ, wenn V vorhanden.
SZ ist nur, wenn A und V gekoppelt sind.
Ein Morphem ist ein nicht autonomes sprachliches Zeichen, das ein gegebenes sprachliches Zeichen oder dessen phrasales Schema ko(n)textbedingt ausgestaltet oder das den signifié-Bereich eines sprachlichen Zeichens variiert.
a.
b.
Wdh.:
Der Typ (a) heißt Flexionsmorpohologie (das sprachliche Zeichen wird zum Ko(n)text hin 'gebeugt')
Der Typ (b) heißt Derivationsmorphologie (das sprachliche Zeichen wird semantisch variiert).
Im Folgenden zunächst Typ (a):
Ko(n)text ist in der Regel nicht als festes Vorstellungsraum fixiert, sondern über 'Kategorien':
Analog: Autonome sprachliche Zeichen werden in der Regel kategoriell verarbeitet:
Definition: Eine Kategorie wird von einer 'Klasse' von Elementen gebildet, die aufgrund als gemeinsam konstruierter/erfahrener/beobachteter (etc.) Formen, Eigenschaften, Funktionen oder historischer Bedingungen etc. in einen motivierten Zusammenhang gestellt werden. Dabei spiegelt der Kategorienname als Zeichen diese Gemeinsamkeit(en) wider.
Kategorienname ist das sprachliche Zeichen einer Kategorie:
Nota: Kategorien können, müssen aber nicht 'benamt' sein.
Jedes Element wird genau einer Kategorie zugeordnet:
Etwa:
Mensch | → | Lebewesen |
Stein | → | Kein Lebewesen, aber Objekt |
Liebe | → | Kein Lebewesen, kein Objekt |
Ein Element wird einer Kategorie zugeordnet, die die meisten/besten (prototypischsten) Eigenschaften des Elements repräsentiert.
Etwa:
Amsel | → | Vogel (stark prototypisch) |
Huhn | → | Vogel (weniger stark prototypisch) |
Pinguin | → | Vogel (schwach prototypisch) |
Ein Element wird aufgrund eines oder mehrerer Merkmale, die es mit einem anderen Nachbar-Element teilt in eine Kategorie eingeordnet, deren Elemente sich über eine solche Nachbar-Beziehung definieren:
Elemente werden einer Kategorie zugeordnet, die nicht über 'intrinsische' (im Objekt enthaltene) Eigenschaften definiert ist, sondern über gemeinsame, mit den Elementen verbundene Gebrauchstraditionen, Vorstellungen, soziale Assoziationen, Mythen etc.
Beispiel: Dyirbal (NO-Australien)
Klasse II der Nomina:
Women, fire, and dangerous things (vgl. Dixon 1972, Lakoff 1987)
Flexionsmorpheme sind also sprachliche Zeichen, deren signifié-Bereich eine Kategorie (Typ 1-4) des Ko(n)texts repräsentiert.
Vertreten mehrere Morpheme dieselbe Kategorie, bilden sie ein Paradigma dieser Kategorie
Da sich M1 bis (hier) M3 aber unterscheiden, müssen sie hinsichtlich einer anderen Kategorie unterschiedlich sein!
Vgl. Latein (Ausschnitt, vereinfacht):
Linguistische Kategorien sind zunächst reine Deskriptoren von Klassen, die qua Beobachtung erstellt werden (einfacher Strukturalismus).
Zunächst intuitiv werden sie mit mentalen (kognitiven) Kategorien (signifié-Bereiche der Morphologie) verbunden.
In einem zweiten Schritt werden die kognitiven Kategorien charakterisiert und es wird versucht, eine unmittelbare Beschreibung zu erreichen:
NOTA: Die Terminologie linguistischer (Beschreibungs-)Kategorien und 'kognitiver' Vorstellungskategorien kann sich unterscheiden:
Kognitiv: | ZEIT/TIME | MODALITÄT | PERSONALITÄT | POSSSESSOR |
⇅ | ⇅ | ⇅ | ⇅ | |
Linguistisch: | TEMPUS | MODUS | PERSON | GENITIV (u.a.) |
In vielen Fällen gibt es bislang nur 'linguistische' Termini: Nominativ, Akkusativ etc.
Lexeme repräsentieren als sprachliche Zeichen feste Vorstellungen über Referenten/Objekte und deren Einbettung in Ereignisse:
Morpheme repräsentieren kategorielle Vorstellungen (s.o.):
Grammatikalisierung:
Lexikalische Einheiten werden zu Morphemen uminterpretiert. Dabei kann (!) der kategorielle Raum, dem eine Objekt- oder Ereignisvorstellung zugeordnet ist, durch die Signifiant der eigentlicher Objekt- oder Ereignisvorstellung ausgedrückt werden:
Jetzt ist das Signifiant [hier: A(L)] dem Signifié [Kategorie(SZ)] zugeordnet, nicht mehr [V(L)].
→ Meronyme Extension: Das Teil steht für das Ganze.
Folge: Das Signifiant A(L) kann auch mit anderen Objekt-/Ereignisvorstellungen, die derselben Kategorie zugeordnet sind, auftreten.
Häufiger Grammatikalisierungsweg:
Lexem | [→ | Derivation] | → | Flexion |
Schematisch:
NOTA: Grammatikalisierung als 'Morphem' hat häufig die Reduktion der Signifiant-Seite zur Folge, vgl.
du gehst ← *du gehs-du [nicht-diachrone Schreibung/ alternative Deutung möglich!]
Kopplung von Derivation und Flexion, etwa Türkisch:
ev-ler-im-den
house-PL-1Sg:POSS-LOC
'von meinen Häusern'
Kompatibilität
Eine morphologische Gestalterweiterung setzt semantische (vorstellungsbezogene) Kompatibilität der beiden Domänen voraus:
Türkisch:
Deutsch:
Dies bedeutet, dass Morphologie auf eine kategorielle Domäne der Basiseinheit 'abzielt' bzw. diese markiert:
Will heißen: Da Morphologie im signifié-Bereich 'Kategorien' abbilden und keine individuierten Vorstellungen, sind sie dann mit einer Vorstellung (ausgedrückt in einer Basiseineinheit) kompatibel, wenn sie sich auf einen kategoriellen Aspekt der in der Basiseinheit ausgedrückten Vorstellung beziehen.
Etwa:
ev-ler-im-den
house-PL-1Sg:POSS-LOC
'von meinen Häusern'
Ergo (wdh.): Der kategorielle Bereich (signifié) eines Morphems muss kompatibel sein mit dem/einem kategoriellen Bereich der Vorstellung (signifié) des betreffenden Lexems.
Daher geht (Latein): | amic-orum |
friend-PL | |
aber nicht: | ven-i |
*come-PL (recte: come-1Sg:PERF) |
Nota: Die Frage, welche Morpheme mit welchen kategoriellen Räumen von Lexemen verbindbar sind, ist einzelsprachlich geregelt, obschon es universelle Tendenzen gibt.
Vgl.
Deutsch: | *sein | wird=Haustier |
*3sg:POSS | FUT:3Sg-Haustier | |
Guaraní: | i-mymba-rã | |
3sg:POSS-Haustier-FUT/PROSP | ||
'sein zukünftiges Haustier' | [ Tonhauser 2006:210] |
Türkisch: | ev-ler |
Haus-PL | |
'(Die) Häuser' | |
git-ti-ler | |
gehen-PAST:3Sg-PL | |
'sie gingen' | |
Deutsch: | Tisch-e |
Tisch-PL | |
*sag-e | |
*sagen-PL |
Ein (Flexions-)Morphem wird über Funktion und Kategorie bestimmt:
→ Funktion: Abbildung von bzw. Bezug auf Ko(n)text-Eigenschaften
→ Kategorie: Abbildung von kategorialen Eigenschaften der lexikalischen 'Basiseinheit'
[Lexikalische Basiseinheit = 'Host' im weiten Sinne des Terminus]
Beispiele (Deutsch)
1.
NOTA 1:
Nominale Ausdrücke können nach mindestens drei Typen kategorisiert werden (sprachabhängig) [vgl. Jan Rijkhoff. The noun phrase. Oxford: Oxford University Press 2002. (Oxford Studies in Typology and Linguistic Theory)]
a. SON:
b. SET NOUNS:
NOTA 2:
P-or ~ P-um [vgl. ausführlicher /WS0708/kapro7.pdf ]
P-or = Possessor: Dasjenige Konzept, das als 'Besitzer von X' fungiert.
P-um = Possessum: Dasjenige Konzept, das als 'x eines Besitzers' fungiert.
→ P-um stellt also den Kotext von P-or.
Beispiel 2 (Türkisch)
NOTA:
EV = Ereignisvorstellung (Basistruktur: ℜ → ℜ)
ROLE:A = (Qualifiziert für:) Agentive Rolle
Zwei Typen:
a. Die Artikulationsseite eines morphologischen sprachlichen Zeichens (Morphems), also das MORPH hat Varianten, ohne dass sich die Konzeptseite (Kategorie/Funktion) des Morphems ändert.
b. Die Konzeptseite (Kategorie/Funktion) eines morphologischen sprachlichen Zeichens (Morphems) hat Varianten, ohne dass sich die Artikulationsseite (also das MORPH) ändert.
Typ a: → ALLOMPORH
Beispiel (Deutsch, Auswahl, UL = Umlaut]:
Türkisch:
→ Drei Typen der Allomorphie
Stammvokal | Suffixvokal |
[i], [e] | [i] {-i-} |
[a], [ı] | [ı] {-ı-} |
[o], [u] | [u] {-u-} |
[y], [œ] | [y] {-ü-} |
Analog: Türkischer Ablativ: /-TAn/
ev-den | house-ABL | von dem Haus |
at-tan | horse-ABL | vom dem Pferd |
iş-ten | work-ABL | von der Arbeit |
ağız-dan | mouth-ABL | von dem Mund |
Vokalharmonie (Zweier-Reihe)
Stammvokal | Suffixvokal |
[i], [e], [y], [œ] | [e] |
[a], [ı], [o], [u] | [a] |
Assimilation:
Lexikalischer Auslaut | Suffixanlaut |
[sth] | [sth] |
[stl] | [stl] |
NOTA: Lexikalische Motivation geht oft auf historisch/ehemals artikulatorisch bedingte Motivation zurück.
Beispiel:
(sie) sag-Ø-t | vs. | (sie) sag-te-Ø | |
say-PRES-3Sg | say-PAST-3Sg |
Hier ist -t vs. -Ø allomorph in Bezug auf die 'Person' (3Sg), aber morphemisch in Bezug auf die Dimension 'ZEIT'.
Analog: Definiter Artikel {Nominativ; Singular} im Deutschen:
TYP 2 → Polysemie / Homophonie (~Homonymie)
Homophonie (auch: Homonymie): Ein (hier:) Morphem hat eine Artikulation (Morph), aber mehrere Konzeptbereiche, die nicht mit einander 'verwandt' sind (vgl. lexikalisch [Deutsch] Ball: 1. bewegliche Kugelgestalt; 2. Tanzereignis).
Wenn zwei oder mehrere konzeptuelle Domänen (Kategorien/Funktionen) mit einander verwandt sind, ist oftmals eine Frage der linguistischen Theorie. In vielen Fällen muss die Vermutung einer Nicht-Verwandtschaft als vorläufig angesehen werden, weil die zugrunde liegende Verwandtschaft (noch) nicht entdeckt ist, vgl. Deutsch (Ausschnitt) definiter Artikel + -er (Singular, Feminin) :
Ebenso:
Dyirbal -gu (Ausschnitt)
Ergo: Die Bestimmung von nicht-Verwandtschaft zweier oder mehrerer kategorialer oder funktionaler Dimensionen erfordert ein Wissen um nicht vereinbare Eigenschaften dieser Dimensionen, etwa:
→ "Deutsch -er (Artikel Singular, Feminin) ist homophon, weil im Maskulinum Genitiv und Dativ unterschieden werden."
→ "Dyirbal -gu ist homophon, weil die Wortarten der beiden host-Typen (Nomen → Dativ), Verb → Finalis) grundsätzlich unterschiedlich sind."
[Splitting]
THESE: In vielen Fällen sind homophone Morpheme nichts naderes als Polysemien (s.u.), deren interne Struktur ('Verwandtschaft der Segmente') nicht nicht erkannt ist. (sog. Lumping)
→ Typ 3: Polysemie
Ein Morphem hat eine Form (Morph) oder eine Reihe von Allomorphen, die zwei oder mehrere mit einander verwandte Konzeptbereiche symbolisieren.
Latein -m (Singular)
E.g.:
amic-us | amic-a-m | vide-t |
friend-M:SG:NOM | friend-F-SG:ACC | see-3Sg:PRES |
amic-us | Roma-m | veni-t |
friend-M:SG:NOM | Rome:F-SG:ACC~ALL | come-3Sg:PRES |
Unter Einschluss von Neutrum:
templu-m | in urb-e | sta-t |
temple-N:SG:NOM | in town-F:SG:ABL/LOC | stand-3Sg:PRES |
Vereinfacht: