4.Die christlichen Traditionen des Mittelalters

Die gelehrte Auseinandersetzung mit Sprache war wie jede andere 'wissenschaftliche' Arbeit im Mittelalter (6. Jh. bis 15. Jh. )eng an die Aussagen der Bibel sowie deren Interpretation gebunden. Dies änderte sich erst zum Ende der Epoche, als in der Renaissance verstärkt eine Neurezeption derjenigen griechischen Philosophen stattfand, die im Früh- und Hochmittelalter als 'Heiden' keine Berücksichtigung fanden. Grundlegend für die wissenschaftlichen Traditionen des Mittelalters sind demzufolge die spätantiken Rezeptionswege christlicher Texte sowie deren Kanonisierung in den unterschiedlichen christlichen Kirchen. Deshalb ist diesem Kapitel eine Übersicht dieser Rezeptionswege vorangestellt. Sie wurde bewusst nicht im Kapitel zur Antike verortet, da dort ausschließlich die vor-christliche griechische-römische Antike besprochen wird, wie sie später in der Renaissance wieder aufgenommen wird. Weiterführende Informationen zu allen hier genannten wichtigen Theologen, Gelehrten und Kirchenvätern finden sich im Biographisch-Bibliographischen Kirchenlexikon von Bautz: http://www.bautz.de/bbkl/

Periodisierung: Der oben genannte Zeitraum entspricht einer gängigen historischen Periodisierung, nach der Mitte bis Ende des 15. Jh. die Frühe Neuzeit beginnt (Orientierung: Martin Luther für Mitte 15. Jh. und Entdeckung Amerikas durch Kolumbus für die spätere Periodisierung). Die Frühe Neuzeit ist die Periode bis ca. Mitte des 18. Jahrhunderts (Französische Revolution/industrielle Revolution). Danach beginnt die Neuzeit bzw. Moderne. Es kann im folgenden zu Abweichungen in der Zuordnung kommen, wenn eine Entwicklung über die Epochengrenze 'Mittelalter' hinausreicht, aber aufgrund ihrer Struktur noch im Mittelalter anzusiedeln ist oder wenn eine Entwicklung, die zeitlich noch der Spätantike zuzurechnen ist, aufgrund vorhandener Neuerungen mehrheitlich bereits mittelalterliches Gedankengut und Perspektiven umfasst.

4.1 Spätantike Grundlegung

Die frühe Bibeltradition - Das Alte Testament

Die Grundlage bildete das Alte Testament in der griechischen Version (LXX oder Septuaginta um 300-130 v.Chr.). Der Name basiert auf dem Brief des Aristeas und der dortigen Aussage:

'Übersetzt von 72 (> 70) Männern der 12 Stämme Israels in Alexandria'

[so noch im ersten Jahrhundert nach Christus beim jüdischen Historiker Flavius Josephus, später legendär ausgestattet]

Der Aristeas-Brief ist wohl eine Fälschung des 1.Jh. n.Chr., um Propaganda für die Septuaginta

zu machen:

Um 100 vor Christus lag die vollständige Fassung der LXX vor:

Der heute gültige hebräische Text ist die Biblia Hebraica (ed. Rudolf Kittel). Sie ist die allgemein anerkannte Text des Alten Testamtents (=textus receptus hebraicus) und basiert auf der editio Bombergiana, die 1524-25 bei Daniel Bomberg in Venedig gedruckte Rabbinerbibel des Jacob ben Chaji.

Frühere Belege für das Alte Testament:

Textraditionen des Alten Testaments in Bezug auf Anordnung, Inhalt etc:

Der alexandrinische Text wurde von den Juden zugunsten des palästinischen aufgegeben. In seiner griechischen Übersetzung ist der alexandrinische Text, der LXX: Bibel der Christen.

Belegt ist er z.B. in den folgenden Codices:

Neue griechische Übersetzungen des Alten Textaments sind z.B.:

Eine Revision des Textes des Alten Testaments auf der Basis des LXX (Anti-Marcion) nahm der christliche Gelehrte und Theologe Origenes (zwischen 230 und 240 im palästinischen Caesarea) in einer Hexapla vor. Dies ist eine Zusammenstellung der verschiedenen Versionen des Alten Testaments in sechs nebeneinander aangeordneten Kolumnen.

[Die Psalter: hier kommen in der zusätzlich zu den Übersetzungen in den Spalten 3-6 noch drei weitere Übersetzungen: Quinta, Sexta und Septima. Die Zählung ergibt sich dadurch, das die Übersetzung von Aquila (eigentlich Spalte 3) hier neu als "1" angesetzt und dann fortlaufend gezählt wird].

Das Neue Testament

Die Originalsprachen:

Die Quellen:

Es gibt drei synoptische Evangelien

Daneben steht das Evangelium des Johannes (nach 100 n.Chr.)

Schematische Darstellung:

Schema Neues Testament


Überblick:

30 n. Chr.

Mündliche Überlieferung: Predigt der Apostel, Gemeindebildung, erste schriftliche Aufzeichnungen: Passion und Auferstehung, Gleichnis- und Wundererzählungen, Streitgespräche, Reden, Formeln, Hymnen.

50 n. Chr.

1 Thess

Gal 1 Kor 2 Kor Phil Röm Phlm

70 n. Chr.

Mk

2 Thess Kol Eph

80 n. Chr.

Mt Lk

Apg

90 n. Chr.

Hebr Jak Jud

1 Tim 2 Tim Tit Offb 1 Petr

100 n. Chr.

1 Joh 2 Joh 3 Joh

120 n. Chr.

Joh 2 Petr

Erstdokumentation: Papyrus-Bruchstück (P 52) um 125 n.Chr. P 52: 125 n. Chr. in Ägypten entstanden: Teile von Joh 18,31-33,37; 18,31-33.37

Kanonisierung (katholisch-orthodox):

AD 200

AD 250

AD 300

AD 400

Muratorisches Fragment
Vier Evangelien
Akten Lukas
Paulusbriefe: Römer, I & II Cor., Gal., Eph., Phil., Col. I & II Thess., I & II Tim., Titus, Philemon
Jakobus
I & II Johannes
Judas
Offenbarung Johannes
Offenbarung Petrus
Weisheiten Salomons

Privat:
Hirte von Hermas

Origenes
Vier Evangelien
Akten Lukas
Paulusbriefe: Römer, I & II Cor., Gal., Eph., Phil., Col. I & II Thess., I & II Tim., Titus, Philemon
I Petrus
I Johannes
Offenbarung. Johannnes

Umstritten:
Hebräer
Jakobus
II Petrus
II & III Johannes
Judas
Hirte von Hermas
Barnabasbrief
Lehre der Zwölf (Didache)
Hebräerevangelium

Eusebius
Vier Evangelien
Akten Lukas
Paulusbriefe: Römer, I & II Cor., Gal., Eph., Phil., Col. I & II Thess., I & II Tim., Titus, Philemon
I Petrus
I Johannes
Offenbarung. Johannes

Umstritten:
Hebräer
Jakobus
II Petrus
II & III Johannes
Judas

Ausgeschlossen:

Hirte von Hermas
Barnabasbrief
Lehre der Zwölf (Didache)
Hebräerevangelium
Apok. Petrus
Akten Petrus

Hippo Regio
Vier Evangelien

Akten Lukas

Paulusbriefe:

Römer, I & II Cor., Gal., Eph., Phil., Col. I & II Thess., I & II Tim., Titus, Philemon
Hebräer
Jakobus
I & II Petrus
I, II, & III Johannes
Offebarung. Johannes

Kriterien der Kanonisierung:

Um 150 existierte eine Sammlung der vier Evangelien, die für das Diatessaron von Tatian (des Syrers, 2. Jh.) verwendet wurden.

Diatessaron ('Aus Vieren'):

Abweichend vom oben dargestellten katholisch-orthodoxen Kanonisierung, gab es folgende 'Variante':

Der oben bereits erwähnte Gelehrte und Theologe Marcion stellte folgenden Kanon in den Jahren 144/160 zusammen: Von jüdischen Einflüssen "gesäubertes" Evangelium (das des Lukas) und einige paulinische Briefe (Galater, 1. und 2. Korinther, 1. und 2. Thessalier, Kolosser, Philemon, Philipper, sowie ein nicht identifizierter Brief an die Laodiker).

Übersetzungstraditionen des Neuen Testaments:

Fortsetzung der Vetus latina-Tradition:

Codex Bobiensis

4Jh.

Fragmente von Markus und Matthäus

Codex Vercellensis

350-400

Alle vier Evangelien

Codex Veroensis

Ende 5.Jh.

Alle vier Evangelien

Codex Bezae

~ 400 (Beirut)

Bilingual (Latein recto, Griech. verso)

Alle vier Evangelien, Akten, 3 Joh.

Codex Monacensis

6-7. Jh.

Alle vier Evangelien

Palimpsest Vindobonensis

6.Jh.

Fragmente der Akten und kath. Briefe

Ab 383 AD: Hieronymus-Vulgata. Dieser Grundlage folgten u.a.

oder in westgotischer Tradition:

Wesentliche gotische Fragmente, ohne Neufunde / ~ 500 n.Chr.

Codex Argentus (Upsala)

187 von ehemals 330 Blättern

Matthäus -> Johannes -> Lukas -> Markus

Codex Carolinus (Wolfenbüttel)

Palimpsest

Gotisch-Lateinisch parallel

Rom 11-15 (Stücke)

Codex Ambrosiani (Mailand)

Fünf Fragmente

Codex A

95 Blätter

Paulinische Briefe (Frag.)

Codex B

77 Blätter

Paulinische Briefe (Frag., 2 Kor ganz)

Codex C

2 Blätter

Stücke aus Mt. 25-27

Codex D

Drei Blätter

AT: Nehemias, Kap.5-7

Codex E

Acht Blätter

Skeireins zu Johannes

Codex Taurinensis (Turin)

Vier Blätter

Teile von Ambr A, stark fragmentarisch

Codex Gissensis (Giessen)

Doppelblatt

Reste einer lat.-got. Bilingue (Lukas 23,24)

Salzburg-Wiener HS

Wenige Reste aus Genesis V

Hieronymus-basierte Übersetzungen im nicht-westlichen Raum bis 700 AD:

Armenisch:

Vielleicht aus dem Syrischen (ab 380 AD, Maštots)

Äthiopisch:

Ab 500 AD (?), 678 vollständ übersetzte Bibel (Evangelien < Syrisch, Rest < Griechisch?)

Kauk.Albanisch:

Mt. Sinai-Palimpsest (Lektionar + Johannes-Evangelium / Fragmente) ~ 500 AD ?

Georgisch:

Erhaltene Evangelien(teile) / Tetraevangelien in sechs HSs zwischen 897 und 995, vorher Lektionarien mit Evangelien etc. Zitaten aus dem 6.-8. Jh. (bes. Sinai-Lektionar (Graz)) /

Koptisch:

Ab 150/250 AD, alexandrinischer Typ (LXX) / Saidisch

Syrisch:

Vetus Syra (~ 300 n.Chr.) -> Peschitta (~ 430 n.Chr.) = 'einfache' Übersetzung, vorher Diatessaron des Tatian, sicher auch andere Textteile (bes. Akten); Zwei MSs ~380 mit Evangelienteilen; 507 AD die Philoxeniana (zu Lehrzwecken), Revision durch Thomas von Harkel (616 AD), 'schwierige' Version (aus dem Gr.).

4.2 Früh- und Hochmittelalter

Die Ausprägung der Bildungs- und Sprachtraditionen im frühen europäischen Mittelalter:

Zeitraum

Zentrum Ost

Sprachen

Peripherie Ost

Sprachen

Zentrum West

Sprachen

Peripherie West

Sprachen

400-500

Neuplatonische Tradition,

Griechisch,

Latein

Mönchstum,

Eremiten-Tradition

(sing. Gelehrte)

Griechisch,

Syrisch,

Armenisch,

Georgisch,

Koptisch,

Kauk.Albanisch

Residuen der röm. Schultradition

Frühromanisch,

Latein

Germanische Residuen

(Gotisch, Vandalisch)

Fränkisch

Residuen der röm. Schultradition

Westgermanisch,

Brit. Romanisch,

Inselkeltisch (bes. Q),

Latein

500-600

Verstaatlichung der Bildung

Griechisch,

Latein

Mönchstum,

Eremiten-Tradition

(sing. Gelehrte), Ansätze von Klosterorg.

Griechisch,

Syrisch,

Armenisch,

Georgisch,

Koptisch,

Kauk.Albanisch

Residuen der röm. Schultradition,

Ansätze klöst. Schulen

Latein,

Frühromanisch,

Fränkisch

Mönchstum,

Eremiten-Tradition

(sing. Gelehrte), Ansätze von Klosterorg.

Westgermanisch,

Q-Keltisch,

Latein

600-700

Verstaatlichung der Bildung

Griechisch

Mönchstum,

Eremiten-Tradition

(sing. Gelehrte), Klöster

Griechisch,

Syrisch,

Armenisch,

Georgisch,

Koptisch,

Kauk.Albanisch

Landschulen (Pfarren),

Klosterschulen,

Ansätze zentrl. Bischofs-schulen

Latein,

Frühromanisch

Fränkisch

Mönchstum,

Eremiten,

Klöster,

Ansätze der Verstaatlichung

Angelsächsisch

Alt-Irisch,

Latein,

[Althochdeutsch]

700-800

Verstaatlichung der Bildung

Griechisch

Mönchstum,

Eremiten-Tradition

(sing. Gelehrte), Klöster

Griechisch,

Syrisch,

Armenisch,

Georgisch,

Arabisch

Landschulen,

Klosterschulen

Bischofs-schulen,

Zentrl. in Frankreich

Latein,

Frühromanisch

Fränkisch

Mönchstum,

Eremiten,

Klöster,

Bischofsschulen,

Ansätze der Verstaatlichung

Angelsächsisch,

Alt-Irisch,

Althochdeutsch

Latein

Griechisch

Die Karolingische Renaissance geht einher mit Aufbau eines zentralistischen Beamten- und damit Ausbildungswesens.

Die Stereotypisierung der Ausbildung führte im Ergebnis zur universitas docendi (europäisch). Initiiert wurde die Vereinheitlichung des karolingischen Bildungskanons besonders durch Alcuin, der ab 782 die Leitung der Hofschule Karl des Großens in Aachen leitete und damit maßgeblich die (Aus)Bildung des karolingischen Hochadels beeinflusste.

Fortgesetzt wurden diese Anstrenungen im 9. Jh. durch

Nach Phase der ‚Wirren’ und der kulturellen Stagnation in Folge der Reichsteilung kam es unter Otto d.Gr., also ab Mitte des 10. Jahrhunderts im ostfränkischen Reich. Es gab ein starkes ‚italienisches’ Moment in der intellektuellen Umgebung von Otto, besonders Luitprand von Cremona (> Griechisch). Hinzu kam nach und nach die Wahrnehmung der logica vetus des Aristoteles (in der Boethius-Fassung), nach Wiederentdeckung der logica nova (Boethius) + Giacomo Veneto’s Übersetzung aus dem Griechischen.

Weitere wichtige Beiträge leisteten z.B.

In der Folge der Arbeiten dieser Gelehrten entwickelte sich die Tradition der Grammatik-Lehrer, die mit der logica nova eine Unterwerfung der Grammatik unter die strikte Dialektik vornahmen. Die Dialektik als neu-gefundene ars liberalis war ein Interpretationsverfahren der ‚auctores’ statt simpler schulischer Paradigmatik (à la Stoa).

Ab dem 11. Jahrhundert kam es zu einer graduellen Umschichtung im Verhältnis der Lehrinstitutionen:

Allgemein galt:

4.2.1 Ordnung der Wissenschaften ab dem 10. Jahrhundert

Wissenschaft teilte sich in vier Bereiche:

scientia theorica, ethica, logica et mechanica, wobei Logik nicht mit der Logik der modernen Philosophie gleichzusetzen ist:

Abgeleitet aus Griechisch logos (Wort und Urteil etc.):

Höhere Bildung:

höhere bildung ma artes liberales


[daneben Quadrivium: Zahlen-basiert: Arithmetik, Musik, Geometrie/Geographie, Astronomie (s.o.)]

In der Lehre stand: Lectio vs. disputatio

Lectio: Magister Artium erklärt wichtigste ‚Grammatiken’

Disputatio: Basis besonders logica nova (Aristoteles Analytica, Topica, Sophistici Elenchi)

Aufteilung der Wissenschaften ma

Dabei gelten folgende Definitionen:

In eloquentia sive in loyca [logica], quia ipsa est que de vocibus tractat, primo addiscenda est grammatica, quia principium eloquentie scire recte scribere et recte pronuntiare scripta.

diviso philosophiae (~1100-1400, Müchn. StB / MS)

Mit dem gleichen Thema beschäftigt sich auch das didascalicon de studio legendi (Anleitung zur Gelehrsamkeit der Lehre ~ 1128) von Hugo von St. Victor (1096-1141), hier liber secundus, Caput I [751A-B]:

Logica: Beurteilung von species und genera

Sprachbetrachtung als Teil der Gotteserfahrung


Logica

Dialectica

Rhetorica

Logica > modi disputandi > Beurteilung von wahr/falsch > Wort/Konzept

Lectio:

congrua ordinatio dictionum (kohärente Reihung der Wörter)

facilis quaedam et aperta significatio (eine einfache und offene Bedeutung)

profundior intelligentia quae nisi expositione vel interpretatione non invenitur (tieferes Verstehen, das nur durch die Exposition und Interpretation des Textes erlangt wird)


Als BASIS für ALLE galt: LATEIN als Metasprache


Grammatica meinte immer die Grammatik des Latein, genauer des Latein als Metasprache (LATEIN als globale Wissenschaftssprache, vgl. heute die Stellung des Englischen).

Die Pointierung der Logik als 'Mutter der Grammatik' erfolgte nach der Fixierung des Aristoteles-Korpus im 13. Jh., dazu entstanden Paralleltraditionen der (Neu-)Platoniker (bes. Chartres gegen Paris/Oxford (arist.). Unterstützt wurde diese Entwicklung durch die Rezeption jüdischer argumentativer Traditionen (bes. Dominicus Gundissalinus, prominenter Vertreter der Schule von Toledo)

Aus dieser Positionierung leitete sich die Beurteilung des Latein als Sprache der 'logischen Erkenntnis' ab, also die Formalisierung des Latein als Metasprache, vgl. später Erasmus von Rotterdam (Humanist):


mirum vero si authoribus quis quid Latine dicat, cum ipsi nihil non barbare locuti sint

'Man sollte sich fragen, ob man mit Autoren wie diesen irgendetwas in Latein sagen könnte, denn sie sprachen nichts als barbarisch.'

Parallel zur Entwicklung der Gliederung der Wissenschaften und der Organisation der Lehre nahm die Beschäftigung mit dem Griechischen zu. Zu nennen ist hier etwa Robert Grosseteste, englischer Theologe und Gelehrter.

Ausgangspunkt für diese Beschäftigung mit dem Griechischen waren neben Aelius Donatus (röm. Grammatiker und Rhetoriklehrer), Priscian, Boethius und Cassiodor vor allem Bischof Isidor von Sevilla (~ 560 – 636):

Etymologiarum sive originum libri XX, hier besonders Buch I (Grammatica). Etymologie steht hier im alten Sinne = Volksetymologie



Etymologie ist der Ursprung von Wörtern, in denen die Kraft des Verbs oder Nomens durch Interpretation gewonnen ist. Aristoteles
nannte dies Symbol, Cicero Annotation, weil es Nomina und Verben bekannt macht durch ein gegebenes Beispiel.



das heißt Fluss ist von fließen abgeleitet, weil er durch fließen entstanden ist. (...)


In der Tat, wenn du siehst, woher der Name stammt, wirst du seine Kraft besser verstehen.


Ja, die Untersuchung aller Dinge ist klarer, wenn die Etymologie bekannt ist.


Nicht alle Namen wurden von den Alten entsprechend der Natur gegeben, sondern einige nach ihrem Willen, sowie wir unsere Diener und Besitztümer nach unserem Willen genennen.



Und deshalb kann man nicht für alle Namen Etymologien finden, weil einige Dinge ihren Namen nicht nach der Qualität, aufgrund derer sie erzeugt worden sind, erhalten haben, sondern entsprechend der Wahl durch den menschlichen Willen.

Buch 9,1.8:

Alle orientalischen Völker schlagen ihre Zunge und Wörter in der Kehle, wie die Hebräer und Syrer. Alle mediterranen Völker sprechen ihre Wörter am Gaumen, wie die Griechen und Asiaten. Alle westlichen Völker brechen ihre Wörter gegen die Zähne, wie die Italier und Spanier.

4.2.2 Modismus

4.2.2.1 Vormodistische Entwicklungen:

Im Früh- und Hochmittelalter kam es zu unterschiedlichen Entwicklungen in der Sprachbeschreibung, die zu Unterschieden in Aufbau und Zielsetzung der Grammatiken und damit zur Trennung von 'Elementargrammatiken' vs. 'exegetischen Grammatiken' führte:

Elementargrammatiken: In der Tradition der ars minor von Donatus

Exegetisch Grammatiken: In der Tradition der ars major von Donatus

Locus Frage (= forensische Fragen, vgl. Kapitel 1 "Methodische Vorüberlegungen")

locus a persona quis

locus a re quid

locus a loco ubi

locus ab instrumento quibus auxiliis

locus a causa cur

locus a modo quomodo

locus a tempore quando

Dazu: locus a simili

locus a contrario

loci a simili impari

locus a maiore ad minus Deduktion

locus a minore ad maius Induktion

Alle Art, wie wir handeln ist in drei Teile eingeteilt. Deshalb sagen wir, dass es drei Tempora gibt:

Was sind die Tempora des Verbs?

Fünf entsprechend (ihrer) Natur: Präsens, was auch instans genannt wird, wie lego, Päteritum wie legi; Futur wie legam.

….

Aber das Präteritum ist notwendigerweise dreigeteilt:

Eines wird Imperfekt genannt, das heißt begonnen, aber nicht beendet, wie legebam

Das nächste kommt jenem nahe, aber es zeigt einen abgeschlossenen und vollständigen Akt

und dasjenige, das wir als viel früher abgeschlossen bezeichnen, wie legeram… (CVXI,3-6)

Desweiteren XXII,8-9]

[Kleinste Form zusammengestellter Laute, die eine Bedeutung hat] [856 A]

[Reihung von Wörtern, die einen kohärenten und perfekten Satz anzeigt.]

Zur Arbitrarität:

'Namen (= Wörter) werden gebildet entsprechend einer Konvention, das heißt, in Übereinstimmung einzelner Völker, so das im Latein du aurum sagst, im Griechischen khrysós gesagt wird. Die Substanz ist eins (und dasselbe), die Namen (Wörter) sind verschieden' [875 D]

Zur Personalität im Verb:

'Es gibt drei Personen im Verb (…). Und die erste und die zweite Person sind finit; tatsächlich zeigen sie jene an, die anwesend sind. Aber die dritte Person ist indefinit, in der Tat benötigt es meistens ein Pronomen, um definit (bestimmt) zu sein.' [881 D]

Zur funktionalen Differenzierung:

'Autoren liebten es, fac, duc, dic, fer mit einer Apokope auszudrücken um die zu unterscheiden, denn wenn wir face, duce, dice, fere sagen würden, würden wir anscheinend etwas anderes bezeichnen (wollen).' [882 D]

Die Basis dieser Definitionen war die Wiederentdeckung der Institutiones grammaticae von Priscian.

Als empirische Instanz galten besonders Bibelstellen, z.B..:

Viele sagen: Es ist nicht notwendig, ego lego oder ego legi oder ego legam zu sagen, denn wenn man sagt lego oder legi ode legam, dann ist die Person und das Tempus vollständig bezeichnet.

'Aber wir, die wir durch die vielen Zeugnisse der Heiligen Schriften belehrt sind, fürchten nicht, dies zu sagen.' (Smaragdus von Saint-Mihiel-sur-Meuse (um 805); Liber in partibus Donati 9 T, 52-7).

Als weiterer Vorläufer der Modistae kann Alcuin, der Lehrer des Clemens Scotus gelten. Die Ähnlichkeiten zwischen Lehrer und Schüler können aus den folgenden Zitaten ersehen werden.

Alcuin: Dialogus Franconis et Saxonis de octo partibus orationis, hier (basierend auf Boethius):

'Demnach muss man eine Disputation (= Äußerung) mit der (artikulierten) Sprache beginnen:'

Oder: Zu allererst muss man fragen, aus welche modi eine Äußerung besteht:' (…)

'Es gibt drei Dinge, aus denen jedes Gespräch und jede Äußerung besteht: Dinge, Verstand und (artikulierte) Sprache.'

'Dinge sind, was wir mittels des Verstandes der Seele erfahren.'

'Verstand[smittel] [sind solche] mit denen wir jene Dinge erlernen.'

'Die (artikulierte) Sprache [ist eine solche] mit Hilfe derer wir erlernte Dinge aussprechen. Derenthalber sagen wir: Buchstaben[/Wörter] sind erfunden.' [PLM CI, 854 C-D].

Weitere Entwicklung:

NATUR und Sprache sind statisch, Sprache als Teil der Erfahrung in (mindestens) drei Modi:

Eine erste Rationalisierung der Religion/Sprache setzt beginnend mit Bernard von Chartres, Schüler von Fulbert von Chartres (952/962 bis 1028/1029) ein auf der Grundlage


REALTITÄT → INTELLEKT  → SPRACHE



Die Erfahrungsbasis für diese Entwicklung waren die Kreuzzüge:

1. Kreuzzug: Ab 1095 (Papst Urban II. auf dem Konzil von Clermont-Ferrand).

2. Kreuzzug: 1145 (Abt Bernhard von Clairvaux).

3. Kreuzzug: 1187 (Papst Gregor VIII. in einer Enzyklika).

4. Kreuzzug: Ab 1202 (Papst Innozenz III. 1198)

5 Kreuzzug: 1228 (Friedrich II.)

6. Kreuzzug: 1248-1254) (Ludwig IX., der Heilige von Frankreich)

7. Kreuzzug: 1270 (Ludwig IX)


4.2.2.2 Frühe Scholastik

Grundannahmen der frühen Scholastik:

Erst langsam setzte eine terminologische Fixierung ein

Trotz

Ebenso wenig erfolgte eine Hinwendung zu sprachspezifischen Varianten (Sprachvielfalt). Die Grundlage hierfür kann in der Annlehnung an Aristoteles (Peri hermeneias, 16a 5-8) gesehen werden:

"Wie nicht alle dieselbe Schrift haben, so sind auch die Laute nicht bei allen dieselben. Was aber durch beide an erster Stelle angezeigt wird, die einfachen und seelischen Vorstellungen, sind bei allen Menschen dieselben, und ebenso sind es die Dinge, deren Abbilder die Vorstellungen sind."

Eine weitere Grundlage bildete der Konnex Sprache und Religion ausgehend von der Genesis:

Sprache Adams (beginnend mit Gen 2,19-23):

 

19 Gott, der Herr, formte aus dem Ackerboden alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Himmels und führte sie dem Menschen zu, um zu sehen, wie er sie benennen würde. Und wie der Mensch jedes lebendige Wesen benannte, so sollte es heißen.

20 Der Mensch gab Namen allem Vieh, den Vögeln des Himmels und allen Tieren des Feldes. Aber eine Hilfe, die dem Menschen entsprach, fand er nicht.

21 Da ließ Gott, der Herr, einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, so daß er einschlief, nahm eine seiner Rippen und verschloss ihre Stelle mit Fleisch.

22 Gott, der Herr, baute aus der Rippe, die er vom Menschen genommen hatte, eine Frau und führte sie dem Menschen zu.

23 Und der Mensch sprach: Das endlich ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch. Frau soll sie heißen; denn vom Mann ist sie genommen.


Die Singularitäten aber haben keinen Eigennamen, deshalb geben wir den Individuen unterschiedliche Namen

Es ist nicht so, wie Adam die Namen festlegte, sondern als 'Techniker' und als hervorragender Metaphysiker, der die Essenzen hervorragend kannte (…) legte er Namen nur für die Species fest (…)." (Henri de Gand, 206)

nicht den Einzelnen der Species, sondern den Species der Einzelnen (Pierre de Jean Olieu)

'Adam legte für die Dinge Namen entsprechend der Eigenschaften der Dinge selbst fest, dergestalt, dass sie die Naturen und natürlichen Eigenschaften der Dinge anzeigten.' (Meister Eckhart 494)

Die Basis für dieses Benahmungsprinzip war Aristoteles' Metaphysica VII: "QUI NESCIT REM NON PONET EI NOMEN". 'Wer die Sache nicht kennt, gibt ihr keinen Namen.'

Damit erfolgte die Fixierung zweier Positionen:

'Wie aber die Dinge, die in potencia sind nicht in die Tat gesetzt werden (> instantiiert werden) als durch das, was in der Tat existiert und (wie) die Realitäten (res) die ursprünglich eingerichtet wurden es nicht für sich waren, sondern nur, um die ersten (principa) der anderen (Realitäten) zu sein, wurden sie in einem perfekten Zustand produziert, in dem sie die ersten (principia) der anderen sein konnten.' (Dominique Grima, fol. 30ra)

 

Grundlage hierfür: SEMANTISIERUNG

[Extremste Form: Definition des 'Gegenstands' Gott]

Grundfrage lautet: WAS (=> WOHIN) WIRD ABSTRAHIERT?

Nicht: WORAUS WIRD ABSTRAHIERT?

4.2.2.3 Modisten

Beim Modismus handelt es sich vornehmlich um eine schulische Tradition zwischen 1260 und 1350

Frühe Vertreter:

1260-1270

Vincentius Heremita, Matthäus von Bononia

Dänische Tradition und Kommentatoren:

1270-1280

Martinus Dacus , Boethius Dacus, Petrus von Alvernia, Petrus von Croccus

1280-1290

Johannes Dacus, Simon Dacus, Magister Albertus. Michel de Marbais

Nachfolger (Paris):

1290-1300

Albertus Swebelinus, Gentilis de Cingulo, Radulphus Brito

1300-1310

Ion Suessoniensis, Johannes Avicula de Lotharinga, Nicholas de Bohemia, Thomas Chirmister, Siger de Courtrai, Thomas von Erfurt

1320 -…

Johannes Josse de Marvilla, Johannes de Soncino, Magister Fredericus John Seward, Henricus de Crissay

Wissenschaftliche Einbettung:

Dem Modismus voraus ging die Kritik des William de Conches (~ 1120, Glosa in Priscianum) an Priscian: Priscian beschreibe nur, seiner Beschreibung fehle causa inventionis ('discovery procedures', E.W. Roberts) für:

Bereits bei William of Conches war der modistische Ansatz gegeben: Logik soll Sprache erklären. Dabei kam es zu einer Umdeutung des Triviums:

Weitergeführt wurde diese Linie von Petrus Helias (~1150, Summa super Priscianum), einem Schüler von William de Conches:

Bei Radulphus von Beauvais (~ 1170, Summa super Donatum) entwickelte sich der modistische Ansatz zur Syntax weiter, der bei Jordanus de Saxonia (~ 1210) in der Beschreibung der

Syntax als universelle 'Matrix' aller Sprachen kulminierte.

Kommentar zu Priscian, ohne Titel. Incipit: Sermocinalis scientia sit de sermone…

Als Vorläufer der Modisten bzw. frühe Vertreter einer modistisch geprägten Sicht auf Grammatik waren :

Boethius Dacus führt als Termini in die grammatische Beschreibung ein:

Dazu später traten noch die folgenden Termini hinzu (Petrus Helias)

Der Ausgangspunkt für den Ansatz der Modisten ist z.B. bei Johannes Dacus formuliert:

Die Sache, die außerhalb des Verstandes existiert, hat viele Eigenschaften, was sich zum Beispiel ausdrücken kann in Einheit und Vielfalt, oder mit als aktiver oder passiver Kraft versehen, ist die Quelle eines Begriffs oder trägt den Begriff in sich, usw. All diese Eigenschaften stellen die modi essendi dar, da sie im Ding außerhalb des Verstandes sind. Danach, wenn der Verstand die Sache versteht und ihre Eigenschaften mit-versteht, dann wird die Sache, die vormals 'außerhalb des Verstandes' genannt war jetzt die 'verstandene Sache' genannt, und die Eigenschaften, die vorher modi essendi genannt wurden, werden jetzt modi intelligendi genannt.

Dann legt der Verstand, der, was er verstanden hat, anderen bezeichnen möchte, einen vokalischen Laut fest, um das bezeichnen, das er verstanden hat und mit-zu-bezeichnen, was er mit der Sache mit-verstanden hat. Und dann wird, das, was vorher erst res extra intellectum, dann modus intelligendi genannt wurde, als res significandi bezeichnet. Und dies ist die spezifische Bezeichnung für der Ausdruck, für den sie der Ausdruck ist. Und all die Eigenschaften, die vorher modi essendi genannt wurden, soweit sie in der externen Sache waren, und modi intelligendi, insoweit die Sache verstanden wurde, werden jetzt, da sie durch den vokalischen Laut ausgedrückt oder mit-bezeichnet werden, als modi significandi oder consignificandi genannt.

(Johannes Dacus, 233, Übers. W.S.)

Im Folgenden wird im Wesentlichen die 'Generallinie‘ der Modisten vorgestellt, die allerdings nur schwach personalisiert ist.

Den Ausgangspunkt bildet die 'These' des Magister Jordanes:

Dagegen steht die Position des Pseudo-Kilwardby:

Allgemein gilt das bereits oben gesagte: Grammatik ist das in allen Sprachen Gemeinsame, wobei (scheinbar) Partikulares in unterschiedlichen Sprachen leidglich eine variante Form der 'Darstellung' des gleichen 'Sachverhalts' ist:

Allerdings stellt Grammatik keine absolute Notwendigkeit dar, sondern ist extern bedingt und nur intern in ihrer Struktur notwendig. Daraus lässt sich ableiten, dass Grammatik eingebettet ist in ein superordiniertes Verfahren (Metaphysik, Mathematik, Physik), aber ihr eigenes Regelsystem hat.

Damit ist sie methodisch sowohl

Als Grundlage dazu notwendig ist die Syntax (constructio):

Dabei beinhaltet eine Aussage:

a) Ausdrücke mit spezifischer Referenz/Qualifikation (also Sokrates ist weiß)

b) Ausdrücke der 'logischen Struktur' (e.g. individuiert, allgemein, Substanz, also im genannten Beispiel allgemein 'Männer' oder 'ein Mann' sowie 'weiß', was auf vieles zutreffen kann)' oder

= per modum essentiae in se

albus = modus essendi in einem Ausdruck des modus essendi per se = per modum essentiae in alio

Für Johannes Daciusb-Typ' der modus significandi wesentlicher Art, da er den modus construendi für den Ausdruck bestimmt.

Perfectum:

Socrates albus currit:

*Omnis Socrates currunt

<Socrates;SG> <Omnis;SG/PL>
<albus;SG> <Socrates;SG>
<currit;SG> <currunt;PL>

Varianz nur in a-Typen (Konvention), nicht in b-Typen!

Congruentia löst Ambiguität (Boethis Dacus, Martinus Dacus - 1. Generation) ermöglicht also erst 'eindeutiges Verständnis' eines Ausdrucks:

Ambiguität kann linguistisch gelöst werden, indem der Konstituent unmittbar spezifiziert wird:


(Ein Hund, der bellen kann, rennt)

→ specificans (das, was bezeichnet) ist ikonisch zum specificatum (das, was bezeichnet wird) gestellt

Zusätzlich: analoga (Ausdrücke mit Haupt- und Neben'bedeutung'):

  • homo Bedeutung: X

  • homo mortuus Bedeutung: X':Y

  • homo pictus Bedeutung: X:Z

Die Hauptbedeutung des Wortes 'homo' ist nur im 'allgemeinen' Ausdruck gegeben, sonst immer spezifiziert.

1) Ausdruck X bezeichnet zunächst 'a' (=spezifisch), kann aber auch 'b' (allgemein) bezeichnen

2) Wenn X allein gebraucht wird oder mit einem Ausdruck, der zur Bedeutung A gehört, dann wird der komplexe Ausdruck 'a' bedeuten.

3) Wenn X mit einem Ausdruck gebraucht wird, der zur Bedeutung 'b' gehört, dann wird der Ausdruck 'a' und 'b' bedeuten. (Simon of Faversham, quaestiones 17,74)

Problem: Liegt die Ambiguität im Ausdruck oder in der 'Sache'?

Ausgehend von der basalen Hypothese: modus essendi = modus intelligeni = modus significandi, stellt sich die Frage:

  • Ist Socrates = Socrates, wenn er

  • auf dem Marktplatz ist

  • in einem Haus ist

  • gestorben ist

Dagegen steht die 'kommunikative' Auflösung:

Petrus currit ist nur ambigue virtute sermonis, d.h. in der Sprache.

Der Sprecher hat nur einen Petrus als Referenz (e.g. Petrus Helias). Der Hörer hat zunächst die 'Option' auf mehrere Petri, doch wird er durch die equivokale Hypothese auf Petrus in Sprecher fixiert (gesteuert durch intelligentia discursiva zur Aufdeckung der intentio loquentis), d.h. aufgrund seiner 'Kenntnis' des Sprechers grenzt der Höher seine Optionen auf diejenigen Petri oder denjenigen Petrus ein, von denen er weiß, dass der Sprecher sie kennt und kontextgebunden auch meinen kann.

Basis für dieses Vorgehen ist die Definition des Zeichens von Augustinus:

signum est enim res praeter speciem quam ingerit sensibus alius aliquid ex se faciens in cogitationem venire.

'Das Zeichen ist etwas, das abgesehen von seinen erfahrbaren Formen, bewirkt, dass etwas anderes in den Sinn kommt.'

Eine Auflösung der Polysemie/Analogie-Problematik ist auch möglich über die Abtrennung der 'Vokalisierung':

Hierzu gehört die These von Johannes Dacus: modus significandi ist prä-artikulierte Sprache.

Funktionsmodell:

signum rememorativum respectu conceptus (John Duns Scotus)

'Ein Zeichen [ist etwas], das [jemanden] an ein Konzept erinnert'

a) modus essendi wird durch Perzeption partikularisiert (Simon of Faversham):

b) Ein von einem Sprecher produziertes signum löst über die auditive Wahrnehmung die Erinnerung an eine 'Gestalteigenschaft' des modus essendi beim Hörer aus

  • modus essendi ist 'sprachlich' gefiltert

Diese Aussage steht jedoch gegen die equivokale Hypothese (m.e. = m.i. = m.s. = vocal / ein Ausdruck = eine Sache)

Die radikale Lösung der Modisten lautet (in der 1. Generation nur im Ansatz vorhanden):

res ist mit vielen modi essendi ausgestattet, wovon nur der modus essendi grammaticalis sprachlich wahrgenommen wird.

Analog hierzu verhält sich die graduelle Ausprägung von Spekulationen zu Wordstellung und Konzeptualisierung.

Ausgangspunkt kann z.B. die syntaktische Ambiguität (Amphibolie') sein:

1) pugnantes vellem me accipere

2) pugnantes vellem accipere me

1') Ich wollte dass meine Feinde mich gefangen nehmen.

2') Ich wollte dass ich meine Feinde gefangen nehme.

me pugnantes: a) a parte ante = A zu accipere

b) a parte post = O zu accipere

Gemäß der Equivokalitätshypothese gilt: Transposition ist Teil des Partikularen:

→ Beide Sätze sind ambigue (jeder für sich), also ist Wortstellung irrelevant.

Aber: homo est animal

Zwei Bedeutungen, die eine Bedeutung wären, wenn Wortstellung irrelevant:

1) Der Mensch ist ein Tier. (homo est animal)

2) Das Tier ist ein Mensch. (animal est homo) [Duns Scotus]

Formal:


Konstruktionprinzipien:

  • Suppositum (Nomen) + appositum (Verb)

  • Wortstellung: Es gibt immer ein erstes Wort, dem ein anderes folgt

  • Konstruktionen sind nicht notwendigerweise Sätze (homo albus [est])

  • Intransitive Kontruktionen sind basal (erster modus significandi)

  • dependens-terminans-Binarität ist grundlegend

E.g. homo albus currit bene (Martinus Dacus)

Problem: Wirken Konjunktionen 'konstruktionell'?


Radulphus: Intransitive Konstruktion: Wenn Dependend dem Head vorausgeht und der erste Ausdruck ist

Transitive Konstruktion: Wenn Head dem Dependent vorausgeht und Dependent der letzte Ausdruck ist (und sich vom ersten Dependent unterscheidet)

S: ist constructio actuum

NP: ist constructio personarum

Gemäß diesem Schema können vier Typen gebildet werden:

  1. constructio intransitiva actuum Socrates currit

  2. constructio intransitiva personarum Homo albus

  3. constructio transitiva actuum lego librum

  4. constructio transitiva personarum cappa Socratis [S.' Umhang] (!)

Thomas von Erfurt : Transitiva sind Doppelkonstruktionen:

Socrates percutit Platonem [Socrates schlägt Platon]

4.3 Globale Situierung der Sprachwissenschaft im späten Mittelalter:

Im späten Mittelalter herrschte ausgehend von Johannes 19,19-20 in der Sprachwissenschaft ein deskriptives Primat:

19: scripsit autem et titulum Pilatus et posuit super crucem erat autem scriptum Iesus Nazarenus rex Iudaeorum

20: hunc ergo titulum multi legerunt Iudaeorum quia prope civitatem erat locus ubi crucifixus est Iesus et erat scriptum hebraice graece et latine

Die Missionstätigkeit besonders der Dominikaner (z.B. in Tunis) führte zur Einrichtung einer studia linguarum (Kathedralenschulen)

  • Griechisch / Latein

  • Hebräisch

  • Arabisch

  • Orientalische christl. Sprachen

Für die lokale Mission traten zum Kanon 'Vernakulare' (einheimische Sprachen) hinzu. Im Zusammenhang mit der Mission entstanden vier unterschiedliche Typen der Grammatik

TYP Metasprache Objektsprache

I Latein Latein

II Vernak. Latein (e.g. Donat français)

III Latein Venek. (e.g. Orthographia gallica)

IV Vernak. Vernak. (Isländ. Grammatiken, Leys d'Amors etc.)

Literatur Weber, Wolfgang E. J. (2002) Geschichte der europäischen Universität. Stuttgart: Kohlhammer.

In einzelnen europäischen Staaten gab es unterschiedliche Entwicklungslinien und Darstellungstraditionen. Im Folgenden wird eine kurze Übersicht über die wichtigsten Traditionen/Regionen gegeben.

Irland:

Die sprachwissenschaftliche Tradition Irlands beginnt mit

  • Grammatischen Glossen zu einem Prician-Text (St. Gallen, 904, derzeitige Datierung 8./9. Jh.)

  • Auraicept na n-éces 'Handbuch der Poeten', redig. von Cenn Faelad († 679) (?)

  • Beschreibung der Herkunft des Irischen, Alpahabet Latein/Irisch, Ogam

    • Basis: Priscian, Donatus, Isidor, Virgilius von Toulouse (~ 750)

  • Ab 900 Bemühungen um 'Normalisierung' der irischen Varietäten. Verbunden damit war ein Wiedererstarken der säkularen Sängertradition

  • Ab 13. Jh. stark verbreitet war die Darstellung des Mittelirischen anhand von massiven Paradigmatisierungen.

England: s.vorangehend (Aelfric verfasst 992-1002 Excerptiones de Arte Grammatice Anglice)

Island:

Die mittelalterliche Sprachwissenschaft Islands besteht aus vier 'Abhandlungen':

  1. 1125-1175

  2. ~ 1260 Beide zur Phonetik und Orthographie

  3. ~ 1250 (Olafr Thórðarson Hvítasklád). Phonetik (basierend auf Priscian, Institutiones I-II); Stilistik (basierend auf Donatus, Ars Major III) mit Belegen aus skaldischen Poesie

  4. d) ~ 1350: Stilistik, Rhetorik (basierend auf Doctrinale des Alexandre de Villedieu, ~ 1199)

Provençalische Tradition: Ab 1200.

Basis dieser sprachwissenschaftlichen Tradition war die Troubadour-Tradition, philosophisch gestützt durch Umgewichtung des Trivium:

  • Razos de Trobar: Katalanisch, Raimon Vodal de Beaudon, 1190-1213. Gebrauchsanweisung des Provençal für Poeten zur Fehlervermeidung. ['Limousin, Provence, Auvergne, Quercy und Umgebung'].

  • Doctrina d'acort, redigiert von Terramagnino da Pisa (auf Sardinien), ~ 1275, in Versform. Terramagnino: doctor proençalium, beauftragt mit der Unterrichtung der Langue d'Oc; Ergänzt Razos de Trobar.

  • Regles de Trobar, red. von Jofre de Foixà, 1286-1291, für den katal. Hof auf Sizilien

Bei all diesen Werken handelt es sich um grammatische Kommentare zu poetischen Texten. Sie sind keine eigentlichen systematischen Grammatiken.

  • Donatz provensals, in Italien zw. 1240 und 1245, red. von Ugo Faiditis (Uc Faidit); bes. in Italien verbreitet, noch im 16. Jh. übersetzt.;

  • Provençalisch/Lateinische Parallelversion (interlinear), offenbar spätere lat. Übersetzung (auch der Beispiele), Basis: Ars Minor des Donatus. De facto kontrastive provençalisch-lateinische Darstellung.

  • Leys d'amors, Sammlung poetischer und grammatischer 'Gesetze' des Provençal durch Guillaume Molinier (chef der Troubadour-Vereinigung in Toulouse), 1324 in Toulouse;

    • I: Orthographie, prosodie; II: Reim und Vers; III: Wortarten, IV: Stil(fehler)

    • Adaptiert stark mittelalterliche Traditionen der Grammatik, bes. Modisten

    • Latein nur als technische Hilfe, nicht mehr als Etalon, oftmals Abgrenzung/kontrastiv,

    • Besonders wichtig: Reinterpretation des Kasusparadigmas: retz vs. oblics bei Nomina selbst gegen Vierersystem beim Artikel.

Fortgesetzt von:

  • Torsimany (=Dolmetscher) des Lluis d'Averçó , ~ 1370. Grammatik der okzitanischen Poetik: Katalanisch als Sprache der Prosa erklärt Okzitanische als Sprache der Poesie.

Die verstärkte Präsenz des Französischen in England nach Wilhelm dem Eroberer nach 1066 (Anglonormannisch). Französisch wurde die Sprache der Aristokratie und des Klerus (besonders Ersatz der Predigtsprache)

  • Lexikographische Sammlungen (Nominalia). Walther of Bibbesworth (~ 1250).

    ~ 1450 mit englischer Übersetzung und Angabe der franz. Aussprache (!)

  • Handbücher der Konversation (manières de language)

  • Grammatische Tabellen (Verbformen, Latein-Französisch)

  • Donait soloum douce franceis de Paris, Richard Dove, ~ 1410

~ Ars Minor des Donatus (Tabellen, Paradigmata)

  • Orthographische/Phonetische Abhandlungen

→ Grammatiken: Liber Donati (von William Kongsmill oder von einem seiner Schüler) ~ 1450 mit dialogischen Hilfen;

  • Donat françois des John Barton, erste vernakuläre Grammatik des Französischen.

Geschrieben in England, basierend auf Parisien/Picardie.

  • 1528: Introductions in Frensshe von Pierre Valence (ed. London)

  • 1530: Les eclaicissement de la langue françoyse von John Palsgrave (Engl.))

  • 1531: In linguam Gallicam Eisagoge, von Jacobius Sylvius (Jacques Dubois)

  • 1550: Le tretté de la grammère francoèze von Louis Meigret (Reformer)

Danach erschien eine Vielzahl von Grammatiken

Italien:

Trotz massiver literarischer Präsenz des Toskanischen (Dante Alighieri, Giovanni Boccaccio, Francesco Petrarca) gab es im Mittelalter keine italienische Grammatik vor 1450.

Französisch (durch die Beteiligung des Adels an den Kreuzzügen) und Provençal (Höfischer Gesang) hatten größere Verbreitung, daher war die grammatische Regulierung dieser beiden Sprachen notwendiger.

Um 1450 entspann sich in Italien ein Disput über die Stellung des Latein: War Latein immer schon 'gelehrte/gelernte' Sprache mit daneben liegendem Vernakular, auch in röm. Zeit? Als Nachweis für die Beschreibbarkeit von Vernakularen verfast Leon Battista Alberti die Regole della lingua fiorentina (~ 1450). Darin kopiert er akribisch die Donatus /Priscian -Tradition, um zu zeigen, dass ein Vernakular gleichberechtigt neben Latein enstehen kann, daher handelt es sich nicht um eine 'neue' Grammatiksicht.

Mit diesem Disput verbunden war der Konflikt um die Sprachenfrage:

a) Latein oder

b) Toskanisch in der Dante-Tradition (archaisierend) oder

c) Toskanisch in der zeitgenössischen version (1450) oder

d) 'Lingua generale' (Mélange verschiedener ital. Varietäten)

Durchsetzen konnte sich eine Lösung aus b) mit Konzessionen an d), also Toskanisch in der Dante-Tradition mit Anteilen der 'Lingua Generale'

Spanien:

Das einzige für den Zeitraum relevante Werk war die erste Grammatik des Spanischen von Antonio de Nebrija (1492): Gramática sobre la lengua castellana (salamanca) [vorher schon von Nebrija: Introcutiones in latinam grammaticam, Modell für die Gramática].

Deutschland

In Deutschland entstand kurz vor 1537 die erste deutsche Grammatik Valentin Ickelsamer: Teutsche Grammatica.

1573 folgte eine weitere Grammatik von Laurentius Albertus: Teutsch Grammatick oder Sprach-Kunst

Ebenfalls in 1573 erschien Albert Ölingers Underricht der Hoch Teutschen Spraach: Grammatica seu institutio verae Germanicae linguae (Strassburg)

1578 folgte die Grammatica Germanicae Linguae von Johannes Clajus.