4.Die christlichen Traditionen des Mittelalters
Die gelehrte Auseinandersetzung mit Sprache war wie jede andere 'wissenschaftliche' Arbeit im Mittelalter (6. Jh. bis 15. Jh. )eng an die Aussagen der Bibel sowie deren Interpretation gebunden. Dies änderte sich erst zum Ende der Epoche, als in der Renaissance verstärkt eine Neurezeption derjenigen griechischen Philosophen stattfand, die im Früh- und Hochmittelalter als 'Heiden' keine Berücksichtigung fanden. Grundlegend für die wissenschaftlichen Traditionen des Mittelalters sind demzufolge die spätantiken Rezeptionswege christlicher Texte sowie deren Kanonisierung in den unterschiedlichen christlichen Kirchen. Deshalb ist diesem Kapitel eine Übersicht dieser Rezeptionswege vorangestellt. Sie wurde bewusst nicht im Kapitel zur Antike verortet, da dort ausschließlich die vor-christliche griechische-römische Antike besprochen wird, wie sie später in der Renaissance wieder aufgenommen wird. Weiterführende Informationen zu allen hier genannten wichtigen Theologen, Gelehrten und Kirchenvätern finden sich im Biographisch-Bibliographischen Kirchenlexikon von Bautz: http://www.bautz.de/bbkl/
Periodisierung: Der oben genannte Zeitraum entspricht einer gängigen historischen Periodisierung, nach der Mitte bis Ende des 15. Jh. die Frühe Neuzeit beginnt (Orientierung: Martin Luther für Mitte 15. Jh. und Entdeckung Amerikas durch Kolumbus für die spätere Periodisierung). Die Frühe Neuzeit ist die Periode bis ca. Mitte des 18. Jahrhunderts (Französische Revolution/industrielle Revolution). Danach beginnt die Neuzeit bzw. Moderne. Es kann im folgenden zu Abweichungen in der Zuordnung kommen, wenn eine Entwicklung über die Epochengrenze 'Mittelalter' hinausreicht, aber aufgrund ihrer Struktur noch im Mittelalter anzusiedeln ist oder wenn eine Entwicklung, die zeitlich noch der Spätantike zuzurechnen ist, aufgrund vorhandener Neuerungen mehrheitlich bereits mittelalterliches Gedankengut und Perspektiven umfasst.
Die frühe Bibeltradition
Die Grundlage
bildete das Alte Testament in der griechischen Version (LXX oder
Septuaginta um 300-130 v.Chr.). Der Name basiert auf dem
Brief des Aristeas
'Übersetzt von 72 (> 70) Männern der 12 Stämme Israels in Alexandria'
[so noch im ersten Jahrhundert nach Christus beim jüdischen Historiker Flavius
Josephus, später legendär ausgestattet]
Der Aristeas-Brief ist wohl eine Fälschung des 1.Jh. n.Chr., um Propaganda für die Septuaginta
zu machen:
sensu stricto kein eigentlicher jüdischer Kanon.
Graduelle Erweiterung der Rollen
Der heute gültige hebräische Text ist die
Biblia Hebraica
Beruht auf Überlieferung aus ~ 1000 n.Chr.: Masoretentext
Maßgebliche Handschrift: codex Petersburgensis [Leningradensis]
(1008)
Frühere Belege für das Alte Testament:
Qumrân-Funde. Funde von 1947-56 in Felshöhlen oberhalb des Toten Meeres
„Geniza“-Fund (1890) aus der Ben-Ezra-Synagoge von Alt-Kairo.
eine 1616 in Damaskus entdeckte Handschrift: Samaritanischer Pentateuch, die Thora der Bewohner Samariens
Textraditionen des Alten Testaments in Bezug auf Anordnung, Inhalt etc:
Alexandrinisch
Palästinisch
Babylonisch
Samaritanischer Pentateuch
Der alexandrinische Text wurde von den Juden zugunsten des palästinischen
aufgegeben. In seiner griechischen Übersetzung ist der alexandrinische Text, der
LXX: Bibel der Christen.
Vaticanus aus dem vierten Jahrhundert,
Sinaïticus aus dem vierten bis fünften und der
Alexandrinus aus dem fünften Jahrhundert.
~ 150 AD: Aquila (griechischer
Proselyt)
~ 180 AD: Symmachus
~ 200 AD: Theodotion
Eine Revision des Textes des Alten Testaments auf der Basis des LXX (Anti-Marcion)
nahm der christliche Gelehrte und Theologe Origenes (zwischen 230 und 240 im
palästinischen Caesarea) in einer Hexapla vor. Dies ist
eine Zusammenstellung der verschiedenen Versionen des Alten Testaments in
sechs nebeneinander aangeordneten Kolumnen.
erste Kolumne hebräischer Text (palästinischer Typ)
zweiten derselben Text in griechischer Umschrift,
drittens bis sechstens: Übersetzungen in folgender Reihenfolge:
Aquila (jüdischer Gelehrter, der das jüdische AT im 2. Jh. ins Griechische Übersetzte)
Symmachus (2. Jh. Symmachus war Ebonit, gehörte also einer jüdischen Richtung an, die Jesus als Messias annahmen, aber andere christliche Dogmen ablehnten. Er übersetzte das christliche Alte Testament ins Griechische.
LXX (s.o.)
Theodotion
[Die Psalter: hier kommen in der zusätzlich zu den Übersetzungen in den
Spalten 3-6 noch drei weitere Übersetzungen: Quinta, Sexta und
Septima. Die Zählung ergibt sich dadurch, das die Übersetzung von Aquila
(eigentlich Spalte 3) hier neu als "1" angesetzt und dann fortlaufend gezählt
wird]
Das Neue Testament
Aramäisch: Matthäus, Paulus-Brief an Hebräer
Griechisch: alle anderen Teile
Die Quellen:
'Markus' (zugeschrieben von Eusebios von Caesarea,
3.Jh.)
+ Q (Quelle / Logoi) [Spruchsammlung Jesu, vermutlich Aramäisch]
+ 'Sondergut'
Es gibt
drei synoptische Evangelien
Markus (Kurz nach 70 n.Chr., Galiläa oder Syrien / Zeuge: Petrus)
Matthäus (~ 90 n.Chr., in Palästina geschrieben [Jüdisch-Christlich?]
Lukas (70-80 n.Chr., in Rom, Griechenland oder Kleinasien, indirekter Zeuge:
Paulus)
Schematische Darstellung:
Überblick:
30 n. Chr. |
Mündliche Überlieferung:
Predigt der Apostel, Gemeindebildung, erste schriftliche
Aufzeichnungen: Passion und Auferstehung, Gleichnis- und
Wundererzählungen, Streitgespräche, Reden, Formeln, Hymnen. |
50 n. Chr. |
1 Thess
Gal
1 Kor 2 Kor
Phil
Röm Phlm |
70 n. Chr. |
Mk
2 Thess
Kol
Eph |
80 n. Chr. |
Mt
Lk
Apg |
90 n. Chr. |
Hebr Jak
Jud
1 Tim 2 Tim
Tit
Offb
1 Petr |
100 n. Chr. |
1 Joh 2 Joh
3 Joh |
120 n. Chr. |
Joh
2 Petr |
Erstdokumentation: Papyrus-Bruchstück (P 52) um 125 n.Chr. P 52: 125 n. Chr. in
Ägypten entstanden: Teile von Joh 18,31-33,37; 18,31-33.37
Kanonisierung
(katholisch-orthodox):
AD 200 |
AD 250 |
AD 300 |
AD 400 |
Muratorisches Fragment |
Origenes |
Eusebius
Hirte von Hermas |
Hippo Regio
Akten Lukas
Paulusbriefe:
Römer, I & II Cor., Gal., Eph., Phil., Col. I & II Thess., I & II Tim.,
Titus, Philemon |
Kriterien der Kanonisierung:
Das Buch stammt von einem Apostel oder es stand die Autorität eines Apostels
dahinter (Paulus bei Lukas und Apostelgeschichte, Petrus bei Markus), war
relevant in Glaubensunterweisung und hatte umfängliche
Distribution/Gebrauch.
Um 150 existierte eine Sammlung der vier Evangelien, die für das Diatessaron von
Tatian (des Syrers, 2. Jh.)
verwendet wurden.
Diatessaron ('Aus Vieren'):
Basiert auf Sammlung aus Evangelien um 150 n.Chr.
Mit erheblicher Wirkungsgeschichte
Syrische Kirche: 2. Petrus, 2. und 3. Johannes, Judas, und Offenbarung
nicht zum Neuen Testament,
Äthiopische Kirche: 38 Bücher, neben den allgemein anerkannten auch z.B. die Clemensbriefe.
Armenische Kirche: Judas-Brief dazu
Der oben bereits erwähnte Gelehrte und Theologe Marcion stellte folgenden Kanon in den Jahren 144/160 zusammen: Von jüdischen Einflüssen "gesäubertes" Evangelium (das des Lukas) und einige paulinische Briefe (Galater, 1. und 2. Korinther, 1. und 2. Thessalier, Kolosser, Philemon, Philipper, sowie ein nicht identifizierter Brief an die Laodiker).
Übersetzungstraditionen des Neuen Testaments:
Latein: Marcion 144
Vetus latina: Übersetzungen
vor Hieronymus's Vulgata. Oft in orginalnaher Übersetzung oder
Vulgärlatein, stark variant
Erste Zitate bei Tertullian
(~ 200 AD)
|
Codex Bobiensis |
4Jh. |
|
Fragmente von Markus und Matthäus |
|
Codex Vercellensis |
350-400 |
|
Alle vier Evangelien |
|
Codex Veroensis |
Ende 5.Jh. |
|
Alle vier Evangelien |
|
Codex Bezae |
~ 400 (Beirut) |
Bilingual (Latein recto, Griech. verso) |
Alle vier Evangelien, Akten, 3 Joh. |
|
Codex Monacensis |
6-7. Jh. |
|
Alle vier Evangelien |
|
Palimpsest Vindobonensis |
6.Jh. |
|
Fragmente der Akten und kath. Briefe |
Ab 383 AD: Hieronymus-Vulgata.
Dieser Grundlage folgten u.a.
Codex Amiatinus, Pandect des Ceolfrith, Abt von Mankwearmoth und Jarrow in Northumbria)
Wulfila
(311-383, Bischof der Goti Minores;
Bibel ~ 350-380 AD)
Wesentliche gotische Fragmente, ohne Neufunde / ~ 500 n.Chr.
Codex Argentus (Upsala) |
|
187 von ehemals 330 Blättern |
Matthäus -> Johannes -> Lukas -> Markus |
Codex Carolinus (Wolfenbüttel) |
Palimpsest |
Gotisch-Lateinisch parallel |
Rom 11-15 (Stücke) |
Codex Ambrosiani (Mailand) |
Fünf Fragmente |
||
Codex A |
95 Blätter |
Paulinische Briefe (Frag.) |
|
Codex B |
77 Blätter |
Paulinische Briefe (Frag., 2 Kor ganz) |
|
Codex C |
2 Blätter |
Stücke aus Mt. 25-27 |
|
Codex D |
Drei Blätter |
AT: Nehemias, Kap.5-7 |
|
Codex E |
Acht Blätter |
Skeireins zu Johannes |
|
Codex Taurinensis (Turin) |
|
Vier Blätter |
Teile von Ambr A, stark fragmentarisch |
Codex Gissensis (Giessen) |
|
Doppelblatt |
Reste einer lat.-got. Bilingue (Lukas 23,24) |
Salzburg-Wiener HS |
|
|
Wenige Reste aus Genesis V |
Hieronymus-basierte
Übersetzungen im nicht-westlichen Raum bis 700 AD:
Armenisch: |
Vielleicht aus dem Syrischen (ab 380 AD, Maštots) |
Äthiopisch: |
Ab 500 AD (?), 678 vollständ übersetzte Bibel (Evangelien < Syrisch, Rest < Griechisch?) |
Kauk.Albanisch: |
Mt. Sinai-Palimpsest (Lektionar + Johannes-Evangelium / Fragmente) ~ 500
AD ? |
Georgisch: |
Erhaltene Evangelien(teile) / Tetraevangelien in sechs HSs zwischen 897
und 995, vorher Lektionarien mit Evangelien etc. Zitaten aus dem 6.-8.
Jh. (bes. Sinai-Lektionar (Graz)) / |
Koptisch: |
Ab 150/250 AD, alexandrinischer Typ (LXX) / Saidisch |
Syrisch: |
Vetus Syra
(~ 300 n.Chr.) -> Peschitta (~ 430 n.Chr.) = 'einfache' Übersetzung,
vorher Diatessaron des Tatian, sicher auch andere Textteile (bes.
Akten); Zwei MSs ~380 mit Evangelienteilen; 507 AD die Philoxeniana
(zu Lehrzwecken), Revision durch Thomas von Harkel
(616 AD), 'schwierige' Version
(aus dem Gr.). |
Die Ausprägung der Bildungs- und Sprachtraditionen im frühen europäischen
Mittelalter
Zeitraum |
Zentrum Ost |
Sprachen |
Peripherie Ost |
Sprachen |
Zentrum West |
Sprachen |
Peripherie West |
Sprachen |
400-500 |
Neuplatonische
Tradition,
|
Griechisch,
Latein |
Mönchstum,
Eremiten-Tradition
(sing. Gelehrte) |
Griechisch,
Syrisch,
Armenisch,
Georgisch,
Koptisch,
Kauk.Albanisch |
Residuen der röm. Schultradition |
Frühromanisch,
Latein
Germanische Residuen
(Gotisch, Vandalisch)
Fränkisch |
Residuen der röm. Schultradition |
Westgermanisch,
Brit. Romanisch,
Inselkeltisch (bes. Q),
Latein |
500-600 |
Verstaatlichung
der Bildung |
Griechisch,
Latein |
Mönchstum,
Eremiten-Tradition
(sing. Gelehrte), Ansätze von Klosterorg. |
Griechisch,
Syrisch,
Armenisch,
Georgisch,
Koptisch,
Kauk.Albanisch |
Residuen der röm. Schultradition,
Ansätze klöst. Schulen |
Latein,
Frühromanisch,
Fränkisch |
Mönchstum,
Eremiten-Tradition
(sing. Gelehrte), Ansätze von Klosterorg. |
Westgermanisch,
Q-Keltisch,
Latein |
600-700 |
Verstaatlichung
der Bildung |
Griechisch |
Mönchstum,
Eremiten-Tradition
(sing. Gelehrte), Klöster |
Griechisch,
Syrisch,
Armenisch,
Georgisch,
Koptisch,
Kauk.Albanisch |
Landschulen (Pfarren),
Klosterschulen,
Ansätze zentrl. Bischofs-schulen |
Latein,
Frühromanisch
Fränkisch |
Mönchstum,
Eremiten,
Klöster,
Ansätze der Verstaatlichung |
Angelsächsisch
Alt-Irisch,
Latein,
[Althochdeutsch] |
700-800 |
Verstaatlichung
der Bildung |
Griechisch |
Mönchstum,
Eremiten-Tradition
(sing. Gelehrte), Klöster |
Griechisch,
Syrisch,
Armenisch,
Georgisch,
Arabisch |
Landschulen,
Klosterschulen
Bischofs-schulen,
Zentrl. in Frankreich |
Latein,
Frühromanisch
Fränkisch |
Mönchstum,
Eremiten,
Klöster,
Bischofsschulen,
Ansätze der Verstaatlichung |
Angelsächsisch,
Alt-Irisch,
Althochdeutsch
Latein
Griechisch |
Die Karolingische Renaissance geht einher mit Aufbau eines zentralistischen Beamten- und damit Ausbildungswesens.
Die Stereotypisierung der Ausbildung führte im Ergebnis zur universitas docendi (europäisch). Initiiert wurde die Vereinheitlichung des karolingischen Bildungskanons besonders durch Alcuin, der ab 782 die Leitung der Hofschule Karl des Großens in Aachen leitete und damit maßgeblich die (Aus)Bildung des karolingischen Hochadels beeinflusste.
Fortgesetzt wurden diese Anstrenungen im 9. Jh. durch
Rabanus Maurus (~ 780-856 AD). Rabanus Maurus war Schüler von Alkuin an der Hofschule
in Aachen und wurde später Abt des Klosters Fulda und Erzbischof von
Mainz.
De institutione clericorum (‚christliche Erziehung’)
Lupus Servatus de Ferrières (~ 805 - nach 861), einem Schüler von Rabanus, der sich u.a. durch 'philologische' Arbeiten auszeichnete. Lebte und wirkte nach der Reichsteilung im Westfrankenreich
Johannes Scotus Eriugena
Übersetzung ins Lateinische der neu-platonischen Schriften des Pseudo-Aeropagitus;
Glossen zu Martinaus Capella und Boethius
dazu ‚semantische’ Arbeit über die Klassifikation der
Gottesbezeichnungen (de divina
praedestinatione)
Heiricus
von Auxerre (~841 - 876),
Schüler von Lupus Servatus: Glossen zu Boethius’
Übersetzung der Isagogen des Neuplatonikers Porphyrius
Remigius von Auxerre (~ 841 - 908), Schüler von Heiricus von Auxerre. Kommentare und
Glossen zur Donatus-Grammatik
Weitere wichtige Beiträge leisteten z.B.
Notker III (Notker labeo), Leiter der Klosterschule von St. Gallen
mit Übersetzungen ins AHD
Boethius: De consolatione philosophiae
Martianus
Capella:
De nuptiis Philologiae et Mercuri.
Gerbert von Aurillac. Lehrer für Grammatik, Rhetorik und Dialektik in
Kathedrale von Reims. Sein Schüler war Fulbert, erster Lehrer in
der Kathedrale von Chartres
In der Folge der Arbeiten dieser Gelehrten entwickelte sich die Tradition der Grammatik-Lehrer, die mit der logica nova eine Unterwerfung der Grammatik unter die strikte Dialektik vornahmen. Die Dialektik als neu-gefundene ars liberalis war ein Interpretationsverfahren der ‚auctores’ statt simpler schulischer Paradigmatik (à la Stoa).
Dialectica:
docet discernere ad probandum
vel improbandum
(lehrt zu unterscheiden um zu beweisen oder zu widerlegen)
Grammatica:
docet recte scribere et loqui
ad intelligendum
(lehrt richtig zu schreiben und zu sprechen um zu verstehen)
Rhetorica:
docet loqui ad persuadendum
(lehrt zu sprechen um zu überzeugen)
Allgemein galt:
scientia est vera perceptio mentis infinita finite comprehendens.
(Wissenschaft ist die Wahrnehmung des Geistes, der unendliche Dinge in
einem endlichen Verfahren versteht)
4.2.1 Ordnung der Wissenschaften ab dem 10. Jahrhundert
Wissenschaft teilte sich in vier Bereiche:
Abgeleitet aus Griechisch logos
(Wort und Urteil etc.):
Höhere Bildung:
[daneben Quadrivium:
Zahlen-basiert: Arithmetik, Musik, Geometrie/Geographie, Astronomie (s.o.)]
Titel der Buches
Wann und warum geschrieben
Vorteile
des Lesers bei der Kenntnisnahme
Positionierung
des Textes in der scientia
DANN:
Erklärung des Textes Wort für Wort, Satz für Satz.
Dabei ist die Erklärung von Texten der auctores und der Bibel gradiert :
littera (grammatische Bedeutung (!))
sensus (Grundbedeutung)
sententia (allegorische Bedeutung)
Früher:
Wörtlich (= sensus), allegorisch (= sententia), moralisch
(weggefallen) und anagogisch (‚höherer Sinn’ < aufsteigend). Dabei
auch Paraphrasis (Umschreibung von Bedeutung) vs.
Interpretatio (Auslegung schwieriger Stellen).
Disputatio:
Basis besonders logica nova (Aristoteles
Analytica,
Topica,
Sophistici Elenchi)
Ziel (nach einem ‚Magister Rudolphus’):
Disputatio est rationis inductio ad aliquid probandum vel contradicendum.
Disputation ist die Einführung des Urteils um etwas zu beweisen oder zu widerlegen.
In omni autem disputatione legitima convenit esse interrogationem,
responsionem, propositionem, affirmationem, negationem, argumenta,
argumentationem et conclusiones.
So ist es in jeder Disputation richtig, dass es Frage, Antwort, Aussage, Behauptung, Verneinung, Argumente, Argumentieren und Schlussfolgerungen gibt
Quae omnia Deo annuente loco suo secundum doctrinam Aristotelis
explicabimus.
Dabei gelten folgende Definitionen:
eloquentia
est scientia proferendi cognita cum ornatu verborum
eloquentia
ipsa eadem est que dicitur loyca
In
eloquentia sive in loyca [logica], quia ipsa est que de vocibus tractat,
primo addiscenda est grammatica, quia principium eloquentie scire
recte scribere et recte pronuntiare scripta.
diviso philosophiae
(~1100-1400, Müchn.
StB / MS)
Mit dem gleichen Thema beschäftigt sich auch das
didascalicon de studio legendi
(Anleitung zur Gelehrsamkeit der Lehre ~ 1128)
Logica:
Beurteilung von species und genera
Lehre der scientia recte loquendi et acute disputandi
Logica
grammatica
scientia loquendi sine vitio
(ohne Fehler)
ratio
disserendi (Diskussionskunst)
zeigen
der Gewissheit
zeigen der Wahrscheinlichkeit
zeigen
der falsche Philosophie (Fehler, Trugschlüsse)
Dialectica
disputatio acuta
Rhetorica
disciplina ad persuadendum quoque
idonea (auch für Disp. geeignet)
littera
congrua ordinatio dictionum (kohärente Reihung der Wörter)
sensus
facilis quaedam et aperta significatio (eine einfache und
offene Bedeutung)
sententia
profundior intelligentia quae nisi expositione vel interpretatione non
invenitur
(tieferes Verstehen, das nur durch die Exposition und Interpretation des
Textes erlangt wird)
Als BASIS für ALLE galt: LATEIN als Metasprache
Grammatica meinte immer die
Grammatik des Latein, genauer des Latein als Metasprache
(LATEIN als globale
Wissenschaftssprache, vgl. heute die Stellung des Englischen).
Die Pointierung der Logik als 'Mutter der Grammatik' erfolgte nach der
Fixierung des Aristoteles-Korpus
im 13. Jh.,
dazu entstanden Paralleltraditionen der (Neu-)Platoniker (bes. Chartres
gegen Paris/Oxford (arist.). Unterstützt wurde diese Entwicklung durch die
Rezeption jüdischer argumentativer Traditionen (bes. Dominicus Gundissalinus,
prominenter Vertreter der Schule von Toledo)
Aus dieser Positionierung leitete sich die
Beurteilung des
Latein als Sprache der
'logischen Erkenntnis' ab,
also die Formalisierung
des Latein als Metasprache, vgl. später Erasmus von Rotterdam
(Humanist):
mirum vero si authoribus quis quid Latine dicat, cum ipsi nihil non barbare locuti sint
'Man sollte sich fragen, ob man mit Autoren wie diesen irgendetwas in Latein
sagen könnte, denn sie sprachen nichts als barbarisch.'
Parallel zur Entwicklung
der Gliederung der Wissenschaften und der Organisation der Lehre nahm die
Beschäftigung mit dem Griechischen zu. Zu nennen ist hier etwa
Robert Grosseteste, englischer Theologe und Gelehrter.
Ausgangspunkt für diese Beschäftigung mit dem Griechischen waren neben
Aelius Donatus (röm. Grammatiker und Rhetoriklehrer),
Priscian,
Boethius
und Cassiodor vor allem Bischof
Isidor von Sevilla (~
560 – 636):
Etymologiarum
sive originum libri XX,
hier besonders Buch I (Grammatica). Etymologie steht
hier im alten Sinne = Volksetymologie
Etymologie ist der Ursprung von Wörtern, in denen die Kraft des Verbs oder
Nomens durch Interpretation gewonnen ist. Aristoteles
nannte dies Symbol, Cicero
Annotation, weil es Nomina und Verben bekannt macht durch ein gegebenes
Beispiel.
das
heißt Fluss ist von fließen abgeleitet, weil er durch fließen entstanden ist.
In
der Tat, wenn du siehst, woher der Name stammt, wirst du seine Kraft besser
verstehen.
Ja,
die Untersuchung aller Dinge ist klarer, wenn die Etymologie bekannt ist.
Nicht
alle Namen wurden von den Alten
entsprechend der Natur gegeben, sondern einige nach ihrem Willen, sowie wir
unsere Diener und Besitztümer nach unserem Willen genennen.
Und
deshalb kann man nicht für alle Namen Etymologien finden, weil einige Dinge
ihren Namen nicht nach der Qualität, aufgrund derer sie erzeugt worden sind,
erhalten haben, sondern entsprechend der Wahl durch den menschlichen Willen.
Buch 9,1.8:
Alle
orientalischen Völker schlagen ihre Zunge und Wörter in der Kehle, wie die
Hebräer und Syrer. Alle mediterranen Völker sprechen ihre Wörter am Gaumen,
wie die Griechen und Asiaten. Alle westlichen Völker brechen ihre Wörter
gegen die Zähne, wie die Italier und Spanier.
4.2.2 Modismus
4.2.2.1 Vormodistische Entwicklungen:
Im Früh- und Hochmittelalter kam es zu unterschiedlichen Entwicklungen in
der Sprachbeschreibung, die zu Unterschieden in Aufbau und Zielsetzung der
Grammatiken und damit zur
Trennung von 'Elementargrammatiken' vs. 'exegetischen
Grammatiken'
Wortartenbezogene Exemplifizierung
Paradigmata und Wortlisten (christl. Vokabular)
Präsentation von Daten zur Didaktik (Auswendiglernen)
Praktisch kommentarlos
Declinationes nominum (angelsächsische Quelle, ab Ende 7. Jh.
Ars grammatica des Tatuinus
(Erzbischof von Canterbury, † 734)
Basis u.a.
Ars ambianesis (Anonym, ~ 8. Jh. irisch?)
Ars Bernensis
(Angelsächsisch ? Ende 8. Jh. ?)
Ars Bonifacii (Bonifacius
~ Vynfreth; Anfang 8. Jh.)
relativ isoliert, kaum eingebettet in zeitgen. Tradition, wenig wahrnommen
Exegetisch Grammatiken: In der Tradition der ars major von Donatus
Textexegese (besonders biblisch); meist (vor-)karolingisch; Angelsächsisch
Bereitet Grammatica Speculativa des 14. Jh. vor (s.u.)
Allgemeine Definition
Debatte der Definition über Fragen/Antworten (cur, quare, interogandum est, requirendum est, quaeritur usw.)
Basierend e.g. auf Donatus (nomen quod est… ); hier >
disputatio
tres persona<e>
sunt in verno quia res divina amplius non sinet nisi tres personas esse:
sicut in trinitate tres persona<e> sunt ita et genus humanum
(anon. Quae sunt quae,~ 9. Jh.).
('Es gibt drei Personen im Verb, weil göttliches Gesetz nicht mehr als drei
Personen zulässt; da drei Personen in der Trinität sind, sind es (auch drei)
in der menschlichen Art.'
Festlegung der
loci (~ Konzept), die im
Spätmittelalter eine Erweiterung erfahren haben:
Locus
Frage (=
forensische Fragen, vgl. Kapitel 1 "Methodische Vorüberlegungen")
locus a persona
quis
locus a re
quid
locus a loco
ubi
locus ab instrumento
quibus auxiliis
locus a causa
cur
locus a modo
quomodo
locus a tempore
quando
Dazu: locus a simili
locus a contrario
loci a simili impari
locus a maiore ad minus
Deduktion
locus a minore ad maius
Induktion
Werke:
Quae sunt quae omnem veritatem scripturae commendant (Anfang 700)
Basiert stark auf religiöser Erklärungsnot; etymologisierend à la Isidor
Anonymus ad Cuimnanum (~ 720, Irland)
Stark etymologisierend, Kommentar zur
ars maior, mit massiven Biblezitaten.
Ars Malsachani (Congregatio Salcanii filii de verbo) [Mac Salcháin] ~ 6/750,
Analyse von Verben und Partizipien, Exegese der Donatus
-Abschnitte zum Verb; Konsequente Umsetzung des Trinitätsprinzips in der
Sprache:
Drei Modi: Ort, Zeit, Person
Drei Genera
Drei Personen
Drei Tempora …
Ars Ambrosiana (zwischen 550-700)
Kommentar zu Wortarten bei Donatus (ars maior) / unbekannter Herkunft
Ars
grammatica
(von Clemens Scotus, um
800)
Laut → Silbe → Wortart → Äußerung
Fixierung des Tempusbegriffs:
Alle Art, wie wir handeln ist in drei Teile eingeteilt. Deshalb sagen wir,
dass es drei Tempora gibt:
Was sind die Tempora des Verbs?
Fünf entsprechend (ihrer) Natur: Präsens, was auch
instans genannt wird, wie
lego, Päteritum wie legi; Futur
wie legam.
….
Aber das Präteritum ist notwendigerweise dreigeteilt:
Eines wird Imperfekt genannt, das heißt begonnen, aber nicht beendet, wie
legebam
Das nächste kommt jenem nahe, aber es zeigt einen abgeschlossenen und
vollständigen Akt
[Kleinste Form zusammengestellter Laute, die eine Bedeutung hat] [856 A]
[Reihung von Wörtern, die einen kohärenten und perfekten Satz
anzeigt.]
Zur Arbitrarität:
'Namen (= Wörter) werden gebildet entsprechend einer Konvention, das heißt,
in Übereinstimmung einzelner Völker, so das im Latein du
aurum sagst, im Griechischen
khrysós gesagt wird. Die Substanz
ist eins (und dasselbe), die Namen (Wörter) sind verschieden' [875 D]
Zur
Personalität im Verb:
'Es gibt drei Personen im Verb (…). Und die erste und die zweite Person sind
finit; tatsächlich zeigen sie jene an, die anwesend sind. Aber die dritte
Person ist indefinit, in der Tat benötigt es meistens ein Pronomen, um
definit (bestimmt) zu sein.' [881 D]
Zur funktionalen Differenzierung:
'Autoren liebten es, fac, duc, dic,
fer mit einer Apokope auszudrücken um die zu unterscheiden, denn wenn
wir face, duce, dice, fere sagen
würden, würden wir anscheinend etwas anderes bezeichnen (wollen).' [882 D]
Als empirische
Instanz galten
besonders Bibelstellen, z.B..:
Viele sagen: Es ist nicht notwendig,
ego lego oder
ego legi oder
ego legam zu sagen, denn wenn man
sagt lego oder
legi ode
legam, dann ist die Person und
das Tempus vollständig bezeichnet.
'Aber wir, die wir durch die vielen Zeugnisse der Heiligen Schriften
belehrt sind, fürchten nicht, dies zu sagen.' (Smaragdus von Saint-Mihiel-sur-Meuse
(um 805);
Liber in partibus Donati 9 T,
52-7).
Als weiterer Vorläufer der Modistae kann Alcuin, der Lehrer des Clemens Scotus gelten. Die Ähnlichkeiten zwischen Lehrer und Schüler können aus den folgenden Zitaten ersehen werden.
Alcuin:
Dialogus Franconis et Saxonis de octo
partibus orationis, hier (basierend auf Boethius):
'Demnach muss man eine Disputation (= Äußerung) mit der (artikulierten)
Sprache beginnen:'
'Es gibt drei Dinge, aus denen jedes Gespräch und jede Äußerung besteht:
Dinge, Verstand und (artikulierte) Sprache.'
'Dinge sind, was wir mittels des Verstandes der Seele erfahren.'
'Verstand[smittel] [sind solche] mit denen wir jene Dinge erlernen.'
'Die (artikulierte) Sprache [ist eine solche] mit Hilfe derer wir erlernte
Dinge aussprechen. Derenthalber sagen wir: Buchstaben[/Wörter] sind
erfunden.' [PLM CI, 854 C-D].
Revival der "belles lettres" circa 1100 C.E. in Chartres und Orléans
Modistae: Grammatica Speculativa (= theorica oder < speculum ‘Spiegel’)
"Spiegelnde Erfahrungsgrammatik”
NATUR und Sprache sind statisch, Sprache als Teil der Erfahrung in
(mindestens) drei Modi:
modus intelligendi
(intellect/thoughts)
modus significandi
(language/signs). [letztendlich Aristotelisch]
Eine erste Rationalisierung der Religion/Sprache setzt beginnend mit Bernard von Chartres, Schüler von Fulbert von Chartres (952/962 bis 1028/1029) ein auf der Grundlage
REALTITÄT → INTELLEKT → SPRACHE
2. Kreuzzug: 1145 (Abt Bernhard von Clairvaux).
3. Kreuzzug: 1187 (Papst Gregor VIII. in einer Enzyklika).
4. Kreuzzug: Ab 1202 (Papst Innozenz III. 1198)
5 Kreuzzug: 1228 (Friedrich II.)
6. Kreuzzug: 1248-1254) (Ludwig IX., der Heilige von Frankreich)
7. Kreuzzug: 1270 (Ludwig IX)
Grundannahmen der frühen Scholastik:
Die Tatsache
an sich wird nicht in Frage gestellt.
scientia sermocinalis ist als Wissenschaft vonder Sprache =
Erkentnistheorie
Frage: Wie drückt man/erkennt man Wahrheit, indem man Sätze bildet.
Denken ist Sprache
Über Sprache wird
urteilend der Zugang zur Welt erstellt.
Daher keine gesonderte Formalsprache
Objektsprache = Metasprache:
Jede Aussage über eine Äußerung muss auch für die Aussage selbst
gelten.
Erst langsam setzte eine terminologische
Fixierung
Dabei kaum hermeneutische Herangehensweise zur Terminologierschließung älterer Autoren.
Dominanz massiver terminologischer Idiosynkrasien
Trotz
massiver Übersetzungstätigkeit (Griechisch, Arabisch)
Tatian-Tradition (Erfahrung der 'Volkssprachen')
sekundärem Spracherwerb des Latein
"Wie nicht alle dieselbe Schrift haben, so sind auch die Laute nicht bei
allen dieselben. Was aber durch beide an erster Stelle angezeigt wird, die
einfachen und seelischen Vorstellungen, sind bei allen Menschen dieselben,
und ebenso sind es die Dinge, deren Abbilder die Vorstellungen sind."
Eine weitere
Grundlage bildete der Konnex Sprache und Religion ausgehend von der Genesis:
19 Gott, der Herr, formte aus dem Ackerboden alle Tiere des Feldes und alle
Vögel des Himmels und führte sie dem Menschen zu, um zu sehen, wie er sie
benennen würde. Und wie der Mensch jedes lebendige Wesen benannte, so sollte
es heißen.
20 Der Mensch gab Namen allem Vieh, den Vögeln des Himmels und allen
Tieren des Feldes. Aber eine Hilfe, die dem Menschen entsprach, fand er
nicht.
21 Da ließ Gott, der Herr, einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, so
daß er einschlief, nahm eine seiner Rippen und verschloss ihre Stelle mit
Fleisch.
22 Gott, der Herr, baute aus der Rippe, die er vom Menschen genommen hatte,
eine Frau und führte sie dem Menschen zu.
23 Und der Mensch sprach: Das endlich ist Bein von meinem Bein und
Fleisch von meinem Fleisch. Frau soll sie heißen; denn vom Mann
ist sie genommen.
Benahmungsprinzip: Genera haben Namen, nicht Individuen:
Particularia enim non habent nomen proprium, unde quos nomina diversa damus individuis (…).
Die Singularitäten aber haben keinen Eigennamen, deshalb geben wir den Individuen unterschiedliche Namen
Non sic autem imposuit nomina Adam, sed artificialiter et sicut optimus
metaphysicus qui optime novit rerum essentias (…) nomina solis speciebus imposuit
Es ist nicht so, wie Adam die Namen festlegte, sondern als 'Techniker' und
als hervorragender
Metaphysiker, der die Essenzen hervorragend kannte (…) legte er
Namen nur für die Species fest (…)."
(Henri de Gand, 206)
NON SINGULIS GENERUM SED
GENERIBUS SINGULORUM
nicht den Einzelnen der Species, sondern den Species der Einzelnen (Pierre de Jean Olieu)
Adam imposuit singulis nomina iuxta ipsarum rerum proprietates, ita quod ipsa indicabant naturas et proprietates naturales rerum
'Adam legte für die Dinge Namen entsprechend der Eigenschaften der Dinge
selbst fest, dergestalt, dass sie die Naturen und natürlichen Eigenschaften
der Dinge
Damit erfolgte die Fixierung zweier Positionen:
Sprachliche Varianz ist gleich einer zunehmenden Konkretisierung der Welt
und damit Distanzierung von universellen Ideen:
'Wie aber die Dinge, die in potencia sind nicht in die Tat gesetzt
werden (> instantiiert werden) als durch das, was in der Tat existiert und
(wie) die Realitäten (res) die ursprünglich eingerichtet wurden es
nicht für sich waren, sondern nur, um die ersten (principa) der anderen
(Realitäten) zu sein, wurden sie in einem perfekten Zustand produziert, in
dem sie die ersten (principia) der anderen sein konnten.' (Dominique
Grima, fol. 30ra)
Grundlage hierfür: SEMANTISIERUNG
Das Generische (als Abbild des Adamschen Idealtypischen) ist in jedem
Individuum einer Species vorhanden und somit auch im Denken. Die Sprache
bezieht sich zugleich auf das Allgemeine und das Spezifische: Zum Erkennen
des Allgemeinen (> Göttlichen) ist das Spezifische unwichtig bzw.
verführerisch.
Jedes Wirkliche ist eine Instanz des Wirklichen
Jede Äußerung / Jedes Wort ist eine Instanz seiner Bedeutung.
Dem Allgemeinen kann man sich durch komplexe Beschreibungsgausdrücke nähern:
ABER: Durch die Beschreibungsausdrücke kann man eine Sache zunehmed
komplexer bestimmen, jedoch produzieren die Beschreibungsausdrücke selbst
wiederum Distanz.
Grundfrage lautet:
WAS (=> WOHIN) WIRD
ABSTRAHIERT?
Nicht: WORAUS WIRD
ABSTRAHIERT?
4.2.2.3 Modisten
Frühe Vertreter: |
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1260-1270 |
Vincentius Heremita, Matthäus von Bononia |
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Dänische Tradition und Kommentatoren: |
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1270-1280 |
Martinus Dacus , Boethius Dacus, Petrus von Alvernia, Petrus von Croccus
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1280-1290 |
Johannes Dacus, Simon Dacus, Magister Albertus. Michel de Marbais
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Nachfolger (Paris): |
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1290-1300 |
Albertus Swebelinus, Gentilis de Cingulo, Radulphus Brito |
1300-1310 |
Ion Suessoniensis, Johannes Avicula
de Lotharinga, Nicholas de
Bohemia, Thomas Chirmister, Siger de Courtrai, Thomas von Erfurt
|
1320 -… |
Johannes Josse de Marvilla, Johannes de Soncino, Magister Fredericus John Seward, Henricus de Crissay |
Wissenschaftliche
Einbettung:
Flexion
Wortarten
Weitergeführt wurde diese Linie von Petrus Helias
(~1150, Summa super Priscianum),
einem Schüler von William de Conches:
Syntax als eigentliche Grammatica.
Syntax hat über Struktur (constructiones) Bedeutung
Bei Radulphus von Beauvais (~ 1170, Summa super Donatum)
Kommentar zu Priscian, ohne Titel. Incipit: Sermocinalis scientia sit de sermone…
sermo ut quoddam abstrahens a quolibet sermone secundum generales
virtutes.
Robert Kilwardby (gest. 1279)
Super Priscianum maiorem
Super Priscianum minorem
In de accentu Prisciani
In barbarismus Donati
Sphismata grammaticalia
De ortu scientiarum
Roger Bacon(ca. 1220-92):
Grammatik ist ein und dasselbe in allen Sprachen, die zufällige Varianz
dieser Grammatik zeigen.
Summa grammaticae
Diese bei Bacon vorfomulierte und später
weiter ausgebaute
Konzeption der Universal-Grammatik der Modisten setzt 'Problematik'
der Erfahrung sprachlicher Varianz voraus!
Boethius
Dacus
führt als Termini in die grammatische Beschreibung ein:
consignificare
(Lexeme haben Bedeutung nur im syntaktischen Kontext)
Dazu später traten noch die folgenden Termini hinzu (Petrus Helias)
significatio specialis
(Bedeutung von Wörtern)
Dann legt der Verstand, der, was er verstanden hat, anderen bezeichnen
möchte, einen vokalischen Laut fest, um das bezeichnen, das er
verstanden hat und mit-zu-bezeichnen, was er mit der Sache mit-verstanden
hat. Und dann wird, das, was vorher erst res extra intellectum, dann
modus intelligendi genannt wurde, als res significandi
bezeichnet. Und dies ist die spezifische Bezeichnung für der Ausdruck, für
den sie der Ausdruck ist. Und all die Eigenschaften, die vorher modi
essendi genannt wurden, soweit sie in der externen Sache waren, und
modi intelligendi, insoweit die Sache verstanden wurde, werden jetzt, da
sie durch den vokalischen Laut
ausgedrückt oder mit-bezeichnet werden, als modi significandi
oder consignificandi genannt.
Im Folgenden wird im Wesentlichen die 'Generallinie‘ der Modisten vorgestellt, die allerdings nur schwach personalisiert ist.
Den
Ausgangspunkt
bildet die 'These' des Magister Jordanes:
Grammatik ist Wissenschaft und nicht Kunst(fertigkeit):
Wissenschaft: Lehre vom Allgemeinen
Kunst(fertigkeit): Ausdruck/Betrachtung des Besonderen
Grammatik ist abstrahierbar hin zu einer 'gemeinsamen Erfahrung'
voces (grammatica): universell in ihrer Struktur, partikular
im Ausdruck
und(!):
modus ordinandi ist
universell, d.h. Struktur
Dagegen steht die Position des Pseudo-Kilwardby:
Grammatik ist Kunst = Prinzipien von Operationen über den sprachlichen Ausdruck;
modi significandi.
z.B.:
Artikel in Griechisch funktioniert wie Genus an Nomina im Latein
Allerdings stellt
Grammatik keine absolute Notwendigkeit dar, sondern ist extern
bedingt und nur intern in ihrer Struktur notwendig.
Apriorisch (von (externen) Ursachen zu (internen) Wirkungen)
Aposteriorisch (von (internen) Wirkungen zu (externen) Ursachen)
Als
Grundlage dazu notwendig ist die Syntax (constructio):
Sprache definiert sich als
adamistisch basiertes
Kommunikationsmittel
orationes congruae et
perfectae
Bedeutet a) perfectae = universell, b) congruae = Konstruktion
{Laut + Laut …} = Ausdruck
{Ausdruck + Ausdruck …} = 'oratio' (Satz)
Dabei beinhaltet eine Aussage:
a) Ausdrücke mit spezifischer
Referenz/Qualifikation
b) Ausdrücke der 'logischen Struktur' (e.g. individuiert, allgemein,
Substanz, also im genannten Beispiel allgemein
'Männer' oder 'ein Mann' sowie 'weiß', was auf vieles zutreffen kann)
'Allgemeingültig' vs. 'individuiert'
E.g. Socrates, homo etc. = 'nomina'
albus = modus essendi in einem Ausdruck des modus essendi
per se = per modum essentiae in alio
Socrates albus currit |
*Omnis Socrates currunt |
<Socrates;SG> |
<Omnis;SG/PL> |
<albus;SG> |
<Socrates;SG> |
<currit;SG> |
<currunt;PL> |
Varianz nur in a-Typen (Konvention), nicht in b-Typen!
Congruentia
löst Ambiguität (Boethis Dacus, Martinus Dacus - 1.
Generation) ermöglicht also erst 'eindeutiges
Verständnis' eines Ausdrucks:
Ambiguität kann linguistisch gelöst werden, indem der Konstituent unmittbar spezifiziert wird:
(Ein Hund, der bellen kann, rennt)
→ specificans (das, was bezeichnet) ist ikonisch zum specificatum (das, was bezeichnet wird) gestellt
Zusätzlich: analoga (Ausdrücke mit Haupt- und Neben'bedeutung'):
homo
Bedeutung:
X
homo mortuus
Bedeutung:
X':Y
homo pictus
Bedeutung:
X:Z
Die
Hauptbedeutung des Wortes 'homo' ist nur im 'allgemeinen' Ausdruck gegeben, sonst immer
spezifiziert.
1) Ausdruck X bezeichnet zunächst
'a' (=spezifisch), kann aber auch 'b' (allgemein) bezeichnen
2) Wenn X allein gebraucht wird oder mit einem Ausdruck, der zur Bedeutung A
gehört, dann wird der komplexe Ausdruck 'a' bedeuten.
3) Wenn X mit einem Ausdruck gebraucht wird, der
zur Bedeutung 'b' gehört, dann wird der Ausdruck 'a' und 'b'
bedeuten. (Simon of Faversham, quaestiones 17,74)
Ist Socrates = Socrates, wenn er
auf dem Marktplatz ist
in einem Haus ist
gestorben ist
Dagegen steht die 'kommunikative' Auflösung:
Der Sprecher hat nur einen Petrus als Referenz (e.g. Petrus Helias). Der Hörer hat zunächst die 'Option' auf mehrere Petri, doch wird er durch die equivokale Hypothese auf Petrus in Sprecher fixiert (gesteuert durch intelligentia discursiva zur Aufdeckung der intentio loquentis), d.h. aufgrund seiner 'Kenntnis' des Sprechers grenzt der Höher seine Optionen auf diejenigen Petri oder denjenigen Petrus ein, von denen er weiß, dass der Sprecher sie kennt und kontextgebunden auch meinen kann.
Basis für dieses Vorgehen ist die Definition des Zeichens von Augustinus:
'Das Zeichen ist etwas, das abgesehen von seinen
erfahrbaren
Formen, bewirkt, dass etwas anderes in den Sinn kommt.'
Hierzu gehört die These von Johannes Dacus: modus significandi ist prä-artikulierte Sprache.
Funktionsmodell:
'Ein Zeichen [ist etwas], das [jemanden] an ein Konzept erinnert'
b) Ein von einem Sprecher produziertes signum löst über die auditive Wahrnehmung die Erinnerung an eine 'Gestalteigenschaft' des modus essendi beim Hörer aus
modus essendi ist 'sprachlich' gefiltert
Analog hierzu verhält sich die graduelle Ausprägung von Spekulationen zu Wordstellung und Konzeptualisierung.
2)
pugnantes vellem accipere me
1')
Ich wollte dass meine Feinde mich gefangen nehmen.
2')
Ich wollte dass ich meine Feinde gefangen nehme.
me pugnantes:
a) a parte ante = A zu accipere
b) a parte post = O zu accipere
Gemäß der
Equivokalitätshypothese gilt: Transposition ist Teil des Partikularen:
→ Beide Sätze sind ambigue
(jeder für sich), also ist Wortstellung irrelevant.
Aber:
homo est animal
2) Das Tier ist ein Mensch.
(animal est homo) [Duns Scotus]
Formal:
Konstruktionprinzipien:
Suppositum (Nomen) + appositum (Verb)
Wortstellung: Es gibt immer ein
erstes Wort, dem ein
anderes folgt
Konstruktionen sind nicht notwendigerweise Sätze (homo albus
[est])
Intransitive Kontruktionen sind basal (erster modus significandi)
dependens-terminans-Binarität ist grundlegend
E.g. homo albus currit bene (Martinus Dacus)
Problem: Wirken Konjunktionen 'konstruktionell'?
Radulphus: Intransitive Konstruktion: Wenn Dependend dem Head vorausgeht und der erste Ausdruck ist
Transitive Konstruktion: Wenn Head dem Dependent vorausgeht und Dependent der letzte
Ausdruck ist (und sich vom ersten Dependent unterscheidet)
S: ist constructio actuum
NP: ist constructio personarum
Gemäß
diesem Schema können vier Typen gebildet werden:
constructio intransitiva actuum
Socrates currit
constructio intransitiva personarum
Homo albus
constructio transitiva actuum
lego librum
constructio transitiva personarum
cappa Socratis [S.' Umhang] (!)
Thomas von Erfurt
: Transitiva sind Doppelkonstruktionen:
Socrates percutit Platonem
[Socrates schlägt Platon]
4.3
Globale Situierung der Sprachwissenschaft im späten Mittelalter:
Die
Missionstätigkeit besonders der Dominikaner (z.B. in Tunis) führte zur Einrichtung
einer studia linguarum (Kathedralenschulen)
Griechisch / Latein
Hebräisch
Arabisch
Orientalische christl. Sprachen
TYP
Metasprache
Objektsprache
I
Latein
Latein
II
Vernak.
Latein (e.g.
Donat
français)
III
Latein
Venek. (e.g.
Orthographia
gallica)
IV
Vernak.
Vernak. (Isländ. Grammatiken,
Leys d'Amors etc.)
In einzelnen europäischen Staaten gab es unterschiedliche Entwicklungslinien und Darstellungstraditionen. Im Folgenden wird eine kurze Übersicht über die wichtigsten Traditionen/Regionen gegeben.
Irland:
Die sprachwissenschaftliche Tradition
Irlands beginnt mit
Grammatischen Glossen zu einem Prician-Text (St. Gallen, 904, derzeitige Datierung 8./9. Jh.)
Auraicept na n-éces 'Handbuch der Poeten', redig. von Cenn Faelad
(† 679) (?)
Beschreibung der Herkunft des Irischen, Alpahabet Latein/Irisch,
Ogam
Basis: Priscian, Donatus, Isidor, Virgilius von Toulouse (~ 750)
Ab 900 Bemühungen um 'Normalisierung' der irischen Varietäten. Verbunden damit war ein Wiedererstarken der säkularen Sängertradition
Ab 13. Jh. stark verbreitet
war die Darstellung des Mittelirischen anhand
von massiven Paradigmatisierungen.
England:
s.vorangehend (Aelfric verfasst 992-1002 Excerptiones de Arte Grammatice
Anglice)
Die mittelalterliche
Sprachwissenschaft Islands besteht aus
vier 'Abhandlungen':
1125-1175
~ 1260 Beide zur Phonetik und Orthographie
~ 1250 (Olafr Thórðarson Hvítasklád)
d) ~ 1350: Stilistik, Rhetorik (basierend auf
Doctrinale des
Alexandre de Villedieu, ~ 1199)
Provençalische Tradition:
Ab 1200.
Razos de Trobar:
Katalanisch, Raimon Vodal de Beaudon, 1190-1213. Gebrauchsanweisung des Provençal für Poeten zur Fehlervermeidung
Doctrina d'acort, redigiert von Terramagnino da Pisa (auf Sardinien), ~ 1275,
in Versform. Terramagnino: doctor proençalium, beauftragt mit der
Unterrichtung der Langue d'Oc; Ergänzt Razos de Trobar
Regles de Trobar, red. von Jofre de Foixà, 1286-1291, für den katal. Hof auf Sizilien
Donatz provensals, in Italien zw. 1240 und 1245, red. von
Ugo Faiditis
(Uc Faidit); bes. in Italien
verbreitet, noch im 16. Jh. übersetzt.;
Provençalisch/Lateinische Parallelversion (interlinear), offenbar spätere
lat. Übersetzung (auch der Beispiele), Basis: Ars Minor des Donatus. De facto kontrastive provençalisch-lateinische Darstellung.
Leys d'amors, Sammlung poetischer und grammatischer 'Gesetze' des
Provençal durch Guillaume Molinier (chef der Troubadour-Vereinigung in
Toulouse), 1324 in Toulouse;
I: Orthographie, prosodie; II: Reim und Vers; III: Wortarten, IV: Stil(fehler)
Adaptiert stark mittelalterliche Traditionen der Grammatik, bes. Modisten
Latein nur als technische Hilfe, nicht mehr als Etalon, oftmals Abgrenzung/kontrastiv,
Besonders wichtig: Reinterpretation des Kasusparadigmas:
retz vs. oblics bei Nomina selbst gegen Vierersystem beim Artikel.
Fortgesetzt von:
Torsimany (=Dolmetscher) des Lluis d'Averçó
, ~ 1370.
Grammatik der okzitanischen Poetik: Katalanisch als Sprache der Prosa
erklärt Okzitanische als Sprache der Poesie.
~ 1450 mit englischer Übersetzung und Angabe der franz. Aussprache
(!)
Handbücher der Konversation (manières de language)
Grammatische Tabellen (Verbformen, Latein-Französisch)
Donait soloum douce franceis de Paris, Richard Dove, ~ 1410
~ Ars Minor des Donatus
(Tabellen, Paradigmata)
Orthographische/Phonetische Abhandlungen
→ Grammatiken: Liber Donati (von William Kongsmill oder von
einem seiner Schüler) ~ 1450 mit dialogischen Hilfen;
Donat françois des John Barton, erste vernakuläre Grammatik des
Französischen.
Geschrieben in England, basierend auf Parisien/Picardie.
1528:
Introductions in Frensshe von Pierre Valence (ed. London)
1530:
Les eclaicissement de la langue françoyse von John
Palsgrave (Engl.))
1531:
In linguam Gallicam Eisagoge, von Jacobius Sylvius
(Jacques Dubois)
1550: Le tretté de la grammère francoèze von Louis Meigret
(Reformer)
Danach erschien eine Vielzahl von Grammatiken
Trotz massiver literarischer Präsenz des Toskanischen (Dante
Alighieri, Giovanni Boccaccio, Francesco Petrarca) gab es im Mittelalter keine italienische
Grammatik vor 1450.
Französisch (durch die Beteiligung des Adels an den Kreuzzügen) und Provençal (Höfischer Gesang) hatten größere Verbreitung, daher war die grammatische Regulierung dieser beiden Sprachen notwendiger.
Um
1450
Mit diesem
Disput verbunden war der Konflikt um die Sprachenfrage:
b) Toskanisch in der Dante-Tradition (archaisierend)
c) Toskanisch in der zeitgenössischen version (1450)
d) 'Lingua generale' (Mélange verschiedener ital. Varietäten)
Durchsetzen konnte sich eine
Spanien:
Das einzige für den Zeitraum relevante Werk war die erste Grammatik des
Spanischen von Antonio de Nebrija (1492): Gramática sobre
la lengua castellana (salamanca) [vorher schon von Nebrija:
Introcutiones in latinam grammaticam, Modell für die Gramática].
Deutschland
In Deutschland entstand
kurz vor 1537 die erste deutsche Grammatik
Valentin Ickelsamer: Teutsche Grammatica.
1573 folgte eine weitere Grammatik von Laurentius Albertus: Teutsch Grammatick oder Sprach-Kunst
Ebenfalls in
1573 erschien Albert Ölingers Underricht der Hoch Teutschen Spraach: Grammatica seu institutio verae
Germanicae linguae (Strassburg)
1578 folgte die Grammatica Germanicae Linguae von
Johannes Clajus.